DAZ aktuell

Wem nützt Verblistern?

Stehen Aufwand und Kosten des Verblisterns im Verhältnis?

DARMSTADT (al). Das patientenindividuelle Verblistern hat nun auch Eingang in die neue Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) gefunden. Wenn es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, müssen spezielle Räumlichkeiten dafür vorhanden sein, ein Qualitätsmanagement ist einzuhalten und eine umfangreiche Kennzeichnung und Dokumentation ist vorgeschrieben. Steht dieser Aufwand im Verhältnis zum Nutzen? Dieser Frage ging ein Expertengremium bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des MTS Blister Symposiums am 18. April in Darmstadt nach.
Das Für und Wider Blistern diskutierten (v. l.): Apotheker Ralf Busch, ABDA-Jurist Lutz Tisch, Apothekerin Monika Runge, Allgemeinarzt Dr. Volker Rettig-Ewen, Pflegedienstleiter Holger Görges und Martin Halm, Geschäftsführer der Deutschen Blisterunion.
Foto: Andrea Lubliner

Bisher stellt sich das Blisterthema wohl eher Apotheken, die Alten- und/oder Pflegeheime zu versorgen haben. Holger Görges, Pflegedienstleiter des Pflegezentrums Blankstraße (Wuppertal), nannte bei der Diskussion die Gründe hierfür: Früher geschah die Medikamentenzuteilung im Heim nachts, weil es zu dieser Zeit für das Pflegepersonal weniger zu tun gibt. Allerdings ist Nachtarbeit ein besonderer Stress, und so verwundert es nicht, dass dabei viele Fehler passierten. Bei der Verlegung der Zuteilung auf die Tagesstunden wurde es jedoch nicht wesentlich besser. Selbst wenn ein Beschäftigter extra dafür abgestellt wird, ist die Personaldecke im Allgemeinen so dünn, dass dieser doch ständig durch Fragen oder Unterbrechungen abgelenkt wird. Nach Erfahrung von Görges hatte man bei der Zuteilung immer eine Fehlerquote von etwa 20%. Diese kann nun durch die Verblisterung auf 0,2% gedrückt werden. Geht man davon aus, dass wir in Deutschland aktuell 785.000 Heimbewohner haben und diese Zahl in den nächsten zehn Jahren auf 1,5 Millionen steigen wird, muss die Fehlerquote der konventionellen Medikamentenzuteilung schon bedenklich stimmen.

Verblisterung als Marktzwang

Die Erfahrung der Apotheker lehrt, dass man bei Verhandlungen über eine Heimversorgung schnell mit dem Rücken zur Wand steht. Dies bestätigte auch Monika Runge, Inhaberin der Altstadt-Apotheke in Rostock. Sie versorgte zunächst nur ein kleines, familiäres Heim, das eine Verblisterung aufgrund der überschaubaren Bewohnerzahl nicht benötigte. Dann aber übernahm sie vom gleichen Träger noch ein großes Heim und da war das Verblistern gefordert. Hätte sie diese Dienstleistung abgelehnt, hätte sie beide Heimversorgungen verloren. Wie Frau Runge ist so mancher Apotheker gezwungen, das Verblistern einzuführen, ohne für diese Dienstleistung ein adäquates Honorar zu erhalten. Es ist dann ein Service, der sich nicht trägt, aber Kunden bindet.

Grund, so Heimleiter Görges, ist die Struktur der Pflegesätze. Aus Sicht eines Heimes sind alle Elemente der Behandlungspflege mit dem Pflegesatz abgeglichen. Medikamente und Dienstleistungen darum herum sind nicht inbegriffen. Das erklärt, warum die Heime dafür nicht zahlen wollen. Dies bestätigte auch Lutz Tisch, ABDA-Geschäftsführer Recht. Schließlich werde in den Heimen die Einnahme der Medikamente sowieso überwacht. Daher lohne sich die Blister-Dienstleistung für die Heime nur, wenn sie nichts dafür bezahlen müssen. Görges stellte dagegen klar, dass seine Häuser, die von der Diakonie getragen werden, sehr wohl ein Honorar mit den versorgenden Apothekern vereinbart haben. Über dessen Höhe wollte er jedoch keine Angaben machen.

Einig waren sich Runge und Görges darin, dass bei der Zusammenarbeit von Apotheke und Heim beim Verblistern mancher Fehler entdeckt wird. Sei es eine gleichzeitige Einnahme zweier Arzneimittel, die durch Wechselwirkungen Nachteile hat, sei es durch einen falschen Einnahmezeitpunkt. Die Verblisterung ermöglicht eine Kontrolle durch die Apotheke und damit auch eine Vermeidung von Fehlern, worin für die Bewohner ein großer Nutzen liegt. Ralf Busch, Inhaber der Collini-Apotheke (Mannheim), strich dazu noch die Problematik großer Heime heraus. Diese hätten häufig viel Personalwechsel oder vielleicht geleastes Personal. Das aber bringe eine große Unsicherheit in der Medikation mit sich, die durch Blistern deutlich verringert werden könne.

Verblistern im niedergelassenen Bereich?

