Arzneimittel und Therapie

Zukunft: maßgeschneiderte Brustkrebstherapie

Diskussion um die individuelle Therapie

Früherkennung und Fortschritte in der Therapie haben dazu geführt, dass immer weniger Frauen an Brustkrebs sterben, trotz steigender Inzidenz. Erreicht werden Fünf-Jahres-Überlebensraten von über 90%. Auf der 32. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie, die im Juli in Stuttgart stattfand, wurden weitere Fortschritte diskutiert, aber auch die Kehrseite der Medaille: Überdiagnostik und Übertherapie. Verfolgt wird das Ziel einer maßgeschneiderten Therapie.
Die Mammografie kann in der Zukunft möglicher-weise durch die digitale Brusttomosynthese verbessert werden, da sie das mit der konvent-ionellen 2D-Mammografie verbundene Problem des Überlagerns von Gewebe deutlich verringern kann. So kann die Sensitivität und Spezifität verbessert werden, weniger Wiedereinbestellungen und Biopsien könnten die Folge sein.Foto: SPL/Agentur Focus

Die meisten Frauen, bei denen in Deutschland ein Mammakarzinom diagnostiziert wird, haben eine gute Prognose. Auf knapp 75.000 Erkrankungen kommen nur 17.500 Todesfälle, mit fallender Tendenz. Als Schlüssel für diese Erfolgsgeschichte gilt die Behandlung der Patientinnen in zertifizierten Brustzentren, in denen interdisziplinär eng kooperiert wird. Und die Forschung geht weiter. Vorteile versprechen sich die Senologen etwa von der intraoperativen Visualisierung des Tumors per Ultraschall. Mit dieser US-assistierten Mammachirurgie lassen sich kleine und schwer palpable Tumoren leichter finden. Gleichzeitig reduziert sich das Risiko, gesundes Gewebe unnötig zu entfernen.

Diskussion um Axilladissektion

Durchgesetzt hat sich die Bestrahlung nach brusterhaltender Therapie (BET) bei allen Patientinnen. Lange umstritten, konnte der Nutzen dieses Vorgehens nun in einer Metaanalyse der EBCTCG (Early Breast Cancer Trialists‘ Collaboration Group; (EBCTCG), Lancet publ. online 20. 2011) belegt werden. Durch die Radiatio lässt sich die Rezidivrate (lokoregionäre Metastasen und Fernmetastasen) etwa halbieren (35% vs 19,3%). Dennoch: Zu überlegen ist die Radiotherapie bei sehr alten, multimorbiden Patientinnen mit kleinem Mammakarzinom. Der Nutzen für Frauen jenseits des achtzigsten Lebensjahres mit Begleiterkrankungen ist nur minimal [Smith BD et al. J Natl Cancer Inst 2006; 98(10): 681 – 690]. Intensiv diskutiert wird derzeit, wann eine komplette Axilladissektion durchgeführt werden soll, und wann darauf verzichtet werden kann. Angestoßen hat die Diskussion die ACOSOG Z0011 Studie [Giuliano A et al. JAMA 2011; 305: 569 – 575]. Sie konnte zeigen, dass bei Patientinnen mit einem pT1-2 Tumor und klinisch nicht befallenen axillären Lymphknoten auf eine komplette Axilladissektion verzichtet werden kann, wenn maximal zwei Sentinel-Lymphknoten mit Makrometastasen befallen sind und eine brusterhaltende Therapie mit nachfolgender Bestrahlung der operierten Brust und adäquater Systemtherapie durchgeführt wird. Möglicherweise wird die Bedeutung des axillären Lymphknotenstatus für den postoperativen Therapieentscheid ohnehin abnehmen. Denn die Tumorbiologie könnte künftig eine größere Bedeutung erlangen. Eine immer genauere Charakterisierung der individuellen Tumoren könnte den Weg zu einer maßgeschneiderten, möglicherweise weniger aggressiven Brustkrebstherapie ebnen (siehe auch Interview).

Tomosynthese: Brustgewebe in Scheibchen

Zu den Newcomern in der Diagnostik gehört die Tomosynthese, eine Weiterentwicklung der digitalen Mammografie. Es handelt sich um eine radiodiagnostische Technik, die Bilder des Brustgewebes in drei Dimensionen liefert. Per Computer wird das Gewebe in einzelne Schichten mit einem Millimeter Dicke unterteilt. Dadurch lassen sich Strukturen erkennen, die bei einer 2D-Mammografie verborgen bleiben. Nützlich könnte sie im sekundären Screening bei anders nicht abklärbaren Auffälligkeiten sein. Erst aber muss die Überlegenheit gegenüber der digitalen Mammografie in Studien bewiesen werden.


DAZ-INTERVIEW

Problematisch: Überdiagnostik und Übertherapie beim Mammakarzinom


Wir sprachen mit Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, Leiter der Sektion „Gynäkologische Onkologie“ am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) des Universitätsklinikums Heidelberg über die Probleme bei der Diagnostik und Behandlung von Brusttumoren: Mammakarzinome werden oft zu spät erkannt bzw. die Frauen werden oft unnötig behandelt.


