Arzneimittel und Therapie

Zirkulierende Tumorzellen

Bessere Tumorprognose mit neuem Verfahren

Bei einigen Tumorarten sind die gängigen Surrogatmarker wie der PSA-Wert beim Prostatakarzinom nicht immer optimal geeignet, um die Prognose der Patienten einzuschätzen. Große Hoffnungen ruhen daher auf Verfahren zur Bestimmung im Blut zirkulierender Tumorzellen (CTCs). Bei einigen Krebsarten werden sie bereits in klinischen Studien zur Prognoseabschätzung und zum Therapiemonitoring eingesetzt.
Foto: Hybrid Medical Animation/SPL/Agentur Focus
Neuer Prognosemarker? Zirkulierende Tumorzellen(CTCs) können mittels immunomagnetischer Markierungbestimmt werden. Auf den CTCs des Patienten – jedochnicht auf den Blutzellen – wird das Protein EpCAM (epithelialcell adhesion molecule) exprimiert. Mit EpCAM-Antikörperngekoppelte magnetische Nanoteilchen reagieren mitden CTCs. Zusätzlich werden die Zellen durch ZytokeratinundDAPI-Färbung charakterisiert. Durch ein Magnetfeldwerden schließlich die EpCAM-positiven Zellen separiert.

Der Begriff zirkulierende Tumorzellen (circulating tumor cells, CTCs) steht für Zellen, die sich von einem Primärtumor gelöst haben und im Blutkreislauf kursieren. Wenn sie in sekundäre Organe eindringen und sich dort einzeln oder als kleine Cluster ablagern, bezeichnet man sie als disseminierte Tumorzellen. Aus ihnen können sich Metastasen entwickeln, die wieder zirkulierende Tumorzellen ins Blut freisetzen. Der Nachweis von zirkulierenden Tumorzellen gestaltet sich jedoch selbst bei Patienten mit Krebs in fortgeschrittenen Stadien als schwierig, da ihr Verhältnis zu Blutzellen etwa bei eins zu einer Milliarde liegt.

Validierte Analyseplattform verfügbar

Dennoch wurden zirkulierende Tumorzellen in den vergangenen Jahren intensiv untersucht da man sich Hoffnungen machte, mit ihrer Hilfe bei metastasierten Krebserkrankungen das Ansprechen auf die Therapie und die Prognose besser als mit herkömmlichen Verfahren abschätzen zu können. Die amerikanische Firma Veridex (www.veridex.com) hat ein automatisiertes Assay (CellSearch® Circulating Tumor Cell Test) entwickelt, das es erlaubt, epitheliale Tumorzellen zu selektionieren und zu quantifizieren. Es wurde von den Zulassungsbehörden FDA und EMA für das Therapiemonitoring von Patienten mit metastasiertem Prostata-, Mamma- und Kolorektalkarzinom unter zytostatischer oder medikamentöser Tumortherapie zugelassen.

Mehr als Quantifizierung möglich

Für die Bestimmung ist lediglich eine normale Vollblut-Entnahme nötig. Mithilfe eines eisenmarkierten anti-EpCAM+-Antikörpers werden die Tumorzellen zunächst immunomagnetisch angereichert. Dies ist möglich, weil das Molekül EpCAM+ (epithelial cell adhesion molecule) auf vielen Zellen solider Tumoren exprimiert wird. In der angereicherten Probe werden anschließend weitere Färbungen, z. B. auf Zytokeratin und Tyrosinphosphatase (CD-45) durchgeführt. Letztere wird von Leukozyten exprimiert, die nach der Markierung aus der Blutprobe entfernt werden können. Übrig bleiben die EpCAM+- und Zytokeratin-positiven, CD-45-negativen Zellen.

Einsatz bisher nur in Studien

Nach Aussage von Priv.-Doz. Dr. Thomas Steuber von der Martini-Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf auf einem von der Firma Janssen-Cilag GmbH veranstalteten Pressegespräch kommt das CellSearch System gegenwärtig nur im Rahmen von Studien, jedoch noch nicht im klinischen Alltag zum Einsatz. So eignet es sich beispielsweise gut als Prognosemarker für Prostatakarzinom-Patienten, bei denen Metastasen nach bisherigen Erkenntnissen am häufigsten im Knochenmark auftreten. Zirkulierende Tumorzellen, die sich auf dem Weg vom Primärtumor ins Knochenmark befinden, können mithilfe des Assays quantifiziert werden. Wie Steuber erläuterte, ist dies von besonderem Vorteil, weil der PSA-Wert in vielen Fällen kein optimaler Marker für das Therapiemonitoring ist. "Es ist aber wichtig, beim Wechsel auf eine alternative Behandlung schnell beurteilen zu können, wie der Patient darauf anspricht. Diese Situation haben wir beispielsweise beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC), wo nach Versagen einer Docetaxel-haltigen Chemotherapie auf Abirateronacetat umgestiegen werden kann. Das Konzept der zirkulierenden Tumorzellen könnte also ein Ausweg aus diesem klinischen Dilemma sein".

