Arzneimittel und Therapie

HIV-Prävention mit Truvada®

„Pille davor“ ist teuer und schützt nur bedingt

Was von vielen Medien als medizinische Sensation gefeiert wird, entpuppt sich beim zweiten Hinsehen als ein umstrittenes Unterfangen: Die Zulassung des antiretroviralen Kombinationspräparates Truvada® zur Aids-Prävention in den USA. Denn anders als manche Schlagzeile vermuten lässt, schützt die Einnahme nur bedingt vor einer HIV-Infektion. Im Gespräch mit der DAZ verweist Dr. Annette Haberl, Sekretärin für Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Aids-Gesellschaft, darauf, dass es eine hocheffektive medikamentöse Prävention bereits gibt: die antiretrovirale Therapie von HIV-Infizierten. Sie reduziert das HIV-Infektionsrisiko nicht infizierter Partner um 96%.

Dr. Annette Haberl

Am 16. Juli 2012 hat die FDA erstmals ein Arzneimittel zur HIV-Präexpositionsprophylaxe zugelassen. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Emtricitabin und Tenofovirdisoproxilfumarat, enthalten in Truvada®. Es soll Nichtinfizierten mit einem hohen Risiko für eine HIV-Infektion helfen, die Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Allerdings nicht alleine, sondern im Zusammenspiel mit anderen Präventionsmaßnahmen wie Safer Sex. Die Zulassung ist nicht nur auf euphorische Zustimmung gestoßen. Die Deutsche Aids-Hilfe verweist darauf, dass die Entscheidung auf Basis von drei klinischen Studien getroffen worden ist. Eine Studie mit Homosexuellen habe einen Schutzeffekt von 44% ergeben, zwei in Kenia und Botswana durchgeführte Studien mit Heterosexuellen ergaben eine Risikoreduktion um zwei Drittel. Damit sei die Schutzwirkung bei Menschen mit dem höchsten Risiko am niedrigsten. Zudem sei die Prophylaxe wegen der erforderlichen regelmäßigen Einnahme im normalen Alltag kaum praktikabel und mit Kosten von 800 Euro pro Monat sehr teuer. Für Europa wurde bislang kein entsprechender Zulassungsantrag gestellt.

Wir haben mit Dr. med. Annette Elisabeth Haberl vom HIV-Center der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt gesprochen und sie um eine Bewertung gebeten. Dr. Haberl ist Mitglied in internationalen HIV-Frauennetzwerken (WFPA, SHE) sowie des Nationalen Aids-Beirats (NAB) und Sekretärin für Öffentlichkeitsarbeit der Deutschen Aids-Gesellschaft e.V.


DAZ: Frau Dr. Haberl, was kann Truvada® in der Präexpositionsprophylaxe leisten? Wo sind die Grenzen?

Haberl: Durch die US-Zulassung von Truvada® zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) entsteht bei vielen der Eindruck, als handele es sich hier um ein neues Medikament. Das ist nicht der Fall. Truvada®, ein Kombinationspräparat aus zwei antiretroviralen Wirkstoffen, ist bereits seit 2004 zur Behandlung der HIV-Infektion zugelassen. Jetzt hat es in den USA allerdings als erstes Medikament auch die Zulassung für die HIV-Prävention erhalten. Im Zulassungstext wird aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch bei Einnahme von Truvada® auf den Kondomgebrauch nicht verzichtet werden soll. Die Frage ist, wo die medikamentöse Prophylaxe zukünftig ihren Platz in der HIV-Prävention finden wird. Wir wissen, dass das Kondom das Risiko einer HIV-Übertragung um 95% reduzieren kann und zusätzlich auch vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen schützt. In den Studien zur HIV-Präexpositionsprophylaxe lag die Risikoreduktion für eine HIV-Transmission zwischen 44 und 73%. Die Wirkung der „Pille davor“ hängt entscheidend von der zuverlässigen Einnahme ab. Die erforderliche Zuverlässigkeit war anscheinend selbst für hochmotivierte Studienteilnehmer ein Problem.


DAZ: Wie muss Truvada® eingenommen werden?

Haberl: Ein sexuell aktiver Mensch, der Truvada® als Schutz vor einer möglichen HIV-Infektion einnehmen möchte, muss Truvada® täglich einnehmen und von einer Dauermedikation ausgehen, da die Wirkung nur so lange anhält, wie das Medikament zuverlässig eingenommen wird.


