Arzneimittel und Therapie

Paracetamol-Intoxikationen

Giftnotruf Erfurt fordert bundesweite Beobachtung

Im Vorfeld der Sitzung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht am 27. Februar 2012 suchen sowohl Befürworter als auch Gegner einer Paracetamol-Rezeptpflicht verstärkt die Öffentlichkeit. In den Weihnachtstagen sorgte Dr. Helmut Hentschel, Leiter des Giftnotrufs Erfurt, für Aufsehen. Die Beschränkung der Paracetamol-Packungsgröße habe nichts gebracht, über die Unterstellung unter die Rezeptpflicht müsse dringend nachgedacht werden, so seine Forderung.

In der von dpa am 25. Dezember 2011 verbreiteten Meldung erklärte Hentschel, dass es trotz der seit 2009 geltenden Begrenzung der maximalen OTC-Abgabemenge von 10 g Paracetamol nahezu unverändert häufig zu Vergiftungen und schweren Leberschäden komme. Der Giftnotruf Erfurt – das gemeinsame Giftinformationszentrum der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (GGIZ Erfurt, ca. 10 Millionen Einwohner) – registriere nahezu täglich einen Vergiftungsfall mit Paracetamol, 5% aller Notrufe aufgrund von Arzneimitteln gehen auf das Konto von Paracetamol.

Spitzenreiter Paracetamol, gefolgt von Ibuprofen

Auf Nachfrage der DAZ präzisierte Hentschel die Aussagen. In den Jahren 2001 bis 2010 betrafen 65% aller Anfragen zu Intoxikationen bei Erwachsenen Arzneimittel. Spitzenreiter war dabei Paracetamol, gefolgt von Ibuprofen (s. Abb.1). Auch bei Kindern führte Paracetamol die Anfragestatistik an (Abb. 2).

Dabei soll bei dem vom GGIZ-Erfurt dokumentierten Vergiftungsgeschehen Paracetamol sowohl bei den akzidentellen als auch bei den suizidalen Vergiftungsfällen eine Spitzenstellung eingenommen haben. Diese werde, so Hentschel, durch die freie Zugänglichkeit von Paracetamol begünstigt.

Steigende Zahlen bis 2009

Zudem sei die Zahl der registrierten Vergiftungsfälle mit Paracetamol als Hauptnoxe (Mono- und Mischintoxikationen) in den vergangenen Jahren angestiegen (Tab. 1). Zwar seien dem GGIZ in den letzten zehn Jahren in seinem Einzugsgebiet keine Todesfälle bekannt geworden, doch habe die Zahl der zum Zeitpunkt der ersten Anfrage als lebensbedrohlich eingeschätzten Fälle zugenommen (Tab. 2). Auf die Frage, wie die im Vergleich zu 2009 niedrigeren Zahlen in 2010 zu bewerten seien, erklärte Hentschel: "Die Entwicklung von einem Jahr zum anderen ist ein zu kurzer Zeitraum, um eine Trendaussage zu treffen. Gerade deshalb ist eine weitere intensive Beobachtung der Entwicklung erforderlich. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Entwicklung in unserem Einzugsgebiet keine verlässliche Aussage für die ganze Bundesrepublik zulässt." Hentschel konnte kurzfristig keine Angaben dazu machen, ob und wie häufig weitere Arzneimittel und/oder Alkohol im Spiel waren.

Hentschel hält ein Nachdenken über die Rezeptpflicht von Paracetamol für erforderlich und empfiehlt folgendes Vorgehen:

  • Die Entwicklung der Verordnung, des Abverkaufs (OTC) und des Vergiftungsgeschehens von/mit Paracetamol sollte bundesweit weiter beobachtet und ausgewertet werden. Dazu können die deutschen Giftinformationszentren einen wesentlichen Beitrag leisten.

  • Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht sollte sich auf der Grundlage dieser Daten zu gegebener Zeit erneut mit der Frage einer Verschreibungspflicht von Paracetamol befassen.

  • Beim Abverkauf in der Apotheke (auch über das Internet) sollten die Käufer auf die Einhaltung der Dosierung und der Anwendungsdauer hingewiesen werden. Es muss vor allem darauf hingewiesen werden, dass es bereits bei längerer Anwendung einer hohen therapeutischen Dosis zur Leberschädigung kommen kann.

  • Jeder Abverkauf von Paracetamol außerhalb der Apotheke ist abzulehnen.

BAH: Lebertransplantationen und Todesfälle selten

Auch die Gegner einer Rezeptpflicht für Paracetamol berufen sich auf Analysen von Giftnotrufzentralen. So hatte Dr. Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), mit entsprechenden Zahlen begründet, dass Lebertransplantationen und Todesfälle aufgrund einer Paracetamol-Intoxikation in Deutschland im Vergleich zu England und den USA außerordentlich selten sind (DAZ 2011, Nr. 50, S. 64 – 67).

Als Beispiel führte er eine auf Anfrage des BfArM durchgeführte retrospektive Analyse der Gesellschaft für Klinische Toxikologie an, bei der die Giftnotruffälle der Jahre 1996, 2001 und 2006 ausgewertet worden waren. Danach betrafen 2,6% der Notrufe Paracetamol, in 1,7% der Fälle war Paracetamol in suizidaler Absicht eingenommen worden, wobei auch Mischintoxikationen von Paracetamol mit anderen Substanzen in diesen Zahlen enthalten sind. In drei Fällen sei ein letaler Ausgang berichtet worden. Die Mainzer Giftnotrufzentrale soll in der Zeit von 1995 bis 2002 4021 Meldungen zur suizidalen oder parasuizidalen Paracetamol-Einnahme erhalten haben, das entspricht etwa 500 Fällen pro Jahr. Unstrittig ist, dass Paracetamol in hoher Dosierung die Leber schädigt. Daher wurde die Tageshöchstdosis auf 4 g/Tag (= 8 Tabletten mit 500 mg Paracetamol) festgelegt. Das Risiko steigt unter anderem bei gleichzeitigem Alkoholkonsum.

AMK-Empfehlungen

In einer vor Kurzem veröffentlichten Stellungnahme hat die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) noch einmal folgende generelle Empfehlung gegeben: "Abgabe einer maximalen Packungsgröße von 20 Tabletten à 500 mg, Einhaltung der empfohlenen Einzel- und Tagesdosen (peroral oder rektal), maximale Dauer der Selbstmedikation drei (bei Fieber) beziehungsweise vier Tage (bei Schmerzen), keine Kombination mit Paracetamol-haltigen anderen Arzneimitteln oder NSAR, keine Einnahme/Anwendung bei bekanntem Alkoholmissbrauch oder Vorschädigung der Leber."


du



DAZ 2012, Nr. 1, S. 34

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