Honoraranpassung

Plausible Zahlen?

Ist die Datengrundlage für die 25-Cent-Anpassung realistisch?

Uwe Hüsgen | Mitte Juli war es so weit: Das Bundeswirtschaftsministerium versandte einen Änderungsentwurf zur Anpassung der Arzneimittelpreisverordnung zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung. Geplant ist, das Apothekenhonorar um 25 Cent von 8,10 auf 8,35 Euro zu erhöhen. Das Inkrafttreten ist für den 1. Januar 2013 vorgesehen. Die Erhöhung um 25 Cent basiert auf Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums zur Umsatz und Rohertragsentwicklung der Apotheken. Die ABDA kritisierte den Rechenweg, der Rohertragszuwächse mitberücksichtigte. Aber es ist legitim, auch einen Blick auf die Zahlen an sich zu werfen. Sind die Daten, die dem Bundeswirtschaftsministerium zugrunde liegen, plausibel?
Foto: DAZ/diz

Die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) von 2004, auch Kombimodell genannt, soll nach neun Jahren - zum 1. Januar 2013 - erstmals angepasst werden. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) hat vorgesehen, den Festzuschlag von derzeit 8,10 Euro um 0,25 Euro, also um 3%, auf 8,35 Euro zu erhöhen. Die Daten des BMWi, die der Anpassungsberechnung zugrunde liegen, wurden inzwischen veröffentlicht. Die (bisher wahrnehmbare) Kritik der ABDA richtet sich (nur) gegen den Rechenweg; bei kritischer Analyse wird aber auch deutlich, dass die der BMWi-Rechnung zugrunde liegenden Daten nicht plausibel sind.

Tabelle 1 zeigt die im Internet veröffentlichten Ausgangswerte, die das BMWi seinen Berechnungen zugrunde gelegt haben soll. Diesem Zahlenwerk haben bisher weder das BMWi noch die ABDA widersprochen.


Tabelle 1: Ausgangsdaten des Ministeriums.

Auswertungsposition
2004
2011
Umsatz
1.462.597 €
1.734.013 €
Wareneinsatz
1.044.390 €
1.281.346 €
Rohertrag (lt. Veröffentlichung)
422.264 €
448.948 €
Rohertrag (errechnet aus den obigen Daten für Umsatz und Wareneinsatz)
418.207 €
452.667 €
Gesamtkosten
259.870 €
298.054 €
Bruttobetriebsergebnis
162.394 €
150.894 €

Quelle: Zahlen des Ministeriums – Die kursiv gesetzten Werte stellen eigene Berechnungen dar.


Die Zahl der Apothekenbetriebsstätten (jeweils zum Jahresende) wurde seitens der ABDA für 2003 mit 21.305, für 2004 mit 21.392, für 2010 mit 21.441 und für 2011 mit 21.238 angegeben. Tabelle 2 zeigt die durchschnittliche Zahl der Apothekenbetriebsstätten in den Jahren 2004 und 2011, die sich jeweils aus den Jahresendwerten des betrachteten Jahres und des Vorjahres ergeben. Der Nettoumsatz je Betriebsstätte (BMWi-Daten, s. Tabelle 1) multipliziert mit der Apothekenzahl ergibt den Nettoumsatz aller Apotheken gemäß BMWi-Daten für die o.g. Jahre. Der von der ABDA veröffentlichte Gesamtnettoumsatz aller Apotheken weicht immerhin um 4% (2004) bzw. um 10% (2011) von den Zahlen des BMWi ab.


Tabelle 2: Ausgangsdaten für weitere Berechnungen.

Auswertungsposition
2004
2011
Durchschnittliche Zahl der Apothekenbetriebsstätten
(errechnet aus ABDA-Daten)
21.348,5
21.339,5
Nettoumsatz je Betriebsstätte (BMWi-Daten, s. Tabelle 1)
1.462.597 €
1.734.013 €
Gesamtnettoumsatz der Apotheken:
  • errechnet aus BMWi-Daten
31.224.252.055 €
37.002.970.414 €
  • Quelle: ABDA
32,5 Mrd. €
40,9 Mrd. €
  • Quelle: Insight Health
nicht verfügbar
37,810 Mrd. €

