Forschung

Bauanleitung für ein H5N1-Supervirus!?

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1. Paper zur "Herstellung" eines Influenza-Supervirus veröffentlicht

Ein Meinungsbeitrag von Ilse Zündorf und Theo Dingermann | Nun ist es also doch veröffentlicht: Das erste Paper, das die "Herstellung" eines humanpathogenen H5N1-Virus beschreibt, ist eben in Nature erschienen [1]. Eine zweite Publikation folgt höchstwahrscheinlich in den nächsten Tagen in Science. Wieder einmal haben sich die beiden renommierten (und konkurrierenden) Wissenschaftszeitschriften Nature und Science bei einer Top-Story ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert. "Gewonnen" hat dieses Mal Nature – aufgrund einer bemerkenswerten Konstellation.

Immer wieder wird vor der Gefahr gewarnt, dass aus einem bisher wenig infektiösen, aber sehr pathogenen H5N1-Virus ein neues Pandemie-Virus entsteht, das sehr viel einfacher zwischen Menschen übertragbar sein könnte. Zwei Arbeitsgruppen, zum einen die von Ron Fouchier am Erasmus Medical Centre in Rotterdam, zum anderen die von Yoshihiro Kawaoka an der University of Wisconsin-Madison, hatten sich genau dieser Hypothese gewidmet und hierzu in ihren Laboratorien mit Erfolg neue H5N1-Varianten hergestellt.

Die Ergebnisse dieser Arbeiten über hoch infektiöse Vogelgrippe-Virusvarianten wurden bereits im August 2011 zur Veröffentlichung bei Science bzw. Nature eingereicht. Dies hatte jedoch das US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB) auf den Plan gerufen und eine rege Diskussion unter Wissenschaftlern und Sicherheitsexperten, aber auch unter Laien angefacht [2]: darf man Ergebnisse, die aufzeigen, wie aus einer recht harmlosen Grippevirus-Variante ein hochansteckendes "Killervirus" werden kann, wirklich veröffentlichen? Sollten diese Daten nicht in Anbetracht einer Bioterrorgefahr möglichst gut unter Verschluss gehalten werden? Besteht nicht dann, wenn mehr Arbeitsgruppen an einem derartigen Virus forschen, eine erhebliche Gefahr, dass versehentlich eine entsprechende, hochpathogene Variante in die Umwelt gelangt?

NSABB machte den Weg frei

Aufgrund derartiger Bedenken hatte Ende 2011 das NSABB den Herausgebern der Zeitschriften Science und Nature empfohlen, die Daten und Methoden im Detail nicht zu publizieren. Auch wenn eine derartige Empfehlung keinen bindenden Charakter hat, waren Autoren und Herausgeber zu Diskussionen bereit. Expertenkommissionen wurden eingerichtet, und man einigte sich zunächst auf ein Moratorium hinsichtlich Forschung und Publikation, um die Öffentlichkeit über die Relevanz der Forschungsergebnisse ausreichend zu informieren.

Nachdem die Probleme im Rahmen zweier zweitägigen Experten-Meetings seitens der WHO und des NSABBs diskutiert worden waren, revidierte das NSABB Ende März seine Entscheidung. Somit war der Weg nun wirklich frei für die Publikationen. Die WHO hatte bereits im Februar 2012 empfohlen, beide Arbeiten im vollen Umfang zu publizieren [3, 4].

Was war gemacht worden?

Die niederländische Forschergruppe um Ron Fouchier am Erasmus Medical Centre in Rotterdam hatte offensichtlich im Auftrag der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH) geforscht. Die Wissenschaftler hatten zunächst nur drei Mutationen gezielt in das H5N1-Influenzavirus eingebracht, um es optimal an Säugetierzellen anzupassen. Anschließend wurden wiederholt gesunde Frettchen mit virushaltigem Sekret von kranken Tieren infiziert. Nach zehn derartigen Infektionsrunden hatten sich die Viren soweit angepasst, dass die Wissenschaftler nicht mehr gesunde Tiere mit Sekret-beladenen Wattestäbchen infizieren mussten, sondern dass sich gesunde Tiere per Tröpfcheninfektion anzustecken vermochten. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, um die neuen Viren zu sequenzieren und auf Mutationen hin zu untersuchen. Dabei fand man zusätzlich zu den drei gezielt eingeführten Mutationen zwei weitere Mutationen in allen untersuchten, hochpathogenen Viren. Anscheinend reichen also insgesamt fünf Mutationen aus, um ein "Supervirus" zu erzeugen [5]. Genaueres zu den Mutationen kann wahrscheinlich demnächst in Science nachgelesen werden.

