Arzneimittel und Therapie

CYP2C19-Genotyp und Clopidogrel

Gentests vor einer Clopidogrel-Therapie?

Im März 2010 veröffentlichte die FDA eine Boxed Warning zur Sicherheit von Clopidogrel, in der auf ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bei CYP2C19 Langsam-Metabolisierern hingewiesen wird. Seitdem wird der Nutzen von Tests zur Bestimmung des CYP2C19-Genotyps kontrovers diskutiert. Den Ausgaben für einen teuren Gentests steht die Rate kardiovaskulärer Ereignisse gegenüber, die durch eine Anpassung der Therapie gesenkt werden könnte. Eine aktuelle Metaanalyse kommt nun zu dem Schluss, dass keine Empfehlung für eine routinemäßige Durchführung dieser Gentests ausgesprochen werden kann.

Grundlage für die Boxed Warning der FDA vom März 2010 war eine Cross-over-Studie an 40 gesunden Probanden, je zehn aus jeder Stoffwechselgruppe (ultraschnell, schnell, intermediär und langsam). Der Einfluss des CYP2C19-Genotyps auf die Konzentration des aktiven Metaboliten und die Plättchenaggregation (Messung ex vivo) wurde untersucht. Jede Gruppe wurde zu Beginn für eines von zwei Dosierschemata randomisiert, die über je fünf Tage angewendet wurden: Eine Initialdosis von 300 mg Clopidogrel gefolgt von 75 mg pro Tag bzw. eine Aufsättigungsdosis von 600 mg Clopidogrel mit anschließend 150 mg pro Tag. Nach einer Wash-out-Phase erhielt jeder Teilnehmer die jeweils andere Dosierung. Im Vergleich zu Schnell-Metabolisieren zeigte sich dabei eine geringere Exposition gegenüber dem aktiven Metaboliten sowie eine verminderte Inhibition der Plättchenaggregation bei Langsam-Metabolisierern. Die FDA weist aus diesem Grund darauf hin, dass bei Patienten mit Langsam-Metabolisierer-Status ein verringertes Ansprechen auf eine Therapie mit Clopidogrel möglich ist, das in schlechteren klinischen Ergebnissen für diese Patienten resultieren kann. Eine Änderung der medikamentösen Therapie oder eine Erhöhung der Dosierung kann bei betroffenen Patienten erwogen werden, wobei noch keine Daten zur Dosisanpassung bei Langsam-Metabolisierern existieren.

Seit Veröffentlichung der FDA-Meldung wird der Einfluss des CYP2C19-Genotyps auf eine Therapie mit Clopidogrel sowie die Frage nach einer daraus resultierenden standardmäßigen Gentestung kontrovers diskutiert. Amerikanische Fachgesellschaften wie die American Heart Association oder die American College of Cardiologists Foundation werfen der FDA eine Überbewertung der zugrunde liegenden Studie vor, da die Daten nicht ausreichend klären, ob aufgrund der geringeren Plättchenaggregation die Rate kardiovaskulärer Ereignisse bei Langsam-Metabolisierern erhöht ist. Nicht unerhebliche Zusatzkosten von bis zu 500 US-Dollar pro Patient für eine routinemäßige Testung stehen einem nicht erwiesenen klinischen Nutzen gegenüber, der erst durch weitere Studien belegt werden muss, so ihre Argumentation.


Clopidogrel


Clopidogrel ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Thrombozytenaggregationshemmer, der durch Bindung an den ADP-Rezeptor auf der Thrombozytenoberfläche die Adenosindiphosphat-vermittelte Plättchenaktivierung irreversibel hemmt. Er wird als Prodrug verabreicht und in der Leber durch Cytochrom P450-abhängige Oxidation und anschließende Hydrolyse in die aktive Form überführt. Unter anderem das CYP2C19-Isoenzym, das zahlreichen genetischen Polymorphismen unterliegt, ist an diesen Stoffwechselschritten beteiligt. Mehr als 26 verschiedene CYP2C19-Allele, die von genetischen Variationen betroffen sind, konnten bislang identifiziert werden.

Je nach Art und Zahl der vorhandenen Polymorphismen ist eine Zuordnung der Patienten zu einer der vier Stoffwechselgruppen möglich: Ultraschnell-, Schnell-, Intermediär- und Langsam-Metabolisierer. Schnell-Metabolisierer werden mit normaler Enzymfunktion assoziiert und tragen das CYP2C19*1 Allel.


Langsam-Metabolisierer sind definiert als Träger zweier sogenannter Loss-of-function-Allele, die mit einer reduzierten Enzymfunktion einhergehen. Dazu gehören vor allem die Allele CYP2C19*2 und CYP2C19*3, die in etwa 2% der kaukasischen, 4% der schwarzen und 14% der chinesischen Bevölkerung nachgewiesen werden können und somit die häufigsten Polymorphismen darstellen.


Träger nur eines Loss-of-function-Allels werden als Intermediär-Metabolisierer bezeichnet, während Ultraschnell-Metabolisierer Träger eines sogenannten Gain-of-function Allels sind, welches eine Erhöhung der Enzymaktivität zur Folge hat. Es handelt sich dabei um das Allel CYP2C19*17.


Die Pharmakokinetik des aktiven Metaboliten und der ex-vivo gemessene thrombozytenaggregationshemmende Effekt unterscheiden sich in Abhängigkeit vom CYP2C19-Genotyp. Es sind Tests verfügbar, mit denen der Genotyp der Patienten ermittelt werden kann.


