Interpharm 2012

Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes

Individuell gestalten – Hypoglykämien senken

Insuline können auch bei Patienten mit einem Typ-2-Diabetes notwendig werden, nämlich immer dann, wenn das angestrebte Therapieziel für die Stoffwechsellage anders nicht zu erreichen ist. Über die Details der Insulintherapie muss individuell entschieden werden, auch nach den Wünschen und Fähigkeiten des Patienten, so Dr. Matthias Kaltheuner, niedergelassener Diabetologe in Leverkusen.
Dr. Matthias Kaltheuner sieht in dem Hypoglykämierisiko das Hauptkriterium für die Insulinauswahl. Foto: DAZ/Darren Jacklin

Bei den Regimes besteht die Wahl zwischen BOT, CT, SIT und ICT, die eine sehr unterschiedliche Flexibilität in der Kohlenhydratzufuhr erlauben. Ähnlich wichtig ist die Wahl des oder der Insuline. Das Hypoglykämierisiko niedrig zu halten, ist dabei ein wichtiges Kriterium. Alles aber ist nichts, wenn der Patient die Therapie nicht mitträgt. Er muss in die Therapieentscheidung aktiv eingebunden werden.


Patienten mit einem Typ-2-Diabetes fordern von ihrem behandelnden Arzt nur selten eine Insulintherapie, sehr viel häufiger lehnen sie sie mehr oder weniger strikt ab. Wann aber ist der Zeitpunkt gekommen, an dem an Insulin kein Weg mehr vorbei führt? "Immer dann, wenn das Therapieziel für die Stoffwechsellage anders nicht zu erreichen ist", so Kaltheuner. Und er betonte: "Im Vordergrund steht die Stoffwechsellage." Aus seiner Sicht würde manch ein Typ-2-Diabetiker kein Insulin benötigen, wenn er sich ausreichend bewegen, ausgewogen ernähren und Gewicht reduzieren würde.

Beides möglich: Humaninsuline und Insulinanaloga

Als Humaninsuline stehen für die Insulintherapie Normalinsulin und NPH-Insulin, die oft als Mischinsulin zum Zuge kommen, zur Verfügung. Darüber hinaus lassen sich schnell oder lang wirksame Insulinanaloga einsetzen, wie Insulinaspart und Insulinlispro beziehungsweise Insulinglargin oder Insulindetemir. Sie werden in Deutschland allerdings seltener genutzt als in anderen europäischen Ländern, obwohl, so Kaltheuner "die Verordnungseinschränkungen durch die Rabattverträge fast bedeutungslos geworden sind".

Kurzwirksame Insulinanaloga: kein Spritz-Ess-Abstand – weniger Hypoglykämien

Die Vorteile kurzwirksamer Insulinanaloga, die zur Mahlzeit appliziert werden, liegen auf der Hand. Die Wirkung setzt schneller ein als bei Normalinsulin und endet früher. Ein Spritz-Ess-Abstand ist daher nicht erforderlich. Eine Injektion ist auch direkt nach der Mahlzeit noch möglich, falls der Patient sich unabhängig von bereits gespritztem Insulin das Essen schmecken lassen möchte. Da Insulinanaloga ein höheres Wirkmaximum haben, sind die postprandialen Blutglucosespiegel niedriger, Spitzenwerte werden vermieden. Und, last but not least, geht die kürzere Wirkdauer mit einem geringeren Risiko für Unterzuckerungen einher. "Die klinische Relevanz dieser Vorteile ist dabei immer im Einzelfall zu beurteilen", betonte Kaltheuner. Relevant aber ist, dass Insulinaspart und Insulinlispro in gleicher Dosierung so gut wie identisch wirksam sind: "Das ist wichtig, wenn es zu Lieferproblemen kommt."

Basalinsuline: hohe inter- und intraindividuelle Variabilität

Standardinsulin für die Basaltherapie ist nach wie vor NPH-Insulin. Die Wirksamkeit ist allerdings sehr variabel und schlecht reproduzierbar. Da NPH-Insulin vor allem in den ersten Stunden wirkt, ist das Risiko nächtlicher Unterzuckerungen erhöht. Bei langwirksamen Insulinanaloga ist dieses Risiko zwar geringer, da sie keine so hohen Plasmaspiegel erreichen. Die Variabilität ist weniger ausgeprägt, aber vorhanden. Deshalb gilt: Die Insulintherapie muss immer sehr individuell gestaltet werden. Doch gerade diese hohe intra- und interindividuelle Variabilität ist häufig der Grund dafür, dass die Insulintherapie für Patient und Arzt frustrierend verläuft, so Kaltheuner. Bereits ante portas steht das Ultralangzeit-Insulin Degludec, das über 72 Stunden wirkt. Es soll noch im Laufe dieses Jahres auf den Markt kommen und als ein weiterer Baustein die Optionen in der Insulintherapie erweitern.

