Gesundheitspolitik

Der Feind in meinem Bett

Seit dem 1. Januar 2012 kooperieren selbstständige Rewe-Supermärkte und DocMorris. In den entsprechenden Filialen können durchaus ansehnliche Prospekte mitgenommen werden und auf dieser Grundlage rabattierte Arzneimittel exklusiv für Rewe-Kunden im Internet bestellt und gekauft werden. So weit so gut. Daraus erwächst ein neuer Wettbewerber für alle Apotheken, denn die Omnipräsenz der führenden Lebensmittelhändler in Deutschland ist hoch. Lebensmittler sind dort wo Menschen sind, Apotheken auch. Lebensmittel sind Güter des täglichen Bedarfs, Arzneimittel bei konkretem Bedarf auch. Diese neuerliche Initiative außerhalb des eigentlichen Apothekenspektrums lässt alle Beteiligten sich wieder daran erinnern, wer der eigentliche Wettbewerber ist. Viele Apotheken empfinden nach wie vor den Branchenkollegen als den größten Konkurrenten. Diese Logik ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dieser Wettbewerb findet statt, hat aber wenigstens einen systemerhaltenden Charakter. Jedes Arzneimittel, das außerhalb der Struktur der Apotheken distribuiert und verkauft wird, tut dem System nicht gut und unterläuft es. Denn es dokumentiert, dass es offensichtlich auch außerhalb des Systems läuft. So muss es jedem Apotheker lieber sein, dass das Arzneimittel beim Standeskollegen gekauft wird als in einem artfremden Kanal. Denn je mehr Präparate über andere Vertriebskanäle laufen, umso fragiler wird das eigene System.

Aldi, Lidl (mit den Systemen Kaufland und Lidl), Rewe (Rewe und Penny), Edeka (Edeka, E-Center, Netto) und Metro (real) neben Schlecker (nun nicht mehr oder vielleicht doch), dm, Rossmann und Ihr Platz sind Vorboten einer sich abzeichnenden Aufweichung der Distributionswege. Sollte jeder mit jedem kooperieren, bleiben andere auf der Strecke und die Marktbedingungen verschieben sich. Rewe & Co. arbeiten schon lange im Bereich der Lebensmittel, der sog. fast moving consumer goods unter härtesten Marktbedingungen in weitgehend liberalisierten Märkten und müssen sich nur dann gegenüber dem Gesetzgeber rechtfertigen, wenn die Ordnungshüter eine zu große Nachfragemacht des Handels zulasten kleinerer Hersteller befürchten. Je aufgeweichter ein System wird, umso besser können die darin erprobten Marktakteure ihre Chancen nutzen. Deswegen darf dies von den Apotheken und ihren Vertretern nicht nur beobachtet werden, sondern muss kommentiert und bekämpft werden. Dabei muss bedacht sein, dass jeder Versuch der Absprache zwischen Apotheken im Kampf gegen neue Wettbewerber kartellrechtlich verfolgt werden dürfte. Deshalb ist es so wichtig, weiter dafür zu kämpfen, dass gegen derlei Aderlass mal wieder politische Entscheidungen und damit ordnungspolitische Lösungen Not tun.

Denn unter wettbewerblichen Gesichtspunkten dürfte klar sein, dass im hart umkämpften Lebensmittelmarkt die anderen Wettbewerber der Rewe und ihrem geschickten Schachzug mit DocMorris nachfolgen werden und demnach ebenfalls versuchen müssen, Arzneimittel auf welchem Wege und in welchem Geschäftsmodell auch immer anzubieten, so sie es nicht eh schon tun. Man mag dies gelassen nehmen, aber die Zahl der Einschläge für Apotheken nimmt sprunghaft zu. Als 1998 Aldi als erster Lebensmittler einen PC für damals 1998,- DM anbot, sind innerhalb von rund zwei Wochen ca. 200.000 PCs verkauft worden. Rewe mit Penny zog innerhalb weniger Wochen im Vorweihnachtsgeschäft nach. Nochmals rund 80.000 Einheiten konnten veräußert werden. Demnach sind binnen weniger Wochen kanalfremd knapp 300.000 Teile abgegeben worden. Der damalige Branchenführer Vobis – an den sich der eine oder andere noch erinnern kann – musste wenige Monate später Insolvenz anmelden. Seitdem ist das Geschäftsmodell der sog. Partievermarktung hoffähig. Nahezu jeder Discounter vermarktet Partien. In der Sprache des Category Management sind dies Saisonartikel oder punktuelle Ergänzungssortimente. Sie dienen weniger dem Deckungsbeitrag als der Frequenz und sie kennen weder Freund noch Feind. Tchibo arbeitet außerhalb des Kaffeeangebots seit Jahren mit diesen Sortimenten. Auch wenn die Idee des "jede Woche eine neue Welt" nicht mehr so trägt wie noch zu Beginn, handelt es sich um eine etablierte Geschäftsidee. Frequenz bei den einen, bedeutet Flächenbrand bei den anderen. Ob Wischblätter für den Scheibenwischer oder Schulhefte; immer werden zeitlich begrenzt Marktanteile von anderen spezifischen Kanälen abgegraben. Der einzelne Apotheker mag dies an den betreffenden Stellen nur am Rande verspüren, aber hier ein wenig und dort ein wenig schadet der Marge am Ende auch. Und die Strukturen, die dabei aufgebaut werden, gehen über die Partievermarktung hinaus. Mit dem Rewe-DocMorris-Fall zeigt sich, dass die Phase des ausschließlich für kurze Momente Arzneimittel Anbietens vorbei ist, jetzt wird dauerhaft angeboten. Mit dem EuGH-Urteil hatten seinerzeit viele der Lebensmittelhändler nicht gerechnet. Sie waren darauf vorbereitet, dass sie mehr oder weniger intensiv in den aus ihrer Sicht lukrativen Arzneimittelmarkt einsteigen können. Die seitdem vorherrschende Ruhe vor dem Sturm ist nun vorbei. Der Arzneimittelmarkt ist vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wachsend. Alle Händler sind auf der Suche nach Wachstumsmärkten. Als klar wurde, dass Kettenstrukturen nicht erlaubt würden und auch das Fremdbesitzverbot nicht zu fallen schien, war auch vorgezeichnet, dass die Unternehmensstrategen nicht Ruhe geben werden. Die Marktmodelle dürften vielschichtig werden und die Konsequenzen auch. Bei einer Veranstaltung von Naturkosthändlern stand einer der Händler auf und berichtete darüber, dass in unmittelbarer Nähe seines inhabergeführten Fachgeschäftes ein Penny-Markt im Schaufenster werben würde: bei uns jetzt 90 Bio-Artikel. Die rund 100 Branchenkollegen skandierten "Sauerei" und bedauerten den berichtenden Händler. Auf meine Rückfrage, wie viel Bio-Artikel er denn habe, verriet er stolz, fast 6000. Wer hat dann also die Bio-Kompetenz, wer kann diese am besten kommunizieren und wer sollte nicht nur das Selbstwertgefühl mitbringen, der kompetenteste Anbieter zu sein, sondern auch das Selbstbewusstsein, dies mit allen Mitteln zu bespielen. Je eher die Apotheken dies realisieren, desto eher können sie sich darauf einstellen. Der Feind in meinem Bett ist in erster Linie der (Noch-)Exot im Arzneimittelmarkt. Wehrt Euch!


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2012, Nr. 8, S. 2

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