Die Gruppe um Yoshihiro Kawaoka ging ganz anders an das Problem heran [1, 6]. Diese Wissenschaftler führten zunächst zufällige Mutationen in den Bereich des Gensegments für Hämagglutinin H5 ein, der für den globulären Kopf des Proteins codiert, da über diesen Kopf die Bindung an den Rezeptor erfolgt (Aminosäuren 120 bis 259). Mithilfe dieser Mutanten-Segmente wurde dann eine Vielzahl unterschiedlicher Influenzaviren gebildet, die sich nur im Hämagglutinin unterscheiden. Aus diesen wurden durch Selektion diejenigen herausgefiltert, die an sogenannte Sialα2,6Gal-Rezeptoren binden können. H5 erkennt normalerweise bevorzugt die auf Zellen von Vögeln vorkommenden Sialα2,3Gal-Strukturen (Abb. 1).


Abb. 1: Zuckerrezeptoren und Spezifität der Influenza-A-Viren. Zwei mögliche Verknüpfungen (α2-6 und α2-3) der Sialinsäurereste mit der benachbarten Galactose sind für die unterschiedliche Spezifität von Influenza-A-Viren verantwortlich. Während z. B. über Hämagglutinin H1 oder H3 humane Zuckerstrukturen in α2-6-Verknüpfung erkannt werden, bindet Hämagglutinin H5 bevorzugt an α2-3-verbundene Zucker [11].
Grafik: Zündorf

Eine der selektionierten H5-Varianten zeigte eine besonders hohe Affinität zu den Sialα2,6Gal-Rezeptoren. Sie war durch zwei Mutationen gekennzeichnet. Eine dieser Mutationen führte zu einem Aminosäureaustausch von Asparagin an Position 224 nach Lysin (N224K), die andere zu einem Aminosäureaustausch von Glutamin an Position 226 zu Leucin (Q226L). Durch diese minimalen Variationen war das Virus nun in der Lage, an isolierten Zellen aus dem menschlichen Respirationstrakt zu binden.

Abb. 2: Adaptation eines H5N1-Virus Vorgehen der Arbeitsgruppe um Yoshihiro Kawaoka zur Adaptation eines H5N1-Virus an den Menschen als Wirt. Insgesamt vier Mutationen reichten aus, damit sich das Virus effizient per Tröpfcheninfektion unter Frettchen ausbreiten konnte.
Grafik: Zündorf nach [1]

Nach Kombination des mutierten H5-Gensegments mit den anderen sieben Segmenten aus dem 2009-Pandemiestamm wurden auch in Kawaokas Labor Frettchen mit den neuen Viren infiziert. Auch aus diesen infizierten Frettchen konnten wiederum hoch infektiöse Viren isoliert werden, die mittlerweile in der Lage waren, andere Tiere über Tröpfchen zu infizieren (Abb. 2). Es zeigte sich, dass noch zwei zusätzliche Aminosäuren ausgetauscht worden waren: Asparagin 158 zu Asparaginsäure (N158D) und Tyrosin 318 zu Isoleucin (T318I). Beide Mutationen scheinen das Hämagglutinin-Protein in einer Konformation zu stabilisieren, dass das Eindringen des Virus in die Wirtszelle erleichtert wird. Allerdings schränken die Forscher ein, dass unklar ist, ob diese Hämagglutinin-Mutationen wirklich ausreichend sind, um das Influenzavirus leichter übertragbar zu machen. Schließlich ist mittlerweile bekannt, dass auch andere Gensegmente und deren Genprodukte, wie die Neuraminidase, für die Infektiosität verantwortlich sind.