Am Anfang steht die Hyperinsulinämie


Zu Beginn des Typ-2-Diabetes besteht an Insulin kein Mangel. Als Reaktion auf die Insulinresistenz von Muskel-, Leber- und Fettzellen, die den Typ-2-Diabetes einleitet, produzieren die Betazellen hohe Insulinmengen. Eine Insulintherapie wäre deshalb völlig fehl am Platz. Erst durch den allmählichen Verschleiß der Betazellen nimmt die Insulinproduktion ab, sodass es zu einem Insulinmangel kommt.

BOT, CT, SIT oder ICT?

Vor der Wahl des Insulins steht die Wahl des geeigneten Insulintherapieregimes. Grundsätzlich stehen für die Behandlung von Patienten mit Typ-2-Diabetes vier Möglichkeiten zur Verfügung:

  • BOT: basalunterstützte orale Therapie

  • CT: konventionelle Insulintherapie

  • SIT: supplementäre Insulintherapie

  • ICT: intensivierte konventionelle Insulintherapie

Am einfachsten ist die BOT, mit der viele Patienten mit Typ-2-Diabetes in die Insulintherapie einsteigen. Sie erhalten NPH-Insulin zur Nacht zusätzlich zur bestehenden oralen Medikation, in aller Regel Metformin. Dieses Regime hat allerdings nur einen begrenzten Effekt auf die postprandialen Blutzuckerspiegel und ist eher unflexibel mit Blick auf die Kohlenhydratzufuhr. Bei der CT wird zweimal täglich eine festgelegte Menge an Mischinsulin gespritzt. Das ist auf den ersten Blick einfach, erfordert aber ein strenges Einhalten einer Diät. Die Diabetiker können nicht nach Lust und Laune essen, was und wann sie wollen. Sie müssen ihre Mahlzeiten nach der gespritzten Insulinmenge zusammenstellen und sind gezwungen, pünktliche Essenszeiten einzuhalten. Bei der SIT wird der erhöhte Insulinbedarf zu den Mahlzeiten durch Normalinsulin oder schnell wirksame Insulinanaloga ergänzt. Dabei gibt es verschiedene Stufen, die letztlich in die ICT übergehen, so Kaltheuner: eine feste Dosis zu jeder Hauptmahlzeit, eine feste Dosis mit Korrekturen für mehr oder weniger Kohlenhydrate und die individuelle Anpassung der Dosis an die aufgenommene Kohlenhydratmenge. Die ICT wird bei Typ-2- und Typ-1-Diabetes gleich durchgeführt. Dabei fährt der Diabetiker zweigleisig. Mit einem langwirksamen Insulin wird der Grundbedarf gedeckt. Anpassungen bei Infekten, Stress und Bewegung können notwendig sein. Der Insulinbedarf zu den Mahlzeiten wird jeweils berechnet und als kurz wirksames Normalinsulin oder kurz wirksames Insulinanalogon gespritzt. Damit wird ein Höchstmaß an Freiheit für die Kohlenhydrataufnahme erreicht.

Hauptkomplikation Hypoglykämie

Limitiert wird der Einsatz von Insulin durch die Unterzuckerungen. Letztlich, so Kaltheuner, kann mit Insulin jeder Blutzuckerspiegel erreicht werden, wenn das Risiko der Hypoglykämie nicht wäre. Bleibt man realistisch, lässt sich eine Senkung des HbA1c-Wertes um etwa 2% erreichen. Dennoch bleibt die Hypoglykämie die Hauptkomplikation. Ein Hauptkriterium bei der Auswahl des Insulins ist deshalb das Hypoglykämierisiko. Hier können Analoginsuline durchaus Vorteile bieten. Allergien als mögliche Nebenwirkung treten nur selten auf und äußern sich durch Juckreiz erst an der Injektionsstelle, später auch am ganzen Körper, sowie als Hautausschlag. In solchen seltenen Fällen sollten andere Insulinpräparate probiert werden.


bf



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DAZ 2012, Nr. 12, S. 74

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