Arzneimittel und Therapie

Tabakentzug mit Risiken

"Vareniclin nicht Mittel der 1. Wahl!"

2007 wurde mit Vareniclin (Champix®) eine Alternative zu den bisherigen medikamentösen Raucherentwöhnungsmitteln in Deutschland auf den Markt gebracht. Sie sollte erfolgreicher als Nicotinersatzpräparate oder Bupropion den Weg zum Nichtraucher weisen. Oft wurde und wird Vareniclin als Mittel der ersten Wahl eingesetzt. Doch Studien, die auf eine erhöhte Selbstmordgefahr und kardiovaskuläre Risiken hinweisen (s. Kästen), sorgen für Verunsicherung [1, 2].
Prof. Dr. Anil Batra

Vor diesem Hintergrund hatten die EMA und die FDA noch im Juli bzw. Oktober 2011 eine positive Nutzen-Risiko-Bewertung abgegeben. Allerdings werden Forderungen laut, Vareniclin erst dann einzusetzen, wenn andere Bemühungen fehlgeschlagen sind. Auch Prof. Dr. Anil Batra, Leiter der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung der Universität Tübingen, mahnt im Gespräch mit der DAZ zur Vorsicht.

DAZ: Professor Batra, eine Metaanalyse von Curt Furberg et al. hat ein geringfügig erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Vareniclin erkennen lassen, eine von der gleichen Arbeitsgruppe durchgeführte Auswertung von AERS-Daten erhärtet den Verdacht, dass Vareniclin das Risiko für neuro psychiatrische Nebenwirkungen verstärkt. Wie bewerten Sie diese Daten?

Batra: Die angesprochene Metaanalyse von Furberg et al. ist eine sorgfältig durchgeführte Studie, die tatsächlich eine signifikant höhere Rate kardiovaskulärer Ereignisse unter Vareniclin im Vergleich zu Placebo ergeben hat. Allerdings sind die absoluten Zahlen sehr gering. Gleiches gilt für die Zahl der Todesfälle, die in der Placebo-Gruppe etwas häufiger aufgetreten sind. Dies ist von den Autoren der Studie nicht interpretiert worden, vermutlich weil die kausale Zuordnung schwer ist. Es ist durchaus möglich, dass Vareniclin das Risiko für kardiovaskuläre Folgen aufgrund einer – bekannten – leichten Blutdrucksteigerung erhöht. Dieses gering erhöhte Risiko muss man im Hinterkopf haben, wenn man eine Raucherentwöhnung mit Vareniclin erwägt und muss entsprechend vorsichtig sein, vorsichtiger als beispielsweise bei einer Nicotinersatztherapie.


Kardiovaskuläre Risiken unter Vareniclin


In der im Canadian Medical Association Journal veröffentlichten Metaanalyse war in randomisierten klinischen Studien mit insgesamt 8216 Teilnehmern, die entweder Placebo oder Vareniclin erhalten hatten, die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen untersucht worden [1]. In beiden Gruppen waren kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Rhythmusstörungen oder kardiovaskulärer Tod selten, allerdings war die Häufigkeit in der Vareniclin-Gruppe mit 52 von 4908 Teilnehmern (1,06%) im Vergleich zu Placebo mit 27 von 3308 Teilnehmern (0,82%) erhöht. Um Aussagen zur Sterblichkeit treffen zu können, war die Zahl der Todesfälle zu gering.

Für den Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (CHMP) ist die Aussagekraft der Metaanalyse wegen der geringen Zahl der Ereignisse, einer höheren Drop-out-Rate in der Placebogruppe, fehlender Informationen zum Zeitpunkt der Ereignisse und dem Ausschluss von Studien, in denen keine kardiovaskulären Ereignisse aufgetreten sind, begrenzt. Allerdings wurde Pfizer, der Hersteller von Vareniclin, aufgefordert, in die Produktinformationen weitere Informationen zu kardiovaskulären Ereignissen aufzunehmen. In den USA wurden die Produktinformationen zu Vareniclin inzwischen um Hinweise zur Wirksamkeit und Sicherheit erweitert. Unter anderem wurden zusätzliche Informationen für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen aufgenommen. Verwiesen wird auf eine Studie, in der Vareniclin erfolgreich zur Aufgabe des Rauchens beigetragen hatte, in der aber auch ein geringfügig erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse unter Vareniclin aufgefallen war. Deshalb sollte bei Vorliegen von kardiovaskulären Erkrankungen der zu erwartende Nutzen von Vareniclin gegen das kardiovaskuläre Risiko abgewogen werden.

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DAZ: Beunruhigender scheinen allerdings die AERS-Daten zu neuropsychiatrischen Nebenwirkungen zu sein. Allein 90% der Fälle gingen auf das Konto von Vareniclin, nur 7% auf das von Bupropion und lediglich 3% auf das einer Nicotinersatztherapie.

Batra: Dazu ist zunächst zu sagen, dass depressive Symptome auch entzugsbedingt auftreten. Bei der Interpretation dieser Daten muss auch berücksichtigt werden, dass es sich um Zahlen aus einem Spontanerfassungssystem handelt, die sehr vom Meldeverhalten der Beteiligten abhängen. Genießt ein Medikament große Aufmerksamkeit, wie das bei Vareniclin und der öffentlichen Diskussion um eine erhöhte Selbstmordgefahr sicher der Fall ist und war, werden Auffälligkeiten häufiger gemeldet. Wenn unter einer Nicotinersatztherapie Depressionen auftreten, wird das möglicherweise gar nicht erst dem Medikament zugeordnet. Viel wichtiger ist es, Daten aus den vorhandenen kontrollierten Studien auszuwerten! Dennoch geben solche Berichte wichtige Hinweise auf relevante Nebenwirkungen, denen unbedingt nachgegangen werden muss.