Aus der Sicht der Ärzte ist die individuelle Verblisterung von Medikamenten ein bisher wenig beachtetes Thema und wird auch meist nicht sehr wichtig genommen. Dr. Volker Rettig-Ewen, Facharzt für Allgemeinmedizin in Merzig (Saarland), hat damit allerdings in einer Vergleichsstudie sehr gute Erfahrungen gemacht. Einige der Patienten, die ihre Medikamente so vorbereitet erhielten, waren nach Ende der Studie sogar bereit, die Verblisterung durch die Apotheke gegen einen Kostenbeitrag weiter beizubehalten. In der Blister-Gruppe gab es wohl aufgrund der besseren Compliance der Patienten und des geringeren Risikos der Medikamentenverwechslung weniger Notarzteinsätze und weniger Einweisungen ins Krankenhaus als in der Vergleichsgruppe. Rettig-Ewen schätzte, dass so pro Jahr etwa 1500 Euro Gesundheitskosten pro Patient eingespart werden können. ABDA-Jurist Tisch bezweifelte diese Zahlen: Wenn dem so wäre, wären die Krankenkassen doch schon in dem Feld aktiv! Immerhin hätten andere Studien gezeigt, dass höchstens zehn Prozent der ambulanten Patienten durch Blistern eine bessere Compliance haben. Deshalb wäre die Honorierung dieser Dienstleistung für die ABDA kein Thema, für die sie sich einsetzen werde. Rettig-Ewen äußerte die Hoffnung, dass das Verblistern als individuelle Dienstleistung der Apotheke für einzelne Kunden möglicherweise in Zukunft privat abgerechnet werden könne. Andererseits könne man die Verblisterung für die Krankenkassen in einen Gesamtkomplex verpacken, der sich um die Patientenbetreuung dreht. Dafür könne dann von den Kassen auch ein anständiges Honorar eingefordert werden. Er als Arzt fasse schon heute das Verblistern als Teil des Versorgungsmanagements auf. Die Ärzte sollten für Apotheken werben, die verblistern. Ob sich das dann für die Apotheken rechnet, müssten größere Patientenzahlen zeigen.


Blistermarkt Deutschland


  • 2,4 Millionen Pflegebedürftige leben in Deutschland

  • Zwei Drittel werden zu Hause gepflegt
  • Ein Drittel erhält die Pflege im Heim

  • Derzeit versorgen ca. 7000 Apotheken Heime
  • 140.000 bis 160.000 Patienten erhalten verblisterte Arzneimittel

Kommunikation ist alles

Apotheker Busch berichtete von einem bayerischen Modellversuch zur Verblisterung, in den 500 Medikamente einbezogen wurden und den die Krankenkassen damals bezahlten. Der reibungslose Ablauf des Versuchs erforderte einen enormen Kommunikationsbedarf zwischen Ärzten, Apotheken und Patienten. Rettig-Ewen bestätigte das: Im Idealfall – 1 Patient, 1 Arzt, 1 Apotheke – ist das nicht schwierig. Je mehr Spieler jedoch ins Feld kommen, umso wichtiger wird die Verständigung aller Beteiligten. Für Heimleiter Görges wäre es ideal, wenn ein Heim einen Heimarzt anstellte. Das aber ist in den Budgets nicht vorgesehen; das Gehalt des Arztes müsste daher beispielsweise beim Pflegepersonal wieder eingespart werden, was zur Zeit unmöglich ist. Apothekerin Runge hat einen arbeitsintensiven, aber gangbaren Weg des Abgleichs gefunden. Sie trifft sich einmal wöchentlich mit den verschreibenden Ärzten der Heime, dann wird alles besprochen. Auch mit dem Pflegepersonal ist sie in ständigem Kontakt. Ergeben sich Änderungen in der Medikation eines Patienten, könne diese schnell umgesetzt werden.

Martin Halm, Geschäftsführer der Deutschen Blisterunion bestätigt, dass die Änderung von Verschreibungen ein Problem ist. Sein Zusammenschluss von Blisterapotheken, regionalen Blisterzentren und Industrieunternehmen kann durch die kleinteilige Struktur ebenfalls schnell reagieren. Das läuft über einen Sonderkorrekturauftrag, der binnen vier bis sechs Stunden ausgeführt wird. Für reine Industrieunternehmen allerdings werde das nicht so schnell zu bewältigen sein.

Juristische Fußangeln

Das Verblistern stellt gesetzlich ein schwieriges Terrain dar, so ABDA-Jurist Tisch. Denn es wird eigentlich ein Medikament hergestellt, für das es keine Verschreibung gibt. Genau genommen ist das strafbar und in Nordrhein-Westfalen laufen deshalb aktuell auch zwei Strafverfahren. Rettig-Ewen forderte angesichts dieser Probleme ein sogenanntes Verblister-Rezept. Dieses wiederum, so Halm von der Blisterunion, ist aber für einen Verblisterer problematisch, denn es gibt da-bei für den Apotheker keine Packungsvergütung. Hier muss also auch eine Änderung der Vergütungsordnung erfolgen, ein Thema, das die ABDA ansprechen sollte. Zu dieser Frage zeigte sich Tisch unnachgiebig: Gerne werde er die Anregungen und Wünsche aus dieser Diskussion mit nach Berlin nehmen. Aber die ABDA werde sich eher für die allgemeine Honorarsituation aller Apotheker einsetzen, die seit Jahren unverändert geblieben ist, trotz steigender Kosten. Auf keinen Fall werde sie sich gesondert mit dem Verblistern befassen.



DAZ 2012, Nr. 18, S. 37

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