Zirkulierende Tumorzellen als Prognosefaktor

Daten aus prospektiv randomisierten Studien zeigen, dass beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom ein CTC-Wert von ≥ 5 pro 7,5 ml Blut mit einer schlechteren Prognose verbunden ist. So war in einer Studie das mediane Überleben bei 231 mCRPC-Patienten signifikant länger, wenn sie vor Beginn einer neuen zytotoxischen Therapie einen CTC-Wert < 5 hatten (< 5 vs. ≥ 5: 21,7 vs. 11,5 Monate, p < 0,0001). Auch unter der Therapie gingen CTC-Werte < 5 mit einem besseren Überleben einher. Die Dynamik des CTC-Verlaufs spielte ebenfalls eine Rolle für die Prognose. Dabei war der CTC-Wert unter der Therapie ein besserer Prädiktor für das Überleben als der Abfall des PSA-Werts.

In einer weiteren Studie mit 100 überwiegend metastasierten mCRPC-Patienten unter Standard- oder Studienmedikation zeigte sich, dass der CTC- und der Lactatdehydrogenase (LDH)-Wert zu Studienbeginn unabhängige prognostische Faktoren für das Überleben waren, der PSA-Wert hingegen nicht.

Auch bei den beiden anderen Krebsarten, für die das CellSearch®-System validiert ist, konnten Zusammenhänge zwischen der CTC-Zahl und der Prognose der Erkrankung gefunden werden: Beim metastasierten Brustkrebs zeigte sich, dass Frauen mit mehr als fünf Zellen pro 7,5 ml Blut ein schlechteres Gesamtüberleben hatten als Frauen mit Werten von 5 oder darunter. Beim metastasierten Kolorektalkarzinom ergab sich ein Cut-off von 3.

Therapiemonitoring mit zirkulierenden Tumorzellen

Ein Therapiemonitoring mit zirkulierenden Tumorzellen wurde beispielsweise in Studien zur Wirksamkeit des neuen Androgenbiosynthese-Inhibitors Abirateronacetat (Zytiga®, siehe Kasten) beim metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom durchgeführt.

In einer Phase-II-Studie fand bei 41% der Docetaxel-vorbehandelten Patienten unter Abirateronacetat eine Konversion der zirkulierenden Tumorzellen von mindestens 5 auf weniger als 5 Zellen statt; bei 67% der Patienten fielen die zirkulierenden Tumorzellen um ≥ 30%. In einer Phase-III-Studie zeigte sich unter Abirateronacetat in den Wochen 4, 8 und 12 signifikant häufiger eine Konversion der CTCs als unter Placebo (jeweils plus Prednison/Prednisolon; p < 0,0001).

Kurzinfo Abirateronacetat


Der Androgenbiosynthese-Inhibitor Abirateronacetat (Zytiga®) ist seit September 2011 in Kombination mit Prednison/Prednisolon europaweit zugelassen für die Behandlung des mCRPC bei erwachsenen Männern, deren Erkrankung während oder nach einer Docetaxel-haltigen Chemotherapie progredient verläuft. In der Zulassungsstudie zeigte sich, dass der Wirkstoff nicht nur das Überleben der Patienten signifikant verlängerte, sondern zudem signifikant positive Effekte auf Schmerz, Skelett-bezogene Komplikationen, Fatigue und Lebensqualität besaß.

Zukünftige Anwendungen

An die quantitative Messung von zirkulierenden Tumorzellen können sich weitere Analysen anschließen, z. B. genetische Untersuchungen zu Resistenzen. So konnte beispielsweise bei zirkulierenden Tumorzellen von Prostatakarzinom-Patienten mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) der Genstatus von Onko- und Tumorsuppressorgenen bestimmt werden. "Wenn die CTCs eine Art Fingerabdruck des Tumors darstellen, wird es vielleicht einmal möglich sein, Karzinome mit ihrer Hilfe weiter zu charakterisieren", wagte Steuber einen Blick in die Zukunft.

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn



DAZ 2012, Nr. 14, S. 58

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