Arzneimittel und Therapie

Triptane und Psychopharmaka

Wie groß ist das Risiko für ein Serotonin-Syndrom?

Viele Menschen leiden sowohl unter Migräne als auch unter Depressionen. Im Vordergrund der medikamentösen Therapie beider Erkrankungen stehen Arzneistoffe, die die Serotonin-Wirkung verstärken: Triptane und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bzw. Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI). Bei gleichzeitiger Anwendung muss zumindest aufgrund theoretischer Überlegungen von einem erhöhten Risiko für ein Serotonin-Syndrom ausgegangen werden. Doch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) gibt Entwarnung, das Risiko sei sehr gering.

Prof. Dr. Gunther Haag

In einer Pressemitteilung der DMKG wird dabei auf die Bedeutung der unterschiedlichen Verstoffwechselung der verschiedenen Triptane hingewiesen. Prof. Dr. Gunther Haag, Chefarzt an der Michael Balint-Klinik in Königsfeld, unter anderem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, erläuterte im Gespräch mit der DAZ die Gründe für die Entwarnung und warum trotzdem eine enge ärztliche und auch pharmazeutische Begleitung der Patienten erforderlich ist.


DAZ: Herr Professor Haag, der Metabolismus der verschiedenen Triptane soll entscheidend für das Serotonin-Syndrom-Risiko sein, warum?

Haag: Hier spielt eine entscheidende Rolle, ob das gewählte Triptan über das Monoaminooxidase (MAO)-System abgebaut wird. Ist das der Fall, dann ist das Risiko für ein Serotonin-Syndrom bei gleichzeitiger Therapie mit MAO-Hemmern und anderen serotoninergen Antidepressiva höher. Es ist geringer bei denen, die diesen Metabolisierungsweg weniger beschreiten. Die Gefahr, dass zu hohe Serotoninspiegel entstehen, die dann ein Serotonin-Syndrom auslösen könnten, ist hier noch geringer.


DAZ: Welche Triptane sind denn in besonderem Maße auf das MAO-System angewiesen?

Haag: Sumatriptan und Rizatriptan werden besonders stark über Monoaminooxidasen metabolisiert, Sumatriptan beispielsweise zu 80%. Almotriptan und Zolmitriptan benötigen das MAO-System in geringerem Ausmaß, sie werden teilweise unverändert ausgeschieden und nicht nur mithilfe der MAO abgebaut, sondern unter anderem auch über das alternative Cytochrom-P450-System.


DAZ: Und welche Triptane sind bezüglich des MAO-Abbauweges am unproblematischsten?

Haag: Das sind Eletriptan, Naratriptan und Fovatriptan, sie benötigen den MAO-Abbauweg nicht und werden daher auch von uns bevorzugt, wenn eine gleichzeitige Therapie mit SSRI oder SNRI notwendig ist.


DAZ: Gibt es klinische Daten, die zeigen, dass es unter den von Ihnen bevorzugten Triptanen nicht bzw. seltener zu einem Serotonin-Syndrom kommt? Oder sind diese Überlegungen rein theoretischer Natur?

Haag: Es handelt sich dabei in der Tat um rein theoretische Überlegungen. Die Datenlage zum Auftreten eines Serotonin-Syndroms als Interaktionsfolge zwischen Triptanen und SSRI/SNRI ist dürftig. Der amerikanischen Überwachungsbehörde FDA lagen 2006 29 entsprechende Verdachtsmeldungen vor, die ihr in einem Zeitraum von fünf Jahren berichtet worden waren. Diese Einzelfälle sind alle analysiert worden, ein Beleg für einen Kausalzusammenhang wurde jedoch nicht gefunden. Insgesamt gehen wir davon aus, dass das Risiko sehr gering ist …


Migräne und Depression treten häufig gemeinsam auf. Anders als bislangangenommen, scheint eine parallele Behandlung mit Triptanen und SSRI/SNRI nicht mit einem hohen Risiko für ein Serotonin-Syndrom verbunden zusein.(Foto: Maridav – Fotolia.com)

DAZ: ... also auch bei den Triptanen, die über das MAO-System verstoffwechselt werden?

Haag: Ja, auch hier. Die vorliegenden Daten untermauern zumindest nicht, dass das Serotonin-Syndrom-Risiko bei gleichzeitiger SSRI/SNRI-Therapie hier größer ist. Auch die FDA ist inzwischen der Auffassung, dass das geringe Risiko eines Serotonin-Syndroms nicht von einer gleichzeitigen Verordnung bzw. Einnahme von Triptanen und SSRIs oder SNRIs abhalten sollte (Headache, Juli 2012).


DAZ: 29 Fälle in fünf Jahren, wie häufig ist das in Bezug auf die Verordnungszahlen? Und wie groß ist die Dunkelziffer?

Haag: In den USA wurden in den Jahren 2007 bis 2008 über 1,3 Millionen Patienten parallel mit SSRI/SNRI und Triptanen behandelt. Die Fallberichte über ein Serotonin-Syndrom nehmen sich dagegen verschwindend gering aus. Auch wenn es in Einzelfällen vielleicht nicht erkannt wurde, so dürfte es sich dabei zumindest nicht um dramatische Verläufe gehandelt haben.


DAZ: Wie sieht die Situation in Deutschland aus? Gibt es hier Zahlen?

Haag: Hier gibt es meines Wissens nach keine Erhebungen. Auch in meiner klinischen Praxis habe ich unter entsprechenden Kombinationen noch kein Serotonin-Syndrom gesehen. In den Produkt-Informationen von Triptanen wird zwar teilweise vor einem Serotonin-Syndrom bei Therapie mit SSRI/SNRI gewarnt, das verunsichert aber meiner Meinung nach einzelne Patienten unnötig.


DAZ: Welchen konkreten Rat geben Sie Apothekern, die ja auch im Rahmen der Selbstmedikation mit diesem Problem konfrontiert sind?

Haag: Bei gleichzeitiger Einnahme mit einem Serotoninwiederaufnahmehemmer empfehle ich eines der drei Triptane, bei denen das Risiko aufgrund fehlender MAO-Interaktionen gering ist, also Eletriptan, Frovatriptan oder Naratriptan. Naratriptan steht für die Selbstmedikation zur Verfügung. Trotzdem gilt, es besteht theoretisch ein Risiko und sowohl Apotheker als auch Ärzte müssen auf jeden Fall entsprechend behandelte Patienten genau im Auge behalten. Wir müssen sie über die Symptome eines möglicherweise auftretenden Serotonin-Syndroms informieren und ihnen nahelegen, bei Auftreten entsprechender Symptome unbedingt einen Arzt aufzusuchen.


DAZ: Herr Professor Haag, vielen Dank für das Gespräch!


Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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