Clopidogrel ist in Kombination mit ASS indiziert zur Prävention atherothrombotischer und thromboembolischer Ereignisse bei Vorhofflimmern einschließlich Schlaganfall, sofern eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten nicht möglich ist und mindestens ein Risikofaktor für vaskuläre Ereignisse vorliegt. Zum anderen ist eine Kombinationstherapie möglich bei erwachsenen Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne ST-Strecken-Hebung sowie nach Stent-Implantation oder nach akutem Myokardinfarkt mit ST-Strecken-Hebung, sofern eine thrombolytische Therapie infrage kommt.


Als Monotherapie wird Clopidogrel eingesetzt zur Prävention atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit Herzinfarkt in den letzten 35 Tagen, nachgewiesener peripherer arterieller Verschlusskrankheit oder ischämischem Schlaganfall (sieben Tage bis weniger als sechs Monate zurückliegend).

Ein Gentest für alle?

Eine Metaanalyse sollte daher nun die aktuelle Datenlage bewerten. 32 Studien wurden in die Auswertung mit einbezogen. Ziel der Metaanalyse war es, festzustellen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Stoffwechselstatus von Patienten und der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse gibt.

Als problematisch bei dieser Auswertung zeigte sich die große methodische Vielfalt der erfassten Arbeiten. Die überwiegende Zahl waren prospektive Kohortenstudien, bei einigen wenigen handelte es sich um Fall-Kontrollstudien. Nur sechs randomisierte, kontrollierte Studien wurden mit einbezogen, wovon jedoch keine für die Fragestellung der Metaanalyse konzipiert war; bei den Auswertungen nach Genotyp handelte es sich um Subgruppenanalysen. Weitere Abweichungen zwischen den Studien ergaben sich durch die Einschlusskriterien, die Patientencharakteristika, die getesteten Allele, die erfassten Endpunkte und die Anzahl der Studienteilnehmer. Eine genaue Übersicht über die Eigenschaften der eingeschlossenen Studien finden Sie in der Tabelle.


Die Metaanalyse konnte Assoziationen zwischen CYP2C19 Genotyp und der Konzentration an aktivem Metaboliten zeigen. Die AUC0-t von der Zeit der Einnahme bis zur letzten messbaren Konzentration war bei Trägern eines Loss-of-function-Allels um 0,14 μM/h geringer im Vergleich zu Trägern der Allele *1 bzw. *17. Die Auswertung von vier der sechs randomisierten kontrollierten Studien zeigte außerdem eine verminderte Inhibition der Plättchenaggregation bei Trägern zweier Loss-of-function-Allele im Vergleich zu Trägern eines oder keines Loss-of-function-Allels. Ein signifikanter Zusammenhang zu daraus resultierenden kardiovaskulären Ereignissen konnte aber nicht abgeleitet werden. Vor allem die Inhomogenität der Studien und eine nachgewiesene Small-study-Bias, das heißt die Verzerrung statistischer Ergebnisse bei kleineren Studien, deren Fallzahl für die Fragestellung zu gering ist, erschwerten eine aussagekräftige Auswertung der Daten.

Auch wenn eine Standardtestung auf CYP2C19-Polymorphismen momentan umstritten ist, sollten Hinweise, dass Clopidogrel bei einigen Patienten nicht vollständig wirkt, ernst genommen werden. Aufgrund der Folgen für den Patienten, die sich aus einer inadäquaten Thrombozytenhemmung ergeben können, sollte im Einzelfall entschieden werden, ob ein Test durchgeführt wird und welche Folgen für die Therapie, d. h. Dosisanpassung oder medikamentöse Umstellung, daraus abgeleitet werden. Eine Erhöhung der Clopidogrel-Dosis kann das Risiko für Blutungen erhöhen, zumal keine Daten zur Dosierung bei Langsam-Metabolisieren vorliegen. Ein Umstellen auf andere Wirkstoffe wie Prasugrel oder Ticagrelor, beide nicht von CYP2C19-Polymorphismen betroffen, könnte hier eine Alternative darstellen.

Ob sich die finanzielle Investition in die genetische Identifikation von CYP2C19-Polymorphismen auch in einer verbesserten Rate kardiovaskulärer Ereignisse für den einzelnen Patienten niederschlägt und damit langfristig Kosten sparen kann, muss in Zukunft noch durch aussagekräftige Studien festgestellt werden, da diese in der momentanen Diskussion noch fehlen.


Zum Weiterlesen


Ist eine Genotypisierung zielführend?

Clopidogrel und die Bedeutung von CYP2C19

DAZ 2010, Nr. 39, S. 62 – 65.


Quelle

Holmes MV, Perel P.: CYP2C19 Genotype, Clopidogrel Metabolism, Platelet Function, and Cardiovascular Events. JAMA (2011) 306 (24): 2704 – 2714.

Steven E. Nissen.: Pharmacogenomics and Clopidogrel. JAMA (2011) 306 (24): 2727.

ACCF/AHA Clopidogrel Clinical Alert: Approaches to the FDA Boxed Warning. Circulation 2010, 122: 537-557.

Fachinformation Plavix® 75 mg, Stand Mai 2011.

FDA Drug Safety Communication: Reduced effectiveness of Plavix (Clopidogrel) in patients who are poor metabolizers of the drug. 03-12-2010.


Apothekerin Monika Alter



DAZ 2012, Nr. 12, S. 50

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