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Grüne: Cannabis-Arzneimittel für mehr Patienten

Diskussion im Gesundheitsausschuss des Bundestages über Cannabis in der Medizin

BERLIN (svs). Cannabis-Arzneimittel könnten vielen Schwerkranken helfen – das ist durch wissenschaftliche Studien belegt. Doch es gibt viele rechtliche Hürden, die den Patienten den Zugang zu Medizinal-Cannabis oder Arzneimitteln mit aus Cannabis gewonnenen Wirkstoffen erschweren. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen die teuren Therapiekosten oft nicht übernehmen. Das wollen die Grünen ändern: Sie beantragten im Bundestag, betroffenen Patientinnen und Patienten Zugang zu medizinischem Cannabis zu ermöglichen. Letzte Woche fand die Anhörung im Gesundheitsausschuss statt.
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Häufiger als bislang soll nach Wunsch der Grünen eine Cannabinoid-Therapieauf Rezept verordnet werden können. Von Sachverständigen wird der Vorstoß unterstützt.

Für die Grünen und den Großteil der 23 geladenen Sachverständigen steht fest: Cannabis und seine Inhaltsstoffe können die Beschwerden vieler Krankheiten wie HIV, Krebs, Epilepsie und chronische Schmerzen lindern. Die Stoffe werden vor allem dann eingesetzt, wenn herkömmliche Therapiealternativen versagt haben. Sativex® ist bisher deutschlandweit das einzige zugelassene Arzneimittel auf Cannabis-Basis. Das Betäubungsmittel (BtM) enthält Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol und ist seit Mai 2011 als Zusatztherapeutikum bei multipler Sklerose zugelassen. Innerhalb dieses Zulassungsbereiches kommen die Kassen für die Therapiekosten auf. Damit profitiert bisher ein eingeschränkter Personenkreis von der Cannabinoid-Therapie.

Grüne: unzureichende Versorgung

Die Grünen bemängeln, nach wie vor sei die Versorgung bedürftiger Patienten mit Cannabisprodukten unzureichend. Betroffene könnten zwar beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Anträge zur therapeutischen Verwendung von Cannabisextrakt oder Cannabisblüten beantragen. Bisher habe die Behörde in etwa 50 Fällen eine entsprechende Erlaubnis erteilt. Die monatlichen Therapiekosten – je nach Bedarf bis 1500 Euro – müssten die Patienten allerdings selbst tragen. Dronabinol, ein teilsynthetisches Cannabinoid, ist in Deutschland nicht zugelassen, darf aber aufgrund einer BtM-Verschreibung in Rezepturen verarbeitet werden. Auch hier verhindern die hohen Kosten – pro Monat bis zu 600 Euro – häufig, dass die Patienten sich die Therapie langfristig leisten können. Forderungen von Betroffenen, die Pflanzen selbst anzubauen und so Geld zu sparen, wurde bisher nicht stattgegeben. Aus diesen Gründen "verschaffen sich viele bedürftige Patienten Cannabis auf andere Weise und geraten so unweigerlich mit dem Betäubungsmittelgesetz in Konflikt", schreiben die Grünen.

In ihrem Antrag verlangt die Grünen-Fraktion von der Bundesregierung unter anderem einen Gesetzentwurf vorzulegen, um betäubungsmittelrechtliche Strafverfahren bei Patienten zu vermeiden, "wenn sie Cannabis auf der Basis einer ärztlichen Empfehlung besitzen, anbauen oder sich verschaffen". Es sei ein Verfahren zu entwickeln, nach dem ärztliche Empfehlungen für die Verwendung von Cannabis-Medikamenten anhand einer Liste von Indikationen aufgestellt und nachgewiesen werden können. Außerdem plädieren die Grünen dafür, schwerstkranken jedoch nicht an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung leidenden Patienten einen Anspruch auf Kostenübernahme für Medikamente im Off label use zu ermöglichen.

Die Meinungen der Sachverständigen

Professor Lukas Radbruch, Facharzt für Anästhesiologie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, sieht keinen Grund dafür, die Anwendung medizinischer Cannabisprodukte auf tödliche Erkrankungen zu beschränken. Allerdings gebe es bisher zu wenige Studien mit hohem Evidenzniveau, die einen Nutzen der Behandlung beweisen. Laut Professor Thomas Henze, Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, profitieren viele Patienten von einer Behandlung.

Der Sachverständige Professor Lorenz Böllinger sagte: Wahrscheinlich würden sich weniger Betroffene Cannabis-Produkte illegal beschaffen, wenn die Krankenkassen ihnen die Therapie bezahlen. Georg Wurth vom Deutschen Hanf Verband und Gabriele Gebhardt von der Patientenvereinigung Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin erläuterten anhand von Beispielen, wie kompliziert die finanzielle und rechtliche Lage von Betroffenen sei. Viele Patienten seien in der Vergangenheit zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt worden.

Mindere Qualität bei Eigenanbau

Den Eigenanbau von Cannabis zum therapeutischen Gebrauch lehnt Professor Friedemann Paul, Leiter der Hochschulambulanz für Neuroimmunologie an der Berliner Charité, ab. Die genaue Zusammensetzung der selbst gezüchteten Pflanzen sei unbekannt, das gehe mit Wirkschwankungen einher. Außerdem sei nicht abzuschätzen, wie stark die Pflanzen mit Schadstoffen kontaminiert sind. Dr. Eberhard Pirich vom Phytohersteller Bionorica und Radbruch sprachen sich ebenfalls gegen den Gebrauch von selbst angebautem Cannabis aus. Hingegen betonte die Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft für Cannabis als Medizin, Dr. Sylvia Mieke, dass Patienten eine geringere Qualität in Kauf nehmen würden, um zu sparen.

Die von den Grünen geforderte Indikationsliste hält Paul für "absolut sinnvoll". So könnten Erfahrungen gesammelt und gebündelt werden, erklärte er. Laut Stephan Simon vom GKV-Spitzenverband gehe aus der Forderung hervor, dass ein "Bunter Strauß von Erkrankten behandelt werden soll". "Wir lehnen eine solche Pauschalisierung ab", stellte er vor den Abgeordneten klar. Simon erklärte weiterhin, die Voraussetzungen für eine generelle Kostenübernahme einer Therapie mit Cannabis oder Cannabis-haltigen Arzneimitteln durch die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht gegeben. Damit die Kasse die Behandlung bezahlt, müsse das jeweilige Arzneimittel zugelassen sein. Im Einzelfall werde geprüft, ob eine Erstattungsfähigkeit vorliege.



DAZ 2012, Nr. 20, S. 33

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