DAZ: Herr Professor Schneeweiss, auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie wurden mit der Tomosynthese oder auch der Kernspintomografie durchaus beeindruckende diagnostische Möglichkeiten vorgestellt. Sind sie denn auch sinnvoll?

Prof. Dr. Andreas Schneeweiss

Schneeweiss: Nicht in jedem Fall. Am heißesten diskutiert wird die Kernspintomografie. Denn wir wissen, dass wir bei regelmäßiger Anwendung die Rate der Mastektomien erhöhen ohne das Überleben der Patientinnen zu verbessern. Auch das PET-CT zum Staging ist völlig ungeeignet. Noch ist nämlich völlig unklar, was mit den Frauen ist, die beim konventionellen Staging keine Metastasen haben, aber einen positiven Befund im PET-CT. Sind das die Frauen, die wir nicht heilen können oder gerade die, bei denen wir mit unserer adjuvanten Therapie erfolgreich sind? Entscheidend ist, dass wir diese modernen Methoden zielführend weiterentwickeln. Es führt nicht immer zu einer besseren Diagnostik, wenn wir immer noch mehr sehen. Maßgeblich ist, ob die Frauen tatsächlich davon profitieren.


DAZ: Im Primärscreening gilt die Mammografie als die Methode der Wahl. Vielen Frauen wird in den gynäkologischen Praxen auch eine Mammasonografie angeboten. Ist sie zu empfehlen?

Schneeweiss: Für das Primärscreening kann derzeit guten Gewissens nur die Mammografie alle ein bis zwei Jahre empfohlen werden. Nur dafür stehen uns genaue Zahlen zur Verfügung: Wenn wir 100 Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren regelmäßig screenen, finden wir ca. ein Mammakarzinom in einem frühen Stadium, das wir sonst nicht entdeckt hätten. Damit senken wir die Brustkrebsmortalität voraussichtlich relativ um ca. 25%. Die Mammasonografie geht dagegen bei asymptomatischen Frauen mit einer hohen Rate an falsch-positiven Befunden einher. Ebenso wie bei der Kernspintomografie handelt es sich deshalb um eine Überdiagnostik. Die Frauen werden dadurch nur unnötig in Angst und Schrecken versetzt.


DAZ: Neben der Überdiagnostik wird auch die Übertherapie diskutiert. Wie groß ist das Problem?

Schneeweiss: Frauen mit einem Mammakarzinom werden oft unnötig und damit auch falsch behandelt. Am häufigsten geschieht das in der großen Gruppe der Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen G2-Tumoren. Hier muss die Entscheidung gefällt werden, ob eine endokrine Therapie ausreicht oder ob zusätzlich eine Chemotherapie notwendig ist. Derzeit erhalten ca. 60 Prozent der Patientinnen eine Chemotherapie, obwohl sie nur bei jeder sechsten Frau notwendig wäre. Ein Problem der Übertherapie ist, dass wir den individuellen Verlauf der Erkrankung mit den derzeit zur Verfügung stehenden Methoden nur schlecht abschätzen können. Zudem fehlen uns prädiktive Faktoren, um ein Medikament gezielt auszuwählen und im Sinne einer „personalisierten Therapie“ zu behandeln.


DAZ: Brustkrebstests, die derzeit auf den Markt drängen, versprechen eine bessere Prognose und die Einsparung von Chemotherapien. Wie sind sie einzuschätzen?

Schneeweiss: Am weitesten entwickelt sind Tests, die auf der Bestimmung von mRNA-Mustern basieren: die Amsterdam-Signatur (Mammaprint), die 70 mRNA-Moleküle erfasst, und der Recurrence-Score (Oncotype DX), der sich auf 21 mRNA-Moleküle stützt. Damit sollen Patientinnen mit einem Mammakarzinom herausgefiltert werden, die nach einer Operation keine adjuvante Chemotherapie benötigen. Wenn sie tatsächlich halten, was sie versprechen, könnten wir die Gabe der adjuvanten Chemotherapie um etwa 30 Prozent reduzieren. Diese Tests sind allerdings sehr teuer und stützen sich bislang nur auf retrospektive Analysen. Wir müssen deshalb die prospektiven Daten abwarten, mit denen zwischen 2014 und 2016 gerechnet werden kann. Derzeit wissen wir einfach nicht, wie aussagefähig sie tatsächlich sind. Im schlimmsten Fall kann es so sein, dass man den Fehler genau dann macht, wenn man sich auf den Test verlässt. Ich erinnere hier nur an die Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation bei Mammakarzinom. Unter dem Eindruck überzeugender retrospektiver Daten haben wir Tausende von Frauen weltweit behandelt, bis sich herausgestellt hat, dass die Methode keinen Nutzen hat.


DAZ: Herr Professor Schneeweiss, vielen Dank für das Gespräch!



Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2012, Nr. 33, S. 34

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