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Inulin und Insulin

Chemisches Grundwissen – nicht nur für Diabetiker*

Nur ein "s" unterscheidet das Insulin vom Inulin. Die beiden so ähnlichen Wörter und die mit ihnen bezeichneten Substanzen sind aber nicht miteinander verwandt. Das zeigen ihre Etymologie und ihre Chemie.

Inulinhaltige Pflanzen

Der Alant (Inula helenium) ist ein aus Zentralasien stammender Korbblütler, der heute als Kulturpflanze in Europa weit verbreitet ist und schon in der Antike kulinarisch und arzneilich geschätzt wurde. Der knollig verdickte Wurzelstock wurde wegen des bitteren Geschmacks als Gewürz verwendet, wie der römische Koch Apicius (1. Jh. n. Chr.) überliefert. Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) und Plinius der Ältere (23 – 79 n. Chr.) berichten über dessen Verwendung als Mittel gegen Magenkrämpfe und Blähungen; auch gegen Husten war er geschätzt.

Alantwurzelstock (Helenii rhizoma) verdankt seinen bitteren Geschmack den Sesquiterpenlactonen, die aber auch die Haut und Schleimhäute reizen. Wegen der Risiken und mangelnder Wirksamkeitsbelege gilt er heute als obsolet.

Abb. 1: Inulin ist eine Stärke, die bis zu hundert Fructose-Bausteine und einen Glucose-Baustein enthält.

Der Berliner Apotheker Valentin Rose (1762 – 1807), der den Wurzelstock 1804 chemisch untersuchte, hat einer darin gefundenen Substanz die von Inula abgeleitete Bezeichnung Inulin gegeben. Inulin (Abb. 1) ist ein Reservestoff der Pflanze und wird daher auch als Alantstärke bezeichnet. Es ist ein Oligomer der Fructose (bis 100 "Bausteine") mit einer endständigen Glucose und ist mehr oder weniger wasserlöslich. Dagegen ist die aus Getreide oder Kartoffeln gewonnene Stärke, die aus längeren Ketten von Glucose besteht, in Wasser unlöslich.

Heute wird Inulin meist aus Zichorienwurzel (Cichorium intybus) gewonnen. Es kommt außerdem in den verwandten Gattungen Schwarzwurzel (Scorzonera), Löwenzahn (Taraxacum) und Dahlie (Dahlia) sowie in der Küchenzwiebel (Allium cepa) vor.

Besonders erwähnt sei die inulinhaltige Wurzelknolle des Topinamburs (Helianthus tuberosus), den schon die Indianer in Nordamerika anbauten. Französische Siedler in Kanada hatten dank der süßlich schmeckenden "Wunderknolle" um 1600 eine Hungersnot überlebt. Sie schickten sie nach Frankreich, wo sie auf großes Interesse stieß. Ein Gärtner in Rom bezeichnete die mit der Sonnenblume (H. annuus, ital. girasole) nah verwandte Pflanze als girasole articiocco; daraus haben sich die englischen Namen Jerusalem Artichoke und Girasol entwickelt.

Der Topinambur wurde in Europa als Nahrungs- und Futtermittel geschätzt, bis ihn die ergiebigere und lagerfähige Kartoffel seit Mitte des 18. Jh. verdrängte. Heute ist er gelegentlich auf Biomärkten zu finden.

Heutige Bedeutung von Inulin

Inulin ist Bestandteil von präbiotischen Nahrungsergänzungsmitteln, die für Patienten mit Diabetes mellitus geeignet sind. Da dem Menschen das Enzym Inulinase fehlt, wird Inulin im Dünndarm nicht abgebaut und nicht resorbiert. Es gelangt als Ballaststoff in den Enddarm, wo es bakteriell zu Milchsäure und Kohlendioxid abgebaut wird. Das saure Milieu im Darm hemmt pathogene Bakterien. Das Gas verursacht allerdings Flatulenzen.

Topinamburknollen hatten früher Bedeutung für die Herstellung von Fruchtzucker (Fructose). Das Einengen von Topinamburpresssaft, der auch etwas Inulinase enthält, führt zur Hydrolyse des Inulins und schließlich zu einem etwa 90%igen Fructosesirup, der als Süßungsmittel für Diabetiker geeignet ist, da Fructose den Blutzuckerspiegel (d. h. Blutglucosespiegel) nicht beeinflusst. Fructose hat die 1,5- bis 2-fache Süßkraft von Saccharose (Rüben- oder Rohrzucker).