Quellen: ABDA, Zahlen, Daten, Fakten; Insight Health und eigene Berechnungen


Für die weiteren Berechnungen werden nicht die ABDA-Zahlen, sondern die von Insight Health (I-H) zur Verfügung stehenden Daten herangezogen. Denn erstens weicht der Gesamtumsatz in 2011 um weniger als 2,2% vom (errechneten) Wert des BMWi ab, und zweitens liegen von I-H Daten zum Umsatz und Absatz (Packungszahl) in der für die weitere Analyse notwendigen Differenzierung vor. Der guten Ordnung halber sei angemerkt, dass I-H die Umsätze einschließlich Mehrwertsteuer (MwSt.) meldet. Es wird dabei unterstellt, dass die Umsätze mit 7% Mehrwertsteuer (z. B. Lebensmittel und Tierfütterungsarzneimittel) und umsatzsteuerfreie Erlöse (z. B. Versorgung von in Deutschland stationierten ausländischen Soldaten) für die Gesamtbeurteilung zu vernachlässigen sind. Daher sind die von I-H gemeldeten Umsätze für 2011 stets um den MwSt.-Satz von 19% gekürzt worden.

GKV-Rx-FAM-Segment

Aus den Daten von I-H ergibt sich folgende Analyse des Apothekenmarktes: Mit 526,5 Mio. zulasten der GKV abgegebenen verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittelpackungen (Rx-FAM) erzielten die Apotheken im Jahr 2004 einen Nettoumsatz von 18.244 Mio. Euro und einen Rohertrag (nach AMPreisV) von 3.791 Mio. Euro. Weitere I-H-Daten für 2004 sind derzeit nicht verfügbar. Im Jahr 2011 gaben die Apotheken 588,3 Mio. Packungen zulasten der GKV ab. Damit erzielten sie einen Nettoumsatz von 24.019 Mio. Euro und einen Rohertrag (nach AMPreisV) von 4.342 Mio. Euro (s. Tabelle 3). Einer Steigerung der Packungszahl um 11,74% steht damit ein Zuwachs beim Rohertrag (laut AMPreisV) von 14,54% (in 2011, jeweils im Vergleich zu 2004) gegenüber. Das entspricht einem durchschnittlichen Rohertragszuwachs (nach AMPreisV) je zulasten der GKV abgegebener Rx-FAM-Packung von 2,5% (über einen Zeitraum von 2004 bis 2011).


Tabelle 3: Packungen und (Netto-)Umsatz der Apotheken nach Segmenten in 2011.

Auswertungs-
position
Packungen
Nettoumsatz
Anteil vom
Umsatz
Umsatz
je Packung
Rx-FAM GKV
588,3 Mio.
24.019 Mio. €
63,5%
40,83 €
Rx-FAM privat
96,3 Mio.
4.153 Mio. €
11,0%
43,13 €
Rx-FAM
(GKV plus privat)
684,6 Mio.
28.172 Mio. €
74,5%
41,15 €
GKV Sonstige
149,9 Mio.
2.857 Mio. €
7,6%
19,06 €
OTC
514,6 Mio.
3.612 Mio. €
9,5%
7,02 €
Residualgröße:
insbesondere
Freiwahl
n.v.
3.169 Mio. €
8,4%
n.v.
Summe
n.v.
37.810 Mio. €
100,0%
n.v.

Quelle: Insight Health und eigene Berechnungen. n.v.: nicht verfügbar


Hier könnte die Analyse bereits abgebrochen werden. Denn bei einer Steigerung der Lebenshaltungskosten von 2004 bis 2011 um knapp 14% (Quelle: Stat. Bundesamt) kann eine durchschnittliche Rohertragssteigerung von 2,5% je abgegebener Rx-FAM-Packung nicht ausreichen, um die Kostensteigerungen der öffentlichen Apotheken in diesem wichtigen Versorgungssegment auch nur ansatzweise aufzufangen. Als Methode für eine Honoraranpassung böte sich daher der in DAZ 32 (S. 46 – 48) unterbreitete Vorschlag an, der sich an der Inflationsrate orientiert.

Weitere Umsatzsegmente

Da das BMWi einen anderen Weg gewählt hat, ist die Analyse jedoch an dieser Stelle weiterzuführen.

Zusätzlich zur GKV haben die Apotheken in 2011 weitere 96,3 Mio. Rx-FAM-Packungen aufgrund von Privatrezepten abgegeben. Damit wurden ein Nettoumsatz von 4.153 Mio. Euro und ein Rohertrag (nach AMPreisV) von 878 Mio. Euro erzielt. Insgesamt wurden in 2011 demnach in den deutschen Apotheken 684,6 Mio. Rx-FAM-Packungen abgegeben (das BMWi geht in seinem Entwurf für die Änderung der AMPreisV von 35.032 abgegebenen Rx-FAM-Packungen je Apothekenbetriebsstätte für 2011 aus. Das ergäbe insgesamt mehr als 747,5 Mio. Packungen. So lassen bereits diese Daten vermuten, dass das BMWi – fälschlicherweise – über den Bereich der Rx-FAM hinausgehende Packungen in seine Berechnungen hat einfließen lassen); der Nettoumsatz betrug dabei 28.172 Mio. Euro. Für die weiteren Berechnungen besonders wichtig ist der Rohertrag aus Rx-FAM-Packungen (nach AMPreisV) von 5.220 Mio. Euro.

