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"Aufregen darf sich nur, wer sich auch aktiv einmischt"

Die ADEXA-Tarifkommission (Folge 4)

Tarifverhandlungen sind kein Selbstgänger: Sie bedürfen einer gründlichen Vorbereitung durch die ADEXA-Tarifkommission; auch die Gespräche selbst und die Abstimmung über Vorschläge der Arbeitgeberseite sind oft zeitaufwendig. Die ehrenamtlichen Mitglieder leisten diese Arbeit für alle Kolleginnen und Kollegen, die von den Tarifabschlüssen profitieren. Ein Gespräch mit Necdet Kalipcioglu:
Zur Person: Necdet Kalipcioglu hat von 1996 bis 2002 in Frankfurt Pharmazie studiert. Er ist 41 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Seit 2002 arbeitet er in einer Apotheke in der Nähe von Frankfurt. Foto: privat

Herr Kalipcioglu, was macht Ihnen an Ihrer pharmazeutischen Arbeit Spaß, und was nervt?

Kalipcioglu: Der Apothekerberuf hat in den letzten Jahren wirklich sehr gelitten. Zwar klagen alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen über unsinnige Bürokratie, die keinem Menschen einen Mehrwert bringt. Aber ich habe mittlerweile das Gefühl, dass die Politik die Apotheke in den letzten Jahren zum absoluten Stiefkind erklärt hat. Man könnte viele Beispiele anbringen, die einem das Arbeiten sehr erschweren: angefangen von diversen Problemen aus dem Hilfsmittelbereich, unsinnigen Reimportquoten bis hin zu Pharmaunternehmen, die unter der schützenden Hand der Politik mit Kampfpreisen Ausschreibungen gewinnen, ohne diesen Vertrag erfüllen zu können – und es zu monatelangen Lieferverzögerungen kommt. Das Ärgerlichste ist, dass alle diese Probleme den verantwortlichen Politikern bekannt sind und Abhilfe ohne Mehrkosten möglich wäre – und es dennoch nicht getan wird. Auch wenn man manchmal das Gefühl hat, dass bei solch misslungener Politik die ganze Mühe an der Basis wie Kabinen putzen auf der Titanic ist, wollen wir natürlich nicht nur jammern, sondern auch das Positive herausstellen. Die Apotheke ist für viele Menschen bei Gesundheitsfragen immer noch eine sehr wichtige Anlaufstelle. Bei allem Stress und Ärger macht dieser Beruf noch Spaß, weil man in den meisten Apotheken sehr viele Stammkunden hat, die einem ans Herz wachsen. Wir hören und sehen natürlich auch viel Leid. Da muss man schon zuhören können, sonst ist man fehl am Platz. Die fachliche Kompetenz, die von vielen Kollegen mit zahlreichen Fortbildungen immer wieder propagiert wird, ist nur die eine Seite dieser Tätigkeit. Ich finde, die soziale Kompetenz ist die entscheidendere. Ein Kunde mit einem Hirntumor braucht keine wissenschaftlichen Vorträge über seine Medikamente, sondern jemanden, der ein Auge drauf hat, ob die Compliance passt, und eine gute Betreuung bei den unvermeidbaren Nebenwirkungen. Da ist jemand, der das medizinisch bzw. pharmazeutisch einordnen und zuhören kann, eine wirkliche Unterstützung für den Kunden.


Sie sind Vorsitzender im Landesvorstand Hessen bei ADEXA. Warum setzen Sie sich ehrenamtlich in der Gewerkschaft ein?

Kalipcioglu: Auf einem Infotreff wurde ich von ADEXA-Aktiven gefragt, ob ich nicht kandidieren wolle. Mit dem Gedanken hatte ich schon länger gespielt und ihn dann bei der nächsten Wahl umgesetzt. Ich finde ehrenamtliche Tätigkeiten in allen Bereichen unserer Gesellschaft ganz wichtig. Es gehört zu einer Demokratie dazu, dass die Menschen sich direkt an der Basis einbringen. Das ist natürlich nicht immer ganz einfach, aber Demokratie ist nun mal anstrengend. Ich finde, aufregen darf sich nur der, der sich aktiv einmischt.


Was hat Sie motiviert, für die Tarifkommission zu kandidieren und sich dort für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen?

