Fortbildung

"By mouth, by the ladder, by the clock and for the individual"

Strukturierte Schmerztherapie bei Palliativpatienten

Gemäß den Empfehlungen der WHO sollte die Schmerztherapie nach Möglichkeit oral, gemäß dem Stufenschema, einem festen Zeitplan folgend und patientenindividuell sein. Diese allgemeinen Vorgaben gelten auch für die Schmerztherapie bei Palliativpatienten, allerdings unter der Berücksichtigung, dass das Ziel - eine zufriedenstellende Analgesie - rasch erreicht werden muss, da den Patienten unter Umständen nur noch wenig Lebenszeit verbleibt, so Constanze Rémi, München.
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Constanze Rémi

Die Schmerztherapie bei Palliativpatienten richtet sich nach dem WHO-Stufenschema einschließlich der Gabe von Co-Analgetika. Um eine regelmäßige Einnahme des Analgetikums zu gewährleisten, müssen ausführliche Einnahmepläne erstellt werden, in denen die Wirkdauer des Präparates, aber auch die individuellen Gewohnheiten des Patienten berücksichtigt werden. Der Patient erhält neben der Basismedikation eine Bedarfsmedikation, um Durchbruchschmerzen zu kupieren. Die Wirkung der Bedarfsmedikation muss rasch einsetzen (es darf also keine retardierte Arzneiform gewählt werden) und sollte ein Zehntel bis ein Sechstel der Tagesdosis betragen und nicht mehr als viermal täglich appliziert werden. Wird mit diesem Schema keine ausreichende Schmerzstillung erzielt, muss die Basismedikation geändert werden. Die Therapie der Durchbruchschmerzen ist nicht unproblematisch, zumal Schmerzepisoden beim Tumorschmerz mitunter selbstlimitierend sind und nach 15 bis 30 Minuten abklingen, die Wirkung der Bedarfsmedikation dann erst bei nachlassendem Schmerz eintritt. Den häufigen Einsatz von transmukosalen Fentanyl-Zubereitungen sieht Rémi kritisch und nicht immer indiziert. Bei transmukosalen Fentanyl-Gaben ist zu beachten, dass die Dosistitration schwierig ist, der Patient mitunter nicht mit der Anwendung zurechtkommt (schwer zu handhabende Sicherheitsverpackung), das Abhängigkeitspotenzial unbekannt ist und die Zubereitungen teuer sind. Zudem haben die verschiedenen transmukosalen Fentanyl-Präparate unterschiedliche pharmakokinetische Profile und dürfen nicht im Verhältnis eins zu eins gegeneinander ausgetauscht werden.


Opioid-induzierte Hyperanalgesie


Unter einer Opioid-induzierten Hyperanalgesie versteht man eine paradoxe Antwort auf die Therapie mit einem Opioid-Agonisten. Anzeichen sind eine sich schnell entwickelnde Toleranz, eine nur kurzfristige Schmerzlinderung nach Dosiserhöhungen sowie eine Veränderung des Schmerzmusters. Wie es zu einer Opioid-induzierten Hyperanalgesie kommt, ist nicht genau bekannt. Wahrscheinlich ist sie die Folge einer anhaltenden Sensibilisierung des Nervensystems, an der das stimulierende Neurotransmitter-System und der NMDA-Rezeptor-Kanal-Komplex beteiligt sind. Liegt eine Opioid-induzierte Hyperanalgesie vor, wird ein anderes Opioid eingesetzt (Opioidrotation); eventuell zusätzlich Ketamin gegeben. Des Weiteren kommen die zusätzliche Gabe von Analgetika der WHO-Stufe 1 und von Co-Analgetika in Betracht.

Häufige Fehler bei der Schmerztherapie

Bei einer Opioidtherapie ist die Gabe eines Laxans unerlässlich, um der Obstipation vorzubeugen. Weitere typische Opioidwirkungen wie Übelkeit und Sedierung sind in der Regel passager und lassen nach einigen Tagen nach. Die Nebenwirkungen einer Opioidtherapie müssen mit dem Patienten besprochen werden, um Vorbehalte abzubauen. Dasselbe gilt für mögliche Ängste vor einer Opioideinnahme, die bei Patienten und Angehörigen bestehen können. Weitere Fehler, die den Erfolg einer Schmerztherapie schmälern oder verhindern, sind:

  • Verschreibung nach Bedarf
  • Wahl einer Standarddosierung
  • Verordnung eines zu schwachen oder zu starken Analgetikums
  • verordneter Arzneistoff passt nicht zur Schmerzart
  • Wahl einer falschen Kombination
  • keine Gabe von Co-Analgetika
  • es wird kein Therapieziel vereinbart

Die richtige Wahl des Analgetikums ist nur ein Baustein der Schmerztherapie, die den Menschen im Kontext seiner individuellen Schmerzwahrnehmung sehen muss. Sein Schmerz hat nicht nur körperliche, sondern auch spirituelle, psychische und soziale Komponenten, die nicht medikamentös therapiert werden können. "Die tiefe Einsamkeit ist für Medikamente unerreichbar." Die Forderung, dem Schmerz auf dessen unterschiedlichen Ebenen zu begegnen, geht auf Cicely Saunders und auf deren Vorstellung eines total-pain-management zurück.


pj



DAZ 2012, Nr. 24, S. 56

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