Arzneimittel und Therapie

Unerwünschte Wirkungen von Antibiotika: Netzhautablösung unter oralen Fluorochinolonen

Foto imagoPeter Widmann
Fluorochinolon-Antibiotika zeichnen sich durch ein breites Wirkungsspektrum und eine vergleichsweise gute Verträglichkeit aus. Neben einer zunehmenden Resistenzbildung sind jedoch auch zahlreiche Nebenwirkungen bekannt. Dazu gehören vor allem Störungen des Gastrointestinaltrakts und zentralnervöse Störungen. Auch nach kurzfristiger Applikation kann es zu einer Minderung der Sehnenfestigkeit kommen. Jetzt weisen kanadische Wissenschaftler auf eine weitere Nebenwirkung hin: Unter einer oralen Fluorochinolon-Therapie ist das Risiko für eine Netzhautablösung kurzfristig erhöht.

Innerhalb der modernen Gyrasehemmer werden vier Gruppen nach klinischem Einsatzgebiet, Pharmakokinetik, antibakteriellem Spektrum und Verfügbarkeit der Substanzen unterschieden. Zur Gruppe I werden die Fluorochinolone Norfloxacin und Pefloxacin mit Schwerpunkt Harnwegsinfektionen zugeordnet. Pefloxacin ist nicht mehr verfügbar, das Einsatzgebiet von Norfloxacin ist auf die Behandlung von (unkomplizierten) Harnwegsinfektionen, der bakteriellen Enteritis und der Prostatitis beschränkt. Zur Gruppe II zählen systemisch anwendbare Fluorochinolone mit breiterer Indikation wie Ofloxacin und Ciprofloxacin. Die Hauptindikationen von Ciprofloxacin sind Harnwegsinfektionen, Infektionen der Atemwege, Haut-, Weichgewebe- sowie Knocheninfektionen und systemische Infektionen bis zur Sepsis. In die Gruppe III sind Fluorochinolone mit verbesserter Aktivität gegen grampositive und atypische Erreger eingeordnet. Levofloxacin, das dieser Gruppe zugeordnet wird, besitzt gegenüber Ofloxacin eine doppelt so hohe antibakterielle Aktivität und kann daher auch zur Behandlung von Infektionen der Atemwege eingesetzt werden. In der Gruppe IV sind Fluorchinolone mit nochmals erhöhter Wirksamkeit gegen grampositive und atypische Erreger sowie gegen Anaerobier mit einem breiten Indikationsfeld zusammengefaßt. Aus dieser Gruppe ist nur noch Moxifloxacin im Handel, dessen Pneumokokken-Aktivität ist gegenüber der Gruppe III noch verbessert, so dass es zur Behandlung von Infektionen der Atemwege, auch verursacht durch Pneumokokken, eingesetzt werden kann. Die Fluorochinolone zählten zu den Gyrasehemmern, neuere Präparate sind jedoch auch gegen andere Bakterienenzyme wie die Topoisomerase IV wirksam. Trotz relativ guter Verträglichkeit treten bei etwa 4 bis 10% der Patienten unerwünschte Wirkungen auf. Neben gastrointestinalen und neurologischen Störungen wurden für verschiedene Verbindungen eine Phototoxizität sowie knorpelschädigende und kardiale Nebenwirkungen und – seltener – Störungen des Blutbildes nachgewiesen.


Rupturen der Achillessehne

Vorsicht bei Älteren!


Seit Mitte der 90er Jahre ist bekannt, dass Fluorochinolone Sehnenschäden in Form von Entzündungen und Rupturen verursachen können. Präklinische Untersuchungen deuten auf zytotoxische und antiproliferative Effekte als Ursache. Das Risiko für Sehnenschäden ist unter den verschiedenen Mitgliedern der Fluorochinolon-Klasse ungleich verteilt. Das relative Risiko (95% KI) für eine Achillessehnenerkrankung betrug für alle Fluorochinolone zusammen 3,7 (0,93 bis 15,4), für Ofloxacin jedoch 10,1 (2,2 bis 46,0). In der UAW-Datenbank von BfArM und AkdÄ wird Levofloxacin als Ursache von UAW am "Muskel- und Skelettsystem" gegenüber den Fluorochinolonen allgemein und den älteren Fluorochinolonen im Besonderen sehr viel häufiger benannt. Moxifloxacin scheint weniger risikobehaftet zu sein. Das Risiko für Entzündung oder Ruptur der Achillessehne ist insbesondere bei älteren Patienten erhöht. Die Symptomatik kann bereits während der ersten Stunden nach Behandlungsbeginn, aber auch erst mit mehrwöchiger Latenz nach Therapieende auftreten. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter sowie durch Corticosteroide in der Comedikation, ist aber nach heutigem Wissensstand nicht dosisabhängig. Daher sollten Fluorochinolone insbesondere bei alten Menschen nur bei zwingenden Indikationen gegeben werden. Bei jedem Verdacht auf eine Tendinitis oder Ruptur der Achillessehne ist eine genaue Medikamentenanamnese erforderlich!

Tatsächliches Risiko für Netzhautablösung noch ungeklärt

Die gute Verteilung von Fluorochinolonen kann allerdings offensichtlich auch zu Toxizitäten im Auge führen, wo sie ebenfalls relativ rasch hohe Konzentrationen erreichen. So wurden verschiedentlich Beschädigungen der Hornhaut, optische Neuropathien und Netzhautblutungen beschrieben. Wissenschaftler der Universität Vancouver haben jetzt die Daten von nahezu einer Million Patienten ausgewertet, die zwischen Anfang 2000 und Ende 2007 einen Augenarzt aufsuchten. Die Kontrollgruppe umfasste mehr als 40.000 Personen. Danach erhöhte sich das Risiko einer Netzhautablösung während einer oralen Therapie mit Fluorochinolonen kurzfristig um den Faktor 4,5. So kämen – nach den Ergebnissen der Studie – auf 10.000 Patienten und Jahre vier zusätzliche Erkrankungen mit einer Number Needed to Harm (NNH) von 2500. Die Netzhautablösung trat durchschnittlich nach etwa fünf Tagen auf. Nach dem Therapieende und auch längerfristig konnte kein weiterer Unterschied zwischen der Patienten- und der Kontrollgruppe beobachtet werden. Da Sehnenrupturen eine bekannte Nebenwirkung von Fluorochinolonen sind, könnten die Netzhautablösungen auf Störungen im Kollagen- und Bindegewebe des Glaskörpers zurückzuführen sein, vermuten die Wissenschaftler. Das Risiko für Rupturen der Achillessehne war in der Studie unter einer Fluorochinolon-Therapie um den Faktor 7,1 erhöht. Da die Risikoerhebung für eine Netzhautablösung ausschließlich mit Patienten von Augenärzten durchgeführt wurde, könne daraus allerdings keine Aussage zum tatsächlichen Risiko abgeleitet werden. Fluorochinolone würden jedoch als Breitspektrumantibiotika relativ häufig appliziert, und weitere epidemiologische Studien sollten daher diesen Zusammenhang klären.


Quelle

Etminan, M. et al: Oral Fluoroquinolones and the Risk of Retinal Detachment. (2012) 307(13): 1414 – 1419.


Dr. Hans-Peter Hanssen



DAZ 2012, Nr. 15, S. 32

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