Arzneimittel und Therapie

Alemtuzumab bei multipler Sklerose auf dem Prüfstand

Deutlich weniger Schübe als unter Betainterferon

Der monoklonale Antikörper Alemtuzumab, der sich gegen das Oberflächenantigen CD52 richtet, gilt als viel versprechende Therapieoption bei multipler Sklerose. Er wird derzeit in einem umfassenden Studienprogramm bei therapienaiven und therapieerfahrenen Patienten mit einem Betainterferon verglichen. Die bisher publizierten Daten zeigen bei nicht vorbehandelten Patienten eine Reduktion der Schubrate um etwa 70% und einen günstigen Effekt auf die Behinderungsprogression. Auch bereits vorbehandelte Patienten scheinen zu profitieren. Als Nebenwirkungen müssen neben Infekten Schilddrüsenfunktionsstörungen und eine idiopathische Thrombozytopenie im Auge behalten werden.

In der Therapie der multiplen Sklerose (MS) wurde in den vergangenen Jahren viel erreicht. Die Frühtherapie mit einer langfristigen immunmodulierenden Behandlung mit Interferonen wie Interferon beta-1b (Betaferon®) verbessert die Prognose signifikant. Die jährliche Schubrate wird reduziert, die Progression verzögert. 16-Jahres-Daten aus der Nachbeobachtung von Patienten aus der Zulassungsstudie von Interferon beta-1b zeigen, dass die Entwicklung einer Behinderung, gemessen anhand des EDDS (Expanded Disability Status Scale), langsamer fortschreitet. Die aktuell präsentierten 21-Jahres-Daten zeigen einen signifikanten Überlebensvorteil für Patienten, die frühzeitig und konsequent mit Interferon beta-1b behandelt wurden. "Wenngleich es sich um Daten aus einer Beobachtungsstudie handelt, so belegen sie doch die hohe Bedeutung einer frühen Intervention und anhaltenden immunmodulierenden Behandlung der MS", kommentierte Dr. Sven Schippling, Zürich.

Umfangreiches Studienprogramm mit Alemtuzumab

Die Therapieoptionen bei MS sind dennoch nicht zufriedenstellend, Grund genug für weitere Forschungsanstrengungen. Zu den möglichen Optionen, die derzeit untersucht werden, gehört auch der humanisierte monoklonale Antikörper Alemtuzumab, wie auf der von Bayer HealthCare veranstalteten Pressekonferenz "Innovationen, Kooperationen und Visionen in der Neurologie" in Berlin am 2. März 2012 zu hören war. Er richtet sich gegen das auf der Oberfläche von B- und T-Zellen exprimierte Antigen CD-52 und bewirkt komplementvermittelt eine Depletion der CD-52-positiven Immunzellen. Zugelassen ist er bislang in Europa und den USA zur Therapie der chronisch lymphatischen Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL). Dass dieses Wirkprinzip auch bei MS relevant ist, zeigten erste Pilotstudien bei Patienten mit RRMS (Relapsing/Remitting MS) und SPMS (sekundär progredienter MS). Dabei konnte eine drastische Reduktion der jährlichen Schubraten von 2,2 bzw. 0,7 auf 0,19 bzw. 0,001 erreicht werden. "Das sind Zahlen, die wir vorher nie gesehen haben", so Prof. Dr. Volker Limmroth, Köln. Um den klinischen Stellenwert von Alemtuzumab bei MS zu untersuchen, wurde ein umfangreiches Studienprogramm aufgelegt. Die Phase-II-Studie CAMMS223 (Campath-1H in Multiple Sclerosis-Studie) sowie die beiden Phase-III-Studien CARE-MS (Comparison of Alemtuzumab and Rebif Efficacy in Multiple Sclerosis) I und II vergleichen Alemtuzumab mit Interferon-beta 1a bei therapienaiven und therapieerfahrenen Patienten. Die Studiendauer lag jeweils bei zwei Jahren, gefolgt von einer dreijährigen Extensionsphase.

CAMMS223: Schubreduktion um 70% bei Therapienaiven

Bereits publiziert sind die Daten von CAMMS223, einer randomisierten, offenen, dreiarmigen Studie, die Alemtuzumab in den Dosen 12 mg und 24 mg mit Interferon beta 1a bei 334 Patienten mit früher RRMS verglich. Dabei reduzierte Alemtuzumab die Zahl der Schübe um 70%. "Im Vergleich zu Placebo würde der Unterschied wohl mindestens 90% betragen", kommentierte Limmroth. Nach fünf Jahren lag die jährliche Schubrate bei 0,35 gegenüber 0,11. Die Reduktion der Schubrate blieb damit auch langfristig erhalten. Parallel zur Schubreduktion ging auch die Behinderungsprogression zurück. Während die Behinderung innerhalb des Beobachtungszeitraums unter dem Interferon fortschritt, verbesserten sich die Patienten um 0,3 Punkte nach 60 Monaten.

CARE-MS I: hohe Retentionsrate

Auch die Daten aus der CARE-MS I-Studie liegen bereits auf dem Tisch. Behandelt wurden therapienaive RRMS-Patienten mit einer medianen Krankheitsdauer von 1,7 Jahren entweder mit Alemtuzumab (n = 376) oder Interferon beta 1a (n = 187). Limmroth betonte die hohe Retentionsrate: Knapp 98% beendeten die Studie unter Alemtuzumab, 92% unter Interferon. Beobachtet wurde eine signifikante Reduktion der jährlichen Schubrate um 54,9% innerhalb von zwei Jahren. Ein Effekt auf den EDSS war in diesem frühen Krankheitsstadium noch nicht erkennbar. Bei den vorbehandelten Patienten in CARE-MS II zeigen erste Daten ebenfalls eine Reduktion der jährlichen Schubrate um etwa die Hälfte und eine Verbesserung der Behinderungsprogression.

"Verträglichkeit in adäquatem Verhältnis zur Wirkung"

Die Verträglichkeit von Alemtuzumab steht laut Limmroth in einem "adäquaten Verhältnis zur Wirkung". Infekte treten unter Alemtuzumab insgesamt häufiger auf als unter Interferon-beta (67% vs. 46%), der Unterschied bei schweren Infekten war nicht signifikant (1,9% vs. 1,1%). "Aber man muss ein waches Auge darauf haben", so Limmroth. Schilddrüsenfunktionsstörungen und idiopathische Thrombozytopenie als Ausdruck Antikörper-vermittelter Autoimmunität sind selten, aber möglich.


Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2012, Nr. 20, S. 43

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