Aus Kammern und Verbänden

Neues über ätherische Öle

"100% reine Natur" stimmt häufig nicht

In Lissabon fand vom 5. bis 8. September das 43. International Symposium on Essential Oils (ISEO) statt. In zehn Plenarvorträgen, 20 Kurzvorträgen und 225 Postern haben mehr als 300 interdisziplinär forschende Wissenschaftler aus 65 Ländern ihre jüngsten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der ätherischen Öle vorgetragen und präsentiert.

Die Themen der Vorträge sowie der Poster waren breit gefächert und betrafen beispielsweise Fragen zum Geschmack der ätherischen Öle aufgrund ihrer Wechselwirkung mit bestimmten Rezeptoren (Umami und Kukumi), zur ökologischen Rolle der ätherischen Öle in Pflanzen, zu ihrer Bedeutung als allelochemisch wirksame Naturstoffe und als sog. Bioherbizide, zu ihrer Biosynthese und zur Entstehung von Chemotypen der Stammpflanzen, die morphologisch nicht zu unterscheiden sind.

Breiten Raum nahm auch die Analytik ein; so wurden verbesserte Methoden der MS und NMR, der EL-MS (Electron Ionisation MS) und des MS-Imaging vorgestellt. Weitere Präsentationen betrafen die pharmakologische und klinische Testung ätherischer Öle.

Außergewöhnlich und höchst interessant war der Plenarvortrag von Dr. Daniel Joulain, dem früheren wissenschaftlichen Direktor der Firma Givaudon, mit dem Titel: "Are Essential Oils Natural Products?" Joulain konnte nicht nur zeigen, dass Werbeaussagen wie "Ätherische Öle sind 100% reine Natur" und ähnliche andere Aussagen in mehrerer Hinsicht falsch sind, sondern dass auch im Internet mehrere inkorrekte Definitionen für ätherische Öle zu lesen sind, indem sie den eindeutig festgelegten Definitionen gemäß ISEO-Standard und in den Pharmakopöen widersprechen. Ein durch Wasserdampfdestillation gewonnenes ätherisches Öl ist in der Regel qualitativ und quantitativ nicht mehr identisch mit dem genuinen ätherischen Öl in den Drüsenschuppen, Drüsenhaaren etc. und enthält außerdem in unterschiedlichen Mengen Wasserdampf-flüchtige Pestizide und ist somit keineswegs "100% reine Natur", wie mancher Hersteller suggeriert.


Internet


http://iseo2012.fc.ul.pt


Die Poster machten auf eine lange Liste pharmakologisch und klinisch interessanter Ätherisch-Öl-Pflanzen aufmerksam. Erfreulicherweise wurden in den meisten Fällen die analytischen Daten mit biologischen Parametern wie Keim- oder Entzündungshemmung kombiniert. Auch toxikologische Fragestellungen wurden vorgestellt, so z. B. wie toxisch Carvon, Carvacrol und Myrtenol für die Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) sind.

Mehrere Poster beschäftigten sich mit der Chemotaxonomie und der damit korrelierenden unterschiedlichen biologischen Aktivität. Einige Arbeitskreise verglichen die qualitative und quantitative Zusammensetzung von ätherischen Ölen derselben Stammpflanzen, die durch Hydrodestillation, durch Extraktion mit verschiedenen organischen Lösungsmitteln bzw. durch eine Headspace-Mikroextraktion gewonnen waren. Auch die Kultivierung von Ätherisch-Öl-Pflanzen sowie die richtige Trocknung und Lagerung des Erntegutes waren Forschungsthemen.

Dem Insider fiel auf, dass derzeit nur wenige europäische Ätherisch-Öl-Pflanzen und ätherische Öle, deren Monografien im Deutschen oder Europäischen Arzneibuch stehen, Gegenstand der Forschung sind. Andere ätherische Öl, die im Sinne der Grundlagenforschung untersucht werden, können aber den deutschen Arzneimittelmarkt nicht bereichern, es sei denn, dass der Grundlagenforschung präklinische und klinische Studien gemäß § 22 AMG folgen und positiv verlaufen. Der § 39 a – d AMG, der traditionell angewendete Phytopharmaka betrifft, kann für die meisten ätherischen Öle nicht in Anspruch genommen werden.

Das Symposium war unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Ana Cristina Figueiredo vorbildlich organisiert. Die Teilnehmer wurden in der Opening Ceremony von einer zwölfköpfigen Studentengruppe mit portugiesischer Folkloremusik begrüßt und bei einem Dinner auf dem Castelo de São Jorge mit einem köstlichen portugiesischen Gericht und bestem Wein wieder verabschiedet. So war Lissabon sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich eine Reise wert.


Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Heinz Schilcher



DAZ 2012, Nr. 38, S. 86

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