Kalipcioglu: Die Tarifkommission ist das Herzstück jeder Gewerkschaft. Dort werden die Gehälter und übrigen Rahmenbedingungen verhandelt, die für alle Angestellten von großer Bedeutung sind. Deshalb ist die Tarifkommission mir persönlich besonders wichtig.


Und was sind Ihre tarifpolitischen Ziele?

Kalipcioglu: Die Apothekenangestellten konnten in den letzten Jahren mit der allgemeinen Lohnentwicklung kaum mithalten. Dies hat natürlich auch mit den zahlreichen Reformen in Apotheken zu tun. Denn auch wenn uns manchmal das Gegenteil vorgeworfen wird, haben wir die Situation der Arbeitgeber mit im Blick. Aber dauerhafter Lohnverzicht ist keine Lösung, sondern eine Sackgasse. Wenn PTA-Schulen mangels Bewerbungen schließen, dann liegt das eben auch an den Verdienstmöglichkeiten in unserer Branche. Ich bin überzeugt, dass sich die Personalsituation in Apotheken noch verschärfen wird. Und es wird schwieriger werden, gutes Personal zu finden, wenn die Tarife so bleiben würden, wie sie sind. Hier ist nicht nur die Politik gefragt, sondern die Arbeitgeber müssen durch gute Tarifabschlüsse die Arbeitsplätze attraktiv halten. Die Formel "mehr Geld von den Kassen = mehr Geld für die Angestellten" ist nämlich leider kein Selbstgänger, sondern wird erst durch Tarifverhandlungen verbindlich festgelegt. Welche Auswirkungen ein tarifloser Zustand mit sich bringt, sieht man im Apothekenbereich leider nur zu deutlich im Freistaat Sachsen – bis hin zum Lohndumping. Deshalb lautet mein Appell an den verantwortlichen Sächsischen Apothekerverband, diesen zu beenden.


Wie beurteilen Sie die tarifliche Altersvorsorge? Ist das auch für Approbierte sinnvoll? Wie sorgen Sie selbst fürs Alter vor?

Kalipcioglu: ADEXA und ADA haben es geschafft, für die Angestellten einen vernünftigen Gruppenvertrag auszuhandeln. Auch wenn die Politik versucht, die gesetzlichen Alterssicherungssysteme zu stützen und zu stabilisieren, sind die Ansprüche von Angestellten an die umlagefinanzierten Systeme doch enorm gesunken. Immer wieder wird auch an diesen kapitalgedeckten Altersvorsorgesystemen Kritik geübt, jedoch wird meiner Überzeugung nach diese Form in den nächsten Jahren eher zunehmen. Wer sich entscheidet, hier fürs Alter vorzusorgen, hat mit diesem Vertrag eine seriöse und transparente Möglichkeit, dies zu tun. Je früher man anfängt, desto besser ist das. Bei den Approbierten ist es so, dass sie über die berufsständischen Versorgungswerke in der Regel höhere Ansprüche erwerben als in der gesetzlichen Rentenversicherung. Aber auch für diese Berufsgruppe ist eine private Vorsorge unumgänglich, da es hier auch sehr viele Teilzeitkräfte gibt, die zum Teil jahrelange Lücken in ihrer Erwerbsbiographie haben – zum Beispiel wegen Kindererziehung. Ich selbst habe die ApothekenRente auch abgeschlossen und zahle auch zusätzlich zum Arbeitgeberbeitrag noch etwas ein.


Stichwort "Tarife fallen nicht vom Himmel": Was würden Sie nicht gewerkschaftlich organisierten Kollegen sagen? Ärgern Sie sich manchmal über eine Trittbrettfahrermentalität?

Kalipcioglu: Ich würde ihnen sagen, dass Solidarität eine ganz, ganz wichtige Sache ist. Trittbrettfahrermentalität ärgert mich sehr, aber besonders dann, wenn "Nicht-Mitglieder" jedes kleinste Detail und jede Eventualität am Arbeitsplatz geregelt haben wollen und auch noch enttäuscht und verärgert reagieren, wenn die wünschenswerten Lohnabschlüsse nicht kommen. Aber dennoch, eine Mitgliedschaft sollte immer eine freiwillige, aus Überzeugung hervorgegangene Entscheidung sein.


Herr Kalipcioglu, vielen Dank für das Interview!


Die Fragen stellte Dr. Sigrid Joachimsthaler



DAZ 2012, Nr. 24, S. 81

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