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Die Apotheke in der Welt von morgen

Welche Entwicklungen sich im Gesundheitswesen vorhersehen lassen

POTSDAM (rb). Apotheken haben als niederschwelliges, zentrales Drehkreuz für Gesundheitsfragen hervorragende Chancen im Alltag zukünftiger Jahrzehnte. Im Netzwerk mit bewährten und neuen Partnern werden sie die Bürger unserer älter werdenden Gesellschaft begleiten und in der öffentlichen Debatte eine wichtige Rolle spielen. Unabdingbar dafür ist, dass die Apotheker an ihr eigenes Potenzial glauben – so jedenfalls sieht es Dr. Stephan Sigrist, Biochemiker und Zukunftsforscher aus Zürich, der beim 49. Wirtschaftsforums des Deutschen Apothekerverbandes in Potsdam einen Vortrag über "Health Horizons – Die Demokratisierung der Gesundheit" hielt.
Dr. Stephan Sigrist sieht in der Apotheke das zentrale Drehkreuz für Gesundheitsfragen – heute und in der Zukunft. Foto: DAZ/diz

Natürlich lasse sich Zukunft nicht voraussagen, betont Sigrist, Leiter des Schweizer Think Tanks W.I.R.E., dessen Forschungsschwerpunkt auf Entwicklungen und Trends in den Bereichen Lifesciences, Wirtschaft und Gesellschaft liegt. Je komplexer ein System aufgebaut sei, umso weniger sei vorhersehbar, in welche Richtung es sich entwickle. Dennoch lassen sich auch für Systeme mit sehr hoher Komplexizität, wie es das Gesundheitswesen darstelle, Strategien und Geschäftsmodelle entwickeln. Bestehende Mechanismen und Verhaltensweisen bieten einen breiten Ansatz für zukunftsgerichtete Betrachtungen. Eine Reihe von Gegebenheiten, die sich schon heute abzeichnen, wird zwangsläufig Einfluss auf die (Gesundheits-)-Welt von morgen nehmen. Wie Sigrist ausführte, werden wir uns sicher mit einem veränderten Spektrum an Krankheiten auseinandersetzen müssen. Krebs wird noch häufiger zur Todesursache werden, psychische Leiden werden ebenso zunehmen wie Stoffwechselkrankheiten, vor allem Diabetes, wenn es nicht gelingt, die Ernährungsgewohnheiten vor allem von Kindern dramatisch zu verändern. Außerdem wird der Druck auf die Menschen zunehmen, "schön und gesund" zu sein. Möglicherweise wird eine Moralisierung von Gesundheitsfragen Ausgangspunkt für neue Debatten sein, zum Beispiel zur Frage, wer für die Gesundheit Verantwortung trägt: das Individuum alleine oder der Staat? Zweifellos wird es zu einer weiteren Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens kommen. Schon jetzt wittern Leistungserbringer Chancen im "hoch gelobten, zweiten Gesundheitsmarkt". Doch Sigrist bremst den Optimismus: Der "zweite Gesundheitsmarkt" setze den eigenverantwortlichen Verbraucher bzw. Patienten voraus, den es so noch nicht gebe.

"Demokratisierung des Halbwissens"

Die zunehmende Digitalisierung wird insgesamt neue Einblicke und Behandlungskonzepte ermöglichen. Gesundheitsdaten werden sich einfacher sammeln lassen. Sigrist sieht diese Entwicklung kritisch: "Es wird zu einer Demokratisierung des Halbwissens kommen." Die Basisbildung auf dem Gebiet der Gesundheit fehlt – und auch besser gebildete Menschen tun sich schwer, Entscheidungen im Hinblick auf Therapiekonzepte zu treffen. Zumal der Trend besteht, Behandlungen immer stärker zu individualisieren. Zwar weckt die personalisierte Medizin insbesondere in der Krebstherapie derzeit große Hoffnung, doch wenn man genau hinschaut, sind Visionen oder gar konkrete Erfolge noch in weiter Ferne. Allerdings gibt es nach Sigrists Auffassung eindeutige Hinweise darauf, dass bereits in naher Zukunft insbesondere die Diagnostik große Fortschritte bringen kann. Losgelöst von den Experten des Gesundheitswesens wird der Patient selbst allerlei Geräte erwerben können, die sein Verhalten und wichtige Gesundheitsparameter permanent überwachen und Anregungen für ein gesundheitsbewussteres Verhalten bereithalten.

Was die Versorgung von Patienten im Alltag betrifft, so werden dezentrale Einrichtungen an Bedeutung gewinnen. Sigrist sieht eine Abnahme von Hierarchien voraus, eine Machtverschiebung weg von den Experten hin zu den Patienten und damit eine Demokratisierung von Gesundheitsentscheidungen. Nicht im Widerspruch dazu steht laut Sigrist, dass Expertenmeinungen trotzdem von Bedeutung bleiben, denn die Menschen brauchen Entscheidungs- und Orientierungshilfen. Ebenso werden Patienten eine emotionale Versorgung und persönliche Betreuung brauchen. Das wiederum eröffnet Chancen für die Apotheken, die schon jetzt mit ihrem niederschwelligen Angebot sehr nahe am Patienten sind.



DAZ 2012, Nr. 18, S. 26


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