DAZ: Nach welcher Einnahmedauer ist mit einer Schutzwirkung zu rechnen?

Haberl: Es ist derzeit noch nicht abschließend geklärt, nach welcher genauen Einnahmedauer mit einer Schutzwirkung zu rechnen ist. In den PrEP-Studien wurde Truvada® deshalb immer als Dauermedikation eingesetzt und nicht nur „bei Bedarf“ eingenommen.


DAZ: Welche Risiken birgt eine Prophylaxe mit Truvada®?

Haberl: Das größte Risiko ist sicherlich die HIV-Infektion. Wenn sich jemand unter der Einnahme von Truvada® mit dem HI-Virus infiziert und diese Infektion zunächst unbemerkt bleibt, können sich Resistenzen entwickeln, die für den Betroffenen einen Verlust von zukünftigen Behandlungsoptionen mit sich bringen. Bei den möglichen Nebenwirkungen von Truvada® sind vor allem Langzeittoxizitäten problematisch. Nierenschädigungen oder eine Verminderung der Knochendichte sind hier als Beispiele zu nennen. Neben der regelmäßigen HIV-Testung werden deshalb bei laufender PrEP auch noch zusätzliche Laboruntersuchungen notwendig sein.


DAZ: Wie muss Ihrer Meinung nach eine wirkungsvolle Präexpositionsprophylaxe aussehen?

Haberl: Ich denke, dass sich eine medikamentöse HIV-Präexpositionsprophylaxe an der Wirksamkeit des Kondoms messen lassen muss. Ein vergleichbar guter Schutz – beim Kondom eine Risikoreduktion um 95% – sollte gegeben sein. Die Bedeutung der Einnahmetreue und die Verträglichkeit sind weitere entscheidende Punkte. Und natürlich spielt letztlich auch der Preis eine Rolle.


DAZ: Gibt es weitere medikamentöse Strategien?

Haberl: Eine heute bereits erfolgreiche medikamentöse Strategie, die Übertragung von HIV zu verhindern, ist die antiretrovirale Behandlung von Menschen mit HIV. Wenn durch die HIV-Therapie dauerhaft keine HI-Viren mehr im Blut nachweisbar sind und keine weiteren sexuell übertragbaren Erkrankungen vorliegen, kann die HIV-Infektion auf sexuellem Weg praktisch nicht mehr weitergegeben werden. Die Risikoreduktion durch die antiretrovirale Therapie liegt bei 96%.


DAZ: Welche Reaktionen hat die Zulassung von Truvada® in Deutschland bei den HIV-Infizierten und ihren Angehörigen hervorgerufen?

Haberl: Menschen mit HIV äußern sich überwiegend kritisch zum Thema HIV-Präexpositionsprophylaxe. Vielleicht weil sie wissen, was es heißt, regelmäßig Medikamente nehmen zu müssen. Viele machen sich auch Gedanken über die Kosten und denken dabei vor allem an die Menschen, die weltweit dringend auf eine Therapie warten.


DAZ: Fordern auch hier in Deutschland Betroffene Truvada® zur Präexpositionsprophylaxe?

Haberl: Dass nach der Zulassung in den USA jetzt auch bei uns viele Menschen Truvada® als „Pille davor“ für sich fordern werden, glaube ich persönlich nicht. Man merkt ja, dass die einfachen Botschaften aus den Schlagzeilen im persönlichen Beratungsgespräch durchaus kritisch hinterfragt werden. Das Gesunde zukünftig freiwillig dauerhaft Medikamente einnehmen, mögliche Nebenwirkungen in Kauf nehmen und regelmäßige Arztbesuche absolvieren werden, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen, dürfte nicht die Regel sein. Dazu kommen allein für das Truvada® Kosten von etwa 800 Euro monatlich. Das können sich auch in den reichen Industrieländern nur die Wenigsten auf Dauer leisten.


DAZ: Frau Dr. Haberl, herzlichen Dank für das Gespräch!


Dr. med. Annette Elisabeth Haberl, HIVCENTER, Innere Medizin, Abteilung für Infektiologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt


Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart



DAZ 2012, Nr. 30, S. 28

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