Selbstmordgefahr unter Vareniclin


Eine Raucherentwöhnung mit Vareniclin (Champix®) und Bupropion (Zyban®) kann mit einem erhöhten Risiko für neuropsychiatrische Nebenwirkungen bis hin zu suizidalem Verhalten verbunden sein. Schon im Juli 2009 hatte die FDA entsprechende Meldungen zum Anlass für einen verschärften Warnhinweis (Boxed Warning) genommen. Eine Auswertung des Adverse-Event-Reporting-Systems (AERS) der FDA legt den Verdacht nahe, dass eine Raucherentwöhnung mit Vareniclin wesentlich häufiger zu Depressionen, Suizidgedanken und Selbstmord führt als eine Entwöhnung mit Bupropion.

Um zu ermitteln, ob Depressionen und suizidales Verhalten unter Vareniclin und Bupropion in gleichem Ausmaß auftreten, wurden die im AERS in der Zeit zwischen 1998 und September 2010 erfassten Meldungen zu Nebenwirkungen unter einer Raucherentwöhnung ausgewertet. Dabei wurden 3249 Fälle von Depressionen, suizidalem Verhalten oder Selbstmord identifiziert [2]. 2925 betrafen Vareniclin (90%), 229 (7%) Bupropion und 95 (3%) eine Nicotinersatztherapie. Insgesamt wurden 295 Suizidfälle registriert, 272 in Zusammenhang mit Vareniclin, 19 unter Bupropion und 4 unter einer Nicotinersatztherapie.

Im Vergleich zur Nicotin-Ersatztherapie war das Risiko für Depressionen, suizidales Verhalten oder Suizid unter Vareniclin (Odds Ratio 8,4) deutlich größer als unter Bupropion (OR 2,9). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Vareniclin aufgrund dieser und weiterer Risiken nicht als Mittel der ersten Wahl zur Raucherentwöhnung eingesetzt werden sollte.

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DAZ: Die Autoren der Analyse kommen trotz aller Vorbehalte zu dem Schluss, dass Vareniclin für den ersten Versuch einer Raucherentwöhnung ungeeignet ist. Wie sehen Sie die Situation?

Batra: Auch ich sehe Vareniclin nicht als Mittel der ersten Wahl in der medikamentösen Unterstützung der Tabakentwöhnung. Wir müssen uns sehr genau anschauen, mit welchen körperlichen Risiken wir es bei den Rauchern zu tun haben. Hat jemand schon ohne Erfolg eine Nicotinersatztherapie versucht, dann ist ein Entzug mithilfe von Vareniclin zu erwägen. Für den ersten medikamentösen Versuch sollte jedoch eine Nicotinersatztherapie gewählt werden – die Betroffenen haben durch das Rauchen ohnehin Erfahrung mit dem Wirkstoff Nicotin, was zu einer guten Akzeptanz führt. Den diskutierten Risiken von Vareniclin steht allerdings eine im Vergleich zu Bupropion und der Nicotinersatztherapie höhere Erfolgsquote gegenüber. Die aktuellen Cochrane-Metaanalysen nennen für Vareniclin eine relative Wirksamkeit von 2,3, für Bupropion von 1,7 und für eine Nicotinersatztherapie von 1,6.


DAZ: Furberg et al. gehen in ihren Forderungen noch einen Schritt weiter. Weder Piloten noch Flugsicherungspersonal, Lastwagenfahrer, Polizisten oder Rettungskräfte sollten mit Vareniclin behandelt werden. Teilen Sie die Auffassung? Sind vor diesem Hintergrund auch Autofahrer unter Vareniclin eine Gefahr für die Allgemeinheit?

Batra: Generell ist der Einsatz von Medikamenten, die Einfluss auf die Flugtüchtigkeit haben könnten, bei Piloten zu unterlassen (andererseits dürfen Piloten mit psychiatrischen Störungen auch ihre Fluglizenz nicht behalten). Allerdings halte ich die Ausdehnung auf weitere Berufsgruppen, wie von Furberg et al. vorgeschlagen, für zu weitgehend. Für diese Forderung fehlt meiner Ansicht nach die Datenbasis. Auch sehe ich keine so große Gefahr, die es rechtfertigen würde, Vareniclin-Patienten das Autofahren zu untersagen.


DAZ: Herr Professor Batra, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Prof. Dr. Anil Batra, Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Calwer Str. 14, 72076 Tübingen


Interview: Dr. Doris Uhl, Stuttgart


Quelle

[1] Singh S Loke YK, Spangle JG, Furberg CD: Risk of serious adverse cardiovascular events associated with varenicline: as systematic review and meta-analysis. Canadian Medical Association Journal 2011; 183(12) 1359 -1366 (CMAJ 2011; doi: 10.1503/cmaj.110218]

[2] Moore TJ, Furberg CD, Glenmullen J, Maltsberger JT, Singh S: Suicidal Behavior and Depression in Smoking Cessation Treatments. PLOS one 6 (11): e27016. doi: 10.1371/journal.pone.0027016



DAZ 2012, Nr. 2, S. 38

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