Inulin kann nicht direkt alkoholisch vergoren werden, sondern die Gärung muss durch spezielle Enzym- und Hefepräparate in Gang gesetzt werden, und zuvor muss dem Maischvorgang der Topinamburknolle besondere Beachtung (z. B. Temperatur und pH-Wert) geschenkt werden. Durch die Destillation der vergorenen Maische erhält man Topinamburschnaps. Der deutsche Anbau von Topinambur erfolgt hauptsächlich in Baden, ebenso die Schnapsherstellung

Insulin

Dem Wort Insulin ist die Herkunft von dem Begriff Insel (lat. insula) leicht anzusehen. Aber um welche Insel handelt es sich?

Eine Insel ist ein begrenztes, "isoliertes" (ital. isola = Insel) Areal. 1869 entdeckte der Mediziner Paul Langerhans (1847 – 1888) im Gewebe der Bauchspeicheldrüse solche Inseln, die seither seinen Namen tragen.

Als Josef von Mering (1849 – 1908) und Oskar Minkowski (1858 – 1931) einem Hund die Bauchspeicheldrüse entfernten, lösten sie dadurch einen Diabetes aus. Damit rückten die Langerhans’schen Inseln in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Sie wurden als endokrines Gewebe erkannt, das bei allen Säugetieren vorkommt.

Der Name Insulin für die postulierte (noch unbekannte) Wirksubstanz taucht erstmals 1909 bei dem belgischen Pathologen Jean de Meyer (1878 – 1934) auf. Der deutsch-britische Physiologe Edward Albert Sharpey-Schafer (1850 – 1935) behauptete als erster, dass Insulin ein Hormon ist, das den Blutzuckerspiegel senkt.

1921 gelang Frederick G. Banting (1891 – 1941) und seinem Assistenten Charles Best (1899 – 1978) von der Universität Toronto die Extraktion von Insulin, das sie Isletin (engl. isle = Insel) nannten. Zwar hatte Nicolae Paulescu (1869 – 1931) in Bukarest schon 1916 Insulin aus Pankreasgewebe gewonnen, aber dieses Ergebnis erst 1921 in Paris veröffentlicht.

1923 ging der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie für die Entdeckung des Insulins an Frederick Banting und seinen Institutsdirektor in Toronto, den schottisch-kanadischen Physiologen James Richard MacLeod (1876 – 1935). Die Auswahl der Preisträger war umstritten, da Charles Best nicht berücksichtigt worden war.

1928 wies Oskar Wintersteiner (1898 – 1971) nach, dass Insulin ein Polypeptid ist. Frederick Sanger (geb. 1918) konnte die komplette Aminosäurensequenz des Insulins bestimmen und erhielt dafür 1958 den Nobelpreis für Chemie. 1963 gelang Helmut Zahn (1916 – 2004) in Aachen die erste Synthese von Insulin. Inzwischen wird es gentechnisch hergestellt.

Menschliches Insulin (Humaninsulin, Abb. 2) ist aus 51 Aminosäuren aufgebaut, die auf zwei Ketten (A und B) verteilt sind; die A-Kette setzt sich aus 21 Aminosäuren zusammen, die B-Kette aus 30. Insgesamt weist Insulin sechs Cystein-Bausteine mit drei Disulfidbrücken auf.

Abb. 2: Humaninsulin besteht aus 51 Aminosäuren, die sich auf zwei Ketten mit 21 bzw. 30 Aminosäuren verteilen.
* Herrn Prof. Dr. Eugen J. Verspohl in Münster mit den besten Wünschen zum Eintritt in den Ruhestand gewidmet.


In Gegenwart von Zink-Ionen bildet es Hexamere (Komplexbildung), wirksam ist jedoch nur das Monomer. Insulin hat eine biologische Halbwertzeit von fünf Minuten. Mit dem Gegenspieler Glucagon (ebenfalls ein Polypeptid) bildet es einen Regelkreis zur Regulierung des Blutzuckerspiegels.

Die ersten Insulinpräparate zur Behandlung von Menschen mit Diabetes wurden aus den Bauchspeicheldrüsen von Schlachtrindern hergestellt. Die Struktur des Rinderinsulins unterscheidet sich an drei Stellen vom Humaninsulin. Schweinepankreas war die zweite Quelle für die Insulingewinnung. Das Schweineinsulin weicht nur bei einer Aminosäure vom Humaninsulin ab.


Wolfgang Werner, Münster

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