Mehr Bürokratie – weniger Zeit für Menschen
Welche Bürohocker haben sich diese Gesetzesänderung mit der Rezepturenüberprüfung und dann noch dieses Plausibilitätsblatt zum Ausfüllen ausgedacht? Für diese Menschen schildere ich nun einmal einen Fall.
Es liegt eine Verordnung vor, die oft in den letzten Monaten (Jahren) verordnet wurde, ca. lx wöchentlich. Durch längeres Beschäftigen mit dieser Mischung stellen wir fest – so steht es jedenfalls in einem der vielen Rezepturbücher, die wir mittlerweile in der Apotheke haben – , dass sich die wasserhaltige Salbengrundlage störend auf einen Wirkstoff auswirken wird (könnte). Also rufe ich in der Praxis an (nicht sofort vielleicht, denn es gibt noch anderes Wichtiges, was sofort erledigt werden muss) und schildere den Fall der Praxismitarbeiterin, bitte um ein Gespräch mit dem Verordner. Der wiederum ist gerade "am Patienten", und es wird versprochen, dass er in der Mittagspause zurückruft. Entweder hat er in meiner wohlverdienten Pause angerufen, oder er hat es vergessen oder es nicht für wichtig gehalten. Er erreicht mich nicht, ich erreiche ihn nicht. (Der Kunde kratzt sich in der Zeit die Haut blutig.) Am gleichen Tag haben schon mehrere Apothekerkollegen in der Praxis angerufen wegen der gleichen Verordnung. Jeder Kollege hat einen anderen Verbesserungsvorschlag, denn fast immer gibt es mehrere Möglichkeiten. Der Arzt denkt sicher: "Jetzt spinnen die Wichtigtuer aber richtig!" Bei diesen vielen Verbesserungsvorschlägen weiß er natürlich nicht, ob die alle gut sind bzw. welches der beste Vorschlag zur Verbesserung ist. Dann könnte er sich zu Recht wundern, warum wir uns nicht schon früher so um die Wirksamkeit der Rezepturen Gedanken gemacht haben. Und außerdem zeigte seine Mischung bisher gute Wirkung und gibt ihm keinen Anlass zur Veränderung.
Ich kann nun dokumentieren:
Arzt ruft nicht zurück, ist nicht zu sprechen, beliefere das Rezept nicht und lasse den Kunden ,,im Regen stehen".
In der Zeit des Inkrafttretens der neuen Apothekenbekriegsverordnung habe ich mehr als 20 Rezepte nach vielen möglichen Kriterien (in der Freizeit) untersucht und viele Ungereimtheiten entdeckt, die meiner Ansicht nach aber nicht ein sofortiges Einschreiten erfordern. Ein praktikabler Vorschlag wäre (so haben wir es in der "Zeit davor" gehandhabt): Bei gravierenden Verordnungsfehlern, wobei der Patient zu Schaden kommen würde, muss sofort eingeschritten werden in Form von sofortigem Kontakt mit dem Verschreibenden. Ansonsten bei häufiger verordneten Rezepturen, wo Veränderungen zu einer verbesserten Wirkung beitragen könnten, sollte man einen Verbesserungsvorschlag schriftlich an die Praxis schicken. Der Arzt erkennt das Wohlwollen des Apothekers und kann in Ruhe entscheiden.
Ich koche vor Wut, wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen bei dem Bürokratismus, den Bürokraten uns auferlegen, der nicht zu mehr Wohl des Patienten, sondern zu weniger Zeit "am Menschen" führt.
Angelika Jung-Wellmann (mit Leidenschaft und Engagement Apothekerin), Wilhelm-Wisser-Str. 15, 26122 Oldenburg
DAZ 2012, Nr. 35, S. 67