Fachmedien

Überblick über die Versorgungsforschung

Angesichts der verbreiteten Fokussierung auf randomisierte kontrollierte Studien wird leicht übersehen, dass tatsächliche Patienten unter ganz anderen Bedingungen versorgt werden. Doch das Interesse an den tatsächlichen Bedingungen gesundheitlicher Leistungserbringung nimmt stark zu. Dies ist das Arbeitsgebiet der Versorgungsforschung. Sie ist ein fächerübergreifendes Forschungsgebiet, das Gesundheitsversorgung mit ihren Rahmenbedingungen beschreibt und erklärt (in Anlehnung an eine Definition von Pfaff). Dabei stehen die Ergebnisse im Mittelpunkt. Die in Deutschland lange Zeit vernachlässigte Disziplin wird zunehmend auch hierzulande ein bedeutendes Thema. Daher wurde nun erstmals ein "Lehrbuch Versorgungsforschung" verfasst. Es soll Zusammenhänge im Gesundheitswesen aufzeigen und Techniken zur Erforschung der tatsächlichen Versorgung vermitteln. Es ist geprägt von der Erkenntnis, dass nicht allein eine medizinische Intervention, sondern auch ihre Rahmenbedingungen über den Erfolg entscheiden.

Die enorme Breite des Querschnittsfaches wird in dem Buch deutlich, an dem vier Herausgeber und 106 Autoren mitgewirkt haben. Nach einer Einführung in die relevanten Begriffe wendet sich das Buch zunächst den Patienten zu. Wichtige Aspekte sind Patientenpräferenzen, die Kommunikation mit Patienten, Patientenzufriedenheit und Patientenbefragungen. In weiteren Kapiteln werden die Leistungserbringer und die Institutionen des Gesundheitswesens vorgestellt. Danach folgen Kapitel über Systemfaktoren und Querschnittsthemen. Dabei geht es beispielsweise um Finanzierungs- und Vergütungssysteme, Qualitätswettbewerb, Managed Care, Demografie, Prävention und Qualitätsentwicklung. Mit Blick auf die Ausbildung künftiger Versorgungsforscher dürfte das Methoden-Kapitel die größte Bedeutung haben. Es zeigt die große Heterogenität der Methoden der Versorgungsforschung und macht damit auch deutlich, wie vielfältig die Forschungsthemen sind. Je nach gestellter Frage können beispielsweise epidemiologische oder gesundheitsökonomische Evaluationen, Methoden der Organisationsforschung oder die Analyse von Routinedaten gefragt sein. Im letzten Kapitel werden 14 klinische Fachgebiete aus dem Blickwinkel der Versorgungsforschung vorgestellt. Dabei werden die jeweils indikationsspezifischen Fragestellungen und zumindest exemplarisch Projekte zur indikationsbezogenen Versorgungsforschung in Deutschland vorgestellt.

Bei dieser Themenfülle kann ein Buch mit kaum mehr als 400 Seiten nicht in die Tiefe wissenschaftlicher Fragestellungen vordringen. Doch das ist auch nicht das Ziel dieses Lehrbuches. Es soll vielmehr einen Überblick über die Breite des Fachs geben und Zusammenhänge deutlich machen. Damit wird das Buch gerade für die Breite diverser Gesundheitsberufe interessant. Die Lektüre regt dazu an, die eigene Position im Kontext des gesamten Systems zu hinterfragen. Außerdem vermittelt es das nötige Grundwissen, um die Arbeit der Versorgungsforschung zu verstehen.

Apotheker und Apotheken werden in dem Buch in zwei getrennten Abschnitten vorgestellt. Im Abschnitt über Apotheker wird die bedeutsame Aufgabe der Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit hervorgehoben. Aus Apothekerperspektive irritiert jedoch im Abschnitt über Apotheken die vergleichsweise große Aufmerksamkeit für das Fremdbesitzverbot. Die Apothekendichte wird als im europäischen Vergleich recht hoch bezeichnet, obwohl sie nur im Mittelfeld liegt. Außerdem wird die Frage aufgeworfen, ob das Vorhandensein von Apothekenketten in Großbritannien und der sich daraus ergebende Wettbewerb zur engeren Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen geführt haben könnten. Der Gedanke, dies durch das gänzlich abweichende staatliche Gesundheitswesen mit einem anderen Rollenverständnis der Ärzte zu erklären, wird hingegen nicht erwähnt. Doch scheinen solche Spezialfragen in einem Übersichtswerk ohnehin eher deplatziert.

Die herausragende Leistung des Bu-ches ist dagegen die sehr gelungene Übersicht. Da der Trend zur Versorgungsforschung bereits weite Teile des Gesundheitswesens erfasst hat, ist sehr zu hoffen, dass künftig immer mehr Apotheker die Chancen dieses Gebietes erkennen. Denn es kann wesentlich dazu beitragen, die Bedeutung der Apotheker im Gesundheitswesen zu würdigen, sofern die richtigen Fragen gestellt werden. Auch deshalb ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen, auch und ganz besonders unter Apothekern.


Hrsg. von Holger Pfaff, Edmund Neugebauer, Gerd Glaeske und Matthias Schrappe, Lehrbuch Versorgungsforschung, Systematik – Methodik – Anwendung, XXX, 434 Seiten, 19 Abbildungen, 19 Tabellen, 79 Euro. Schattauer Verlag, Stuttgart, 2011. ISBN 978-3-7945-2797-7



Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel/Holstein


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DAZ 2012, Nr. 3, S. 110

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