DAZ aktuell

"Apotheker wie Ärzte im Spagat"

Ein "stilles" Problem

BERLIN (as). Unter dem Motto "Medikamente: Nicht mehr alles schlucken!" fand am Wochenende die zehnte Sucht-Selbsthilfekonferenz der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) statt. Obwohl es in Deutschland nach Schätzungen 1,4 bis 1,5 Millionen medikamentenabhängige Menschen gibt, finden nur sehr wenige den Weg in eine Selbsthilfegruppe. Neben der Frage, wie dies verbessert werden könnte, wurde auch die Rolle von Ärzten und Apothekern bei einer Medikamentenabhängigkeit diskutiert.

Medikamente gelten als die "heimliche Volksdroge", die "still und unauffällig daher kommt". Die DHS hat ausgerechnet, dass jeder Deutsche im Jahr circa 1100 Mal ein Arzneimittel einnimmt. Doch mit den hilfreichen und erwünschten Wirkungen, tritt auch in einigen Fällen eine Suchtentwicklung ein. Schmerz-, Beruhigungs- und Schlafmittel haben ein deutlich erhöhtes Risikopotenzial. Nach Angaben der DHS sind von einer Medikamentenabhängigkeit zu 95 Prozent Frauen ab 50 Jahren betroffen.

Wiebke Schneider vom Sucht-Selbsthilfeverband der Guttempler machte deutlich, dass die Selbsthilfekonferenz nicht der "Schelte für Ärzte und Apotheker" diene, sondern ausschließlich der Erarbeitung konkreter Hilfen für Medikamentenabhängige. Es sei sehr schwierig, Betroffene zu erreichen. Sie bezeichneten sich selten selbst als abhängig. In einer Erhebung der fünf Mitgliedsverbände der DHS gaben nur 3,3 Prozent der insgesamt 52.300 Besucher der Selbsthilfegruppen an, medikamentenabhängig zu sein. Schneider setzt sich deshalb für eine stärkere Zusammenarbeit mit Apotheken ein. Bei Verdacht auf eine Abhängigkeit sollten Apotheker diese trotz einer eventuell abweisenden Reaktion des Kunden äußern. Man müsse sich immer bewusst machen, dass das Ansprechen die einzige Chance sei, Medikamentenabhängige zu erreichen, so Schneider. Ihr Tipp für die Beratung: Befragen Sie ihre Kunden zu der von ihnen erhofften Wirkung durch das Arzneimittel. Bei Medikamentenabhängigen könne dies in manchen Fällen ein Nachdenken über das eigene Verhalten anstoßen. Denn ohne ein gewisses Maß an Einsicht bringe ein "Nachhaken" nichts, gab Heinz-Josef Janßen, Vorsitzender des Kreuzbundes e. V. zu bedenken. Das berühmte "Apotheken-Hopping" könne nicht vermieden werden, wenn der Betroffene seinen Arzneimittelkonsum selbst nicht als problematisch einstufe. Hier stünden "Apotheker wie Ärzte im Spagat", einerseits korrekt zu therapieren und andererseits ihrer ethischen Verpflichtung nachzukommen, bei der Beratung auch eine Suchterkrankung anzusprechen.

"Die Betroffenen brauchen eine Alternative zum Schlucken!" schlussfolgerte Dr. Heribert Fleischmann, Vorstandsvorsitzender der DHS und Psychiater am Bezirkskrankenhaus Wöllershof, Bayern. Hier könne die Selbsthilfe einen wichtigen Beitrag leisten. Die Treffen mit anderen Betroffenen geben den Erkrankten den Mut zur Selbstbeschränkung. Mit den regelmäßigen Treffen erhielten sie einen Lebensrhythmus und die Fähigkeit, Unterstützung von außen zuzulassen.

Die Gründe für die Entwicklung einer Medikamentenabhängigkeit seien vielschichtig, so Fleischmann. Man müsse deutlich unterscheiden zwischen Arzneimitteln wie den Benzodiazepinen, die eine Sucht erzeugen könnten, und solchen, die nicht indikationsgemäß im Übermaß eingenommen würden, wie Laxantien oder Nasenspray. Oft sei es Gleichgültigkeit gegenüber einer Arzneimitteleinnahme oder auch die Angst, durch das Absetzen eines Medikaments in einen "unangenehmen Zustand" zurückzufallen, weshalb Arzneimittel übermäßig lange eingenommen würden. Zudem herrsche in der Gesellschaft die falsche Erwartungshaltung, dass auch ein normales Befinden durch die Einnahme von Substanzen weiter verbessert werden könne. Er plädierte hierbei an Ärzte, leitliniengerecht zu verschreiben.



DAZ 2012, Nr. 18, S. 41

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