Vom Gesamtumsatz der Apotheken in 2011 von 37,81 Mrd. Euro entfielen folglich rund 28,17 Mrd. Euro (oder 74,5%) auf Rx-FAM. Dieser Anteil deckt sich mit den Ausführungen des BMWi. Außerhalb der Rx-FAM verbleibt damit ein Umsatzanteil von etwa 24,5% bzw. knapp 9,64 Mrd. Euro netto. Davon sind gemäß I-H etwa 2,86 Mrd. Euro (oder knapp 7,6% vom Gesamtumsatz) Umsätze mit der GKV (z. B. verschreibungspflichtige Nicht-Fertigarzneimittel [Rezepturen usw.], verordnete nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, Verbandstoffe, Hilfsmittel usw.). In der Selbstmedikation wurden in 2011 knapp 10% des Gesamtumsatzes getätigt, also gut 3,61 Mrd. Euro netto. Für die Freiwahl verblieben damit etwa 3,17 Mrd. Euro netto (oder knapp 8,4% des Gesamtumsatzes). Die wesentlichen Daten sind in Tabelle 3 zusammengefasst.

Rohertrag aus Rabatten

Im Folgenden wird unterstellt, dass die Apotheken in 2011, dem Jahr des Inkrafttretens des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG, Stufe I), im Rx-Bereich einen maximalen durchschnittlichen Einkaufsvorteil von 3% erzielen konnten. Dieser Prozentsatz mag in einzelnen Fällen überschritten worden sein. Anfragen bei verschiedenen Großhandlungen haben allerdings ergeben, dass ein Rabatt von 3% im Rx-Bereich über alle Apotheken eher an der oberen Grenze anzusiedeln ist. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich die Einkaufskonditionen der Apotheken seit 2004 aufgrund gesetzlicher Vorgaben wesentlich verschlechtert haben. Denn in diesem Zeitraum wurde § 7 HWG verschärft, und 2011 galt für Rx-FAM ein Großhandelsabschlag auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens (ApU) von 0,85%, der in großen Teilen an die Apotheken weitergereicht wurde.

Ausgehend vom Gesamtnettoumsatz mit Rx-FAM von 28.172 Mio. Euro und dem damit erzielten Rohertrag (nach AMPreisV) von 5.220 Mio. Euro ergibt sich ein Wareneinsatz (lt. AMPreisV) von 22.952 Mio. Euro für dieses Umsatzsegment. Aus dem durchschnittlichen Höchstrabatt von 3% folgt ein bewusst zu hoch geschätzter (zusätzlicher) „Rohertrag aus Rabatten“ von 689 Mio. Euro. Demnach beträgt der insgesamt mit Rx-FAM „erzielte“ Rohertrag 5.909 Mio. Euro.

Fazit: unrealistische Daten

Die weitere Rechnung ist in Tabelle 4 dargestellt. Legt man die vom BMWi für 2011 angesetzte Handelsspanne von 25,9% zugrunde, ergibt sich aus dem Gesamtumsatz der Apotheken von 37.810 Mio. € (gemäß I-H) ein Gesamtrohertrag von 9.789 Mio. Euro. Nach Abzug des unterstellten Rohertrags von 5.909 Mio. Euro aus Rx-FAM würde ein restlicher Rohertrag von etwa 3,88 Mrd. Euro für das sonstige Umsatzsegment verbleiben. Dem steht ein Umsatz außerhalb der Rx-FAM von knapp 9,64 Mrd. Euro netto gegenüber. Dies ergäbe einen Handelsaufschlag von über 67% – da möchte man sagen: „Diese Apotheke möchte ich sehen!“ 

Tabelle 4: Ermittlung des Rohertrags der Apotheken für das Umsatzsegment außerhalb der Rx-FAM in 2011.

