Prisma

Ketamin verhindert Gewitter im Gehirn

Nach einem Schlaganfall, einer Gehirnblutung oder einer Kopfverletzung findet im Gehirn eine Art Gewitter statt. Elektrische Entladungen überziehen es wellenartig und verursachen dabei das Absterben weiterer Neurone. Ein Mittel hiergegen haben Heidelberger Wissenschaftler nun in dem gängigen Narkosemittel Ketamin gefunden.

Stirbt im Gehirn Nervengewebe ab, hat dies eine Kettenreaktion zur Folge, die auch die angrenzenden Hirnareale gefährdet. Am Rand des abgestorbenen Hirngewebes bilden sich elektrische Entladungswellen, sog. Spreading Depolarisations, die sich in den Nachbarregionen ausbreiten und sie zunächst kurzfristig lahmlegen. Wiederholte Wellen führen schließlich zum Absterben von Zellen in diesen Regionen. Eine im Jahr 2011 veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass die elektrischen Entladungswellen neurologische Schäden verursachen und die Situation von Patienten mit Schlaganfall, Gehirnblutung oder nach Kopfverletzung zusätzlich verschlechtern. Bislang stand man den elektrischen Entladungen hilflos gegenüber. Nun wurde in einer Studie unter Beteiligung der Universität Heidelberg erstmals ein vielversprechender Ansatz untersucht. In die Studie waren 115 Patienten nach Schädel-Hirn-Trauma, Hirnblutungen oder ischämischem Schlaganfall eingeschlossen. Bei allen Patienten musste im Zuge der Behandlung das Gehirn teilweise freigelegt werden, so dass Messelektroden an der Hirnoberfläche rund um das geschädigte Gewebe angelegt werden konnten. Anschließend wurde die Operationsnaht verschlossen und die Hirnströme über 15 Tage gemessen. Die Patienten befanden sich aufgrund ihrer schweren Erkrankung anfänglich bzw. einige Zeit im künstlichen Koma. Als Narkosemittel kamen sechs verschiedene Medikamentengruppen zum Einsatz. Die Auswertung der Messdaten ergab: Im Gehirn von Patienten, die das Narkosemittel S-Ketamin erhalten hatten, traten 60 Prozent weniger Entladungswellen auf als bei Patienten, die zum Zeitpunkt der Messung nicht narkotisiert waren. „Diese Wirkung kennen wir aus Tierversuchen. Nun haben wir sie erstmals bei Menschen nachgewiesen“, so Studienautor Daniel Hertle. Bei den übrigen Wirkstoffgruppen zeigte sich kein solcher Effekt. Die weitere Auswertung der Patientendaten muss nun zeigen, ob die Eindämmung der Entladungswellen auf lange Sicht tatsächlich mit besseren Heilungschancen einhergehen.


ral


Quelle: Hertle, D.N. et al.: Brain 2012; 135 (Pt 8): 2390 – 2398



DAZ 2012, Nr. 35, S. 8

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