Trotzdem helfen die Ergebnisse, den Infektionsmechanismus von Influenza-Viren genauer aufzuklären und die dafür kritischen Aminosäuren zu identifizieren. Für die Virulenz eines Virus ist eben nicht nur die Fähigkeit zur effektiven Bindung an Rezeptoren auf der Oberfläche der Wirtszelle ausreichend, sondern es müssen auch nachfolgende Schritte wie Membranfusion oder Replikation effektiv funktionieren. Beruhigend für die Öffentlichkeit ist sicherlich, dass das von Kawaoka selektionierte Hybridvirus sensitiv gegenüber Oseltamivir ist und dass eine Immunisierung mit einem H5N1-Muster-Impfstoff ebenfalls schützt.

Beide Arbeiten zeigen jedoch eindrucksvoll, dass nur wenige Mutationen nötig sind, um die Infektiosität von H5N1 dramatisch zu erhöhen. Allerdings sind diese Mutationen wohl nicht identisch, wie man dem WHO-Report entnehmen kann [3].

Wann kommt die zweite Publikation?

Bis man die Ergebnisse von Ron Fouchier genauer nachlesen kann, muss man sich wohl noch ein klein wenig gedulden: Er muss nämlich noch ein Problem lösen [7, 8, 9]! Da Fouchier seine Daten in dem US-amerikanischen Journal Science publizieren möchte, fällt es nach Meinung der niederländischen Regierung unter die Ausfuhrregularien für Dual-Use-Produkte. Unter Dual-Use-Produkte subsummieren Waren als auch Technologien, die sowohl für zivile oder als auch für militärische Zwecke verwendet werden könnten. Bei Nichtbeachtung dieser Regularien drohen bis zu sechs Jahre Gefängnis oder 78.000 Euro Geldstrafe.

Erst nach einem Treffen zwischen Wissenschaftlern und Vertretern der niederländischen Regierung am 23. April 2012 konnte eine Einigung dahingehend erzielt werden. Fouchier erhielt die Genehmigung am 27. April 2012 und reichte auch direkt das Manuskript bei Science ein – allerdings zu spät für eine gleichzeitige Veröffentlichung mit Kawaokas Arbeiten in Nature. Daher wäre es vielleicht einfacher gewesen, wenn Fouchier seine Arbeit ebenfalls bei dem britischen Journal Nature eingereicht hätte.

Die Konsequenzen

Nach dem zweitägigen Expertentreffen bei der World Health Organization (WHO) im Februar 2012 in Genf wurde ein Bericht über die Ergebnisse veröffentlicht [3]. Einig waren sich die Teilnehmer, dass die fraglichen Viren nicht zerstört werden sollen. Sie sollten stattdessen in adäquat ausgerüsteten Laboratorien sicher gelagert werden. Eine neu einberufene Kommission soll die für eine weitere Forschung an den Viren nötigen biologischen Sicherheitsstandards definieren, deren Umsetzung dann wiederum mit geeigneten Maßnahmen kontrolliert werden muss. Auch weiterhin soll kritisch über die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen derartiger Forschungsarbeiten diskutiert werden, um einerseits die Forschung auch an sensiblen Themen zu ermöglichen, andererseits aber auch eine maximale Sicherheit für die Gesellschaft zu gewährleisten.

Wissenschaftler sollten sich immer über die Relevanz und die möglichen Auswirkungen ihrer Forschung bewusst sein und entsprechende Sicherungsvorkehrungen treffen. Des Weiteren sollen Sinn und Zweck der Forschung an H5N1 einer breiten Öffentlichkeit vermittelt werden, um einerseits die möglichen Gefahren durch Wildtyp-H5N1, andererseits aber die möglichen Mechanismen zum Schutz der Bevölkerung aufzuzeigen. Dass dies zwar schwierig, aber auch dringend nötig ist, zeigen sachlich unkorrekte aber emotional aufgeladene Leserkommentare zu den Beiträgen zum Thema auf Spiegel online oder Zeit online.