Umsatz Rx-FAM (lt. I-H, s. Tabelle 3)
28.172 Mio. €
„sonstiger Umsatz“ (lt. I-H, s. Text)
9.638 Mio. €
Gesamtumsatz (lt. I-H, s. Tabelle 3)
37.810 Mio. €
Prozentualer Gesamtrohertrag lt. BMWi
(vgl. Tabelle 1)
25,9%
Gesamtrohertrag, errechnet aus Umsatz lt. I-H und prozentualem Gesamtrohertrag lt. BMWi
9.789 Mio. €
Rohertrag im Rx-FAM-Segment, errechnet
siehe Text
5.909 Mio. €
Rohertrag für "sonstigen Umsatz", errechnet als Differenz aus den beiden vorherigen Positionen
3.881 Mio. €
Handelsspanne für „sonstigen Umsatz“, errechnet aus Rohertrag und “sonstigem Umsatz“
40,3%
Handelsaufschlag für „sonstigen Umsatz“, errechnet aus Rohertrag und „sonstigem Umsatz“
67,4%

Quellen: ABDA, BMWi, Insight Health und eigene Berechnungen


Daraus muss gefolgert werden, dass die vom BMWi verwendeten Daten, insbesondere für den Rohertrag, nicht den realen Gegebenheiten entsprechen können. Aus der Zuordnung der Packungszahlen zu den Umsatzsegmenten, deren Entwicklung im Zeitverlauf und der daraus abzuleitenden Kostenbelastung für die einzelnen „Kostenstellen“ muss zudem gefolgert werden, dass dort weitere Korrekturen vorzunehmen sind.


Dipl. Math. Uwe Hüsgen, Essen, E-Mail: uwe.huesgen@web.de


Thomas Müller-Bohn

Kommentar

Statistiken und die Alternative


Die Opposition gegen den 25-Cent-Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums wird immer größer. Sogar Gesundheitspolitiker der Länder sehen ein, dass dieser Betrag unrealistisch ist und nicht ansatzweise reicht. Doch wie ist das Ministerium zu dieser Zahl gekommen? Das größte Problem ist der Rechenweg. Denn es ist unlogisch, den Rohertragszuwachs, der zu einem großen Teil durch die gestiegene Packungszahl entstanden ist, vom Kostenanstieg abzuziehen. Dieser Gedanke ist auch der Kern der ABDA-Stellungnahme zum Ministeriumsentwurf. Eine weitere Grundlage der Berechung sind die Ausgangsdaten. In diesem Punkt sieht die ABDA keinen Dissens zur Position des Ministeriums. Doch Daten über einen Milliardenmarkt zu erheben, ist mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Daher gibt es auch andere Positionen. Uwe Hüsgen, Autor des regelmäßigen AZ-Rohertragsmonitors, hat die Datengrundlage des Ministeriums mit den Zahlen eines renommierten Marktforschungsinstituts verglichen. Das Ergebnis: Ungereimtheiten und Widersprüche. Letztlich hat Hüsgen die Marktforschungsdaten mit dem Rohertrag verknüpft, den das Ministerium unterstellt. Dazu sind nur wenige Rechenschritte nötig, die sich einfach nachrechnen lassen. Demnach müssten die Apotheken im OTC- und Randsortiment durchschnittliche Aufschläge von deutlich über 60 Prozent realisieren – doch das ist vollkommen unrealistisch. Damit wäre der Rohertrag zu hoch angesetzt.

Auch diese Rechnung ist nur so gut wie die Daten, die ihr zugrunde liegen. Doch die Diskrepanz zeigt erneut, dass bereits kleine Veränderungen der Berechnungsgrundlage zu ganz anderen Ergebnissen führen können. Jeder Datenlieferant ist von seiner Erhebungsmethode überzeugt. Im Streit um die besten und aussagekräftigsten Daten könnte das Ministerium einwenden, dass es von realen Betriebsergebnissen ausgeht. Doch diese werden auf einem langen Rechenweg ermittelt, der ursprünglich von den Gesamteinkünften der Apotheker ausgeht. Je mehr Rechenschritte stattfinden, um so mehr Fehlerquellen sind möglich. Außerdem kann es noch keine validen Daten für 2011 geben. Denn welcher Apotheker hat schon einen gültigen Steuerbescheid für 2011? Wenn die Zahlen aber Hochrechnungen enthalten, ist zu fragen, wie das AMNOG mit seinen dramatischen Einschnitten für die Apotheken in die Berechnung eingegangen ist.

So kommen zur Kritik am Rechenweg des Ministeriums zusätzliche Zweifel an der Datengrundlage. Doch statt sich in einem endlosen Streit über die beste Statistik zu verlieren, dürfte die beste Lösung in einer anderen und weniger angreifbaren Anpassungsmethode liegen. Einfach und praktikabel wäre, den Festzuschlag um einen Prozentsatz zu erhöhen, der sich an der unstreitigen Inflation und einer politisch verhandelbaren Innovationskomponente orientiert (siehe DAZ 32, S. 46-48).


Thomas Müller-Bohn


Diesen Artikel können Sie hier im original DAZ-Layout als pdf herunterladen.



DAZ 2012, Nr. 35, S. 46

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