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Eiszeit trotz Sommer

Peter Ditzel

Jetzt also doch wieder: Per Gerichtsbeschluss war das Arzneimittelabgabeterminal Visavia in der Versenkung verschwunden, nun befördert es die Rheinland-Pfälzische Gesundheitsministerin an die Oberfläche zurück (siehe hier). Vermutlich hat der Hersteller keine Ruhe gegeben. Mithilfe der Ministerin und einer universitären Begleitung soll ein Modellprojekt den Nutzen des Abgabeautomats herausarbeiten. Ziel wäre dann wohl ein lex rowa. Zur Erinnerung: Der Kunde steckt sein Rezept ins Terminal, es wird gescannt, bedruckt und jetzt – neu – signiert. Über ein Ausgabefach, das vom einem Kommissionierautomat beschickt wird, erhält der Kunde, der zwecks Beratung per Video-Bildschirm mit einem Apotheker verbunden ist, seine Arzneimittel. Als derzeitige Begründung für ein solches Terminal dienen "neue Herausforderungen im ländlichen Raum". Laut Ministerium und Hersteller soll sich ein "erhöhter Nutzen für die Bevölkerung durch eine ergänzende Medikamentenabgabe durch ein Terminal insbesondere außerhalb der Kernöffnungszeiten der Apotheke" ergeben. Die Ministerin: Keine Konkurrenz zur Apotheke, sondern Bestandteil der Apotheke, da an eine Präsenzapotheke angeschlossen. Vorstellbar ist z. B., dass der Automat als ständiges Nachtdienst-Terminal arbeitet und der Apotheker die Beratung praktisch von zu Hause aus per Videoverbindung erledigt.

Die pleite gegangene Cobox zielte bekanntlich in eine ähnliche Richtung mit dem Unterschied, dass die Arzneimittel von der Apotheke gebracht werden mussten, während hier ein Kommissionierer angeschlossen ist und die Arzneimittel gleich in die Hände des Kunden liefert.

Als das Bundesverwaltungsgericht vor zwei Jahren dem Visavia-Terminal eine Absage erteilte, lautete die Begründung: Das Terminal genügt nicht den Dokumentationspflichten der Apothekenbetriebsordnung. Außerdem verstößt die Bedienung des Terminals durch das Personal eines gewerblichen Dienstleisters gegen die Pflicht des Apothekenleiters zur persönlichen Leitung der Apotheke in eigener Verantwortung. Das nahm sich der Terminal-Hersteller zu Herzen. Er baute eine elektronische Signatur ein und die Apotheker, die die Beratung vornehmen, sind nicht mehr Angestellte des Terminalherstellers, sondern die Apotheker in den teilnehmenden Orten, die sich nun, oh Wunder, per Arbeitsverträge gegenseitig vertreten können. Und: Dieses Mal sitzt eine Ministerin mit im Boot bzw. mit "am Terminal". Auch wenn so hehre Ziele wie bessere Versorgung der Landbevölkerung u. ä. aufgefahren werden: Das Ganze zeigt in eine andere Richtung. In nicht allzu ferner Zukunft gibt es die menschenlose Container-Apo in ländlichen Gebieten: Im Container steckt ein Kommissionierer, an der Vorderseite ist das Terminal angebracht. Ein Apotheker, der in der weiter entfernten Stadt sitzt, überwacht mehrere Container und berät die Kunden per Video. Das Apothekensterben auf dem Lande kann beginnen, das Ministerium kann sich rühmen, die Versorgung per Container-Apos sicherzustellen. Schöne neue Eiszeit-Welt.

Bis es soweit ist, müssen wir uns noch mit Interpretationsmöglichkeiten bei der neuen Apothekenbetriebsordnung herumschlagen, beispielsweise bei der Zustellung per Boten. Der ABDA-Justiziar geht eiskalt davon aus, dass Arzneimittel im Rahmen des Botendienstes ausschließlich durch pharmazeutisches Personal ausgeliefert werden dürfen, falls vorher in der Apotheke keine Beratung durch pharmazeutisches Personal stattgefunden hat. Selbst die Möglichkeit einer telefonischen Beratung sieht er nicht als Option – und verschafft der Präsenzapotheke dadurch erhebliche Nachteile. Da zudem eine PTA an der Haustür des Patienten von der Apotheke aus schlecht beaufsichtigt werden könnte, würde dies in letzter Konsequenz bedeuten, dass nur noch Apotheker selbst den Boten spielen dürften.

Das sehen andere Experten allerdings vollkommen anders, wie eine Seminarreihe des Deutschen Apotheker Verlags zeigte (siehe hier). Und selbst das Gesundheitsministerium signalisierte, dass in bestimmten Fällen eine telefonische Beratung im Rahmen des Botendienstes mal möglich sein könne.

Im Meinungsstreit befindet sich auch die Frage, ob die Versandapotheke in allen Fällen den Patienten anrufen muss, um ihn zu beraten. Da besteht noch Klärungsbedarf.

Eiszeit im Sommer – bei den Honorarforderungen der Apotheker. Noch immer ist kein klares Zugeständnis in Sicht. Werden Rezepturhonorar, BtM- und Notdienstaufschläge angehoben? Was wird aus dem Kassenabschlag von 2,05 Euro? Wie geht es weiter mit dem Fixaufschlag von 8,10 Euro? Für den Gesundheitspolitiker Spahn sind immerhin eine Erhöhung auf 8,35 "vorstellbar" (siehe hier). Für die Apotheken wäre das ein Almosen. Das darf so nicht mehr weitergehen. Warum lässt man die Apotheken so eiskalt hängen? Warum koppelt man sie von jeder wirtschaftlichen Entwicklung ab? Selbst wenn man von Geheimplänen höchster politischer und sonstiger Kreise nichts hält – so nach und nach schiebt sich der Gedanke vor, da könnte Methode im Spiel sein.

Peter Ditzel

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