Bereits 2011 hatte die WHO das Rahmenpapier "Pandemic influenza preparedness Framework for the sharing of influenza viruses and access to vaccines and other benefits" (WHO PIP-Framework) erstellt, dem alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben [10]. Darin wird die weltweite Kooperation in Hinblick auf Forschung, Verfügbarkeit von Impfstoffen und Verteilung jeglicher Hilfsmittel beschlossen, um eine mögliche Pandemie zu verhindern. In dieser Veröffentlichung wird auch detailliert geregelt, welche Formalien einzuhalten sind, um am "WHO global influenza surveillance and response system" (WHO GISRS) teilnehmen zu können. Unter anderem wird darin eben auch vereinbart, dass alle Erkenntnisse veröffentlicht werden sollen, die dazu beitragen, das Risiko einer Pandemie abschätzen, einen pandemischen Impfstoff schneller entwickeln und die Resistenzentwicklung gegen antivirale Wirkstoffe besser überwachen zu können. Genau das war das Ziel der beiden Forschergruppen.

Fazit

Was lernen wir Normalbürger aus der Geschichte?

  • Offensichtlich sind nur erschreckend wenige Mutationen nötig, damit ein recht infektiöses und sehr pathogenes Influenzavirus entsteht.

  • Einige dieser Mutationen befinden sich bereits jetzt in zirkulierenden Wildtypviren

  • Nicht nur im Labor, sondern auch in der Natur können sehr schnell solch hoch gefährliche Virusvarianten entstehen.

Immerhin stehen mit den Forschungsergebnissen aber Möglichkeiten zur Verfügung, gezielt nach risikoreicheren Vertretern zu suchen.

Darüber hinaus zeigen diese Arbeiten aber auch, dass es Sicherungsmechanismen gibt, die als kritisch erscheinende Forschungsergebnisse genauer unter die Lupe nehmen. Dies ist die adäquate Antwort auf selbsternannte Weltverschwörungstheoretiker, die in allem und jedem nur das Schlechte sehen.

Die WHO hat bisher sehr gute Arbeit geleistet, um für mögliche Pandemien gerüstet zu sein. Geheimpläne existieren da nicht, sondern alles ist auf der WHO-Homepage einsehbar. Es bleibt zu hoffen, dass es trotz all der Vorsorge nie zum Ernstfall kommen wird.


Literatur

[1] Imai, M., Watanabe, T., Hatta, M., et al.: Experimental adaptation of an influenza H5 HA confers respiratory droplet transmission to a reassortant H5 HA/H1N1 virus in ferrets. Nature (2012) doi:10.1038/nature10831

[2] http://news.sciencemag.org/scienceinsider/2011/11/ Enserink, M.: Scientists Brace for Media Storm Around Controversial Flu Studies. ScienceInsider 23. Nov. 2011

[3] http://www.who.int/mediacentre/events/meetings/2012/h5n1_research_issues/en/ WHO: Report on technical consultation on H5N1 research issues, Genf 16./17. Februar 2012.

[4] Butler, D., Ledford, H.: US biosecurity board revises stance on mutant-flu studies. Nature – Breaking News 30. März 2012

[5] MacKenzie, D.: Five easy mutations to make bird flu a lethal pandemic. New Scientist 2831, 26. Sept. 2011.

[6] Yong, E.: Mutant-flu paper published. Nature 485 (2012), 13 – 14.

[7] http://www.nature.com/news/ Butler, D.: Mutant-flu researcher plans to publish even without permission. Nature News & Comment 17. April 2012

[8] http://ec.europa.eu/trade/creating-opportunities/trade-topics/dual-use/ Regelwerk 428/2009

[9] http://news.sciencemag.org/scienceinsider/2012/04/ Enserink, M.: Fight Over Dutch H5N1 Paper Enters Endgame. ScienceInsider 24. April 2012

[10] WHO: Pandemic influenza preparedness Framework – for the sharing of influenza viruses and access to vaccines and other benefits

[11] Stevens, J., Blixt, O., Paulson, J.C., Wilson, I.A.: Glycan microarray technologies: tools to survey host specificity of influenza viruses. Nature Reviews Microbiology 4 (2006), 857 – 864.


Autoren
Prof. Dr. Theo Dingermann
Dr. Ilse Zündorf
Institut für Pharmazeutische Biologie,
Goethe-Universität Frankfurt a. M.,
Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt



DAZ 2012, Nr. 19, S. 60

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