Wissen sie noch, was sie tun?
Man stelle sich einmal vor, die Gesundheitspolitiker im Deutschen Bundestag und in den einzelnen Bundesländern fordern in großer Einigkeit die Abschaffung der Zuzahlung für Arzneimittel. Begründet mit der Erkenntnis, dass sich die Arzneimittelzuzahlung in der Praxis als Steuerungsinstrument für die Arzneimittelausgaben in der GKV nicht bewährt hat. Belegt durch die passenden Zahlen unter Ausblendung der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts. Resultierender Einnahmenverlust für die GKV ca. zwei Milliarden Euro. Begründet auch mit öffentlichkeitswirksamen Befürchtungen, dass Menschen mit geringem Einkommen durch die in den Apotheken zu entrichtende Zuzahlung ihre Rezepte nicht einlösen und damit die für ihre Therapie verordneten Arzneimittel nicht anwenden. Dies mit Verweis auf Spätfolgen für die individuelle Gesundheit und daraus resultierenden hohen Behandlungskosten.
Bei der Arzneimittelzuzahlung undenkbar! Nicht bei der in den Arztpraxen zu entrichtenden Praxisgebühr, betrachtet man die gesundheitspolitische Diskussion in den letzten Wochen. Da haben Gesundheitspolitiker des Deutschen Bundestages und in den einzelnen Bundesländern mit exakt den gleichen Argumenten in großer Einigkeit (mit Ausnahme der CDU-regierten Bundesländer) die Abschaffung der Praxisgebühr gefordert. Einnahmenverlust für die GKV – vergleichbar zur Arzneimittelzuzahlung – ca. zwei Milliarden Euro. Bei einem Finanzpolster der GKV von 20 Milliarden Euro im Fall der Praxisgebühr scheinbar problemlos zu finanzieren. Übrigens in Verantwortung der gleichen Gesundheitspolitiker, die bei der berechtigten Forderung der Apotheker nach der existenziell notwendigen und lange fälligen Erhöhung ihrer Honorierung um 624 Millionen Euro so ihre Probleme haben!
Warum macht sich die Gesundheitspolitik für die Abschaffung der Praxisgebühr stark und nicht für die Abschaffung der Zuzahlung für Arzneimittel, bei der das vielfache Herumdoktern bei sogenannten Gesundheitsreformen der letzten Jahrzehnte nichts Greifbares gebracht hat – außer Zusatzeinnahmen der Krankenkassen? Eine Antwort der Gesundheitspolitiker auf diese Frage wäre für uns Apotheker, für die Wertschätzung unserer pharmazeutischen Tätigkeit mit Blick auf den vom Gesetzgeber veranlassten ständig wachsenden bürokratischen Aufwand sicherlich sehr aufschlussreich! Auch, da es für den Patienten (mit geringem Einkommen) im Grunde genommen egal sein kann, ob er seinen Zuzahlungs-Sonderbeitrag für seine Krankenkasse über die Arztpraxis oder die Apotheke entrichten muss, bis er seine individuelle Belastungs- bzw. Befreiungsgrenze erreicht. Spannend wäre auch eine Antwort auf die Frage, wem eigentlich ein Arztbesuch hilft, wenn danach vom von der Praxisgebühr entlasteten Patienten das für die Behandlung der diagnostizierten Erkrankung notwendige Arzneimittel aufgrund der Höhe der zu entrichtenden Zuzahlung nicht abgeholt wird?
Dr. Reinhard Giese, E-Mail: giese_reinhard@yahoo.de