Gesundheitspolitik

Ausgeschleckert?

Andreas Kaapke

Die Nachricht kam nicht gänzlich überraschend und doch war es ein Paukenschlag. Schlecker meldet Insolvenz an; eine sogenannte Planinsolvenz, was sicherstellen würde, dass die bestehende Geschäftsführung unter zugewiesener Kontrolle weiter das Management fest in Händen hält. Parallel ist zu hören, dass Praktiker in schwere See geraten ist, die Strategie des "20%-auf-alles-außer-Tiernahrung" sei zu lange verfolgt worden. Auch die bankrotte Quelle, die angeschlagene Woolworth, selbst die in der Sanierung befindliche Karstadt-Gruppe zeigen ähnliche Strukturen. Keiner ist ein echter Discounter und doch haben alle – vielleicht bis auf Karstadt – versucht, über Preisgünstigkeit Marktanteile zu gewinnen. Schlecker hatte in seiner Spitzenzeit weit über 10.000 Filialen, wenn auch nicht alle in Deutschland, so doch den überwiegenden Teil. Damit ist klar, dass Schlecker dort ist und war, wo kaum ein anderer mehr Geschäfte zu machen versuchte. In der Reuterstadt Stavenhagen in der Mitte Mecklenburg-Vorpommerns (ca. 6000 Einwohner) beispielsweise unterhielt Schlecker lange Zeit im Bereich der eigentlichen Kernstadt und nicht im wenige Gehminuten entfernten Einkaufszentrum zwei Standorte. Warum? Lange hieß es in Immobilienkreisen, wenn ein Ladenlokal leer stand und nicht vermietet oder verkauft werden konnte, biete es Schlecker an, da ist die Chance am größten, dass eine Filiale eröffnet wird. Die Filialen von Schlecker gelten als kleine bis kleinste Fachmärkte, die bei wenig Personal nicht dem klassischen Discounter folgen, möglichst wenig Ware zu führen, sondern ein für die Fläche vergleichsweise großes Sortiment vorhalten. Das führte dazu, dass die Geschäfte übervoll und etwas dunkel wirken, kaum jemand einen Beschäftigten findet und der Laden Gefahr lief, relativ schnell ramschig anzumuten. Aber ein Teil der Wahrheit ist es auch, dass in vielen Regionen eben nur noch ein Schlecker da war, der den Part des letzten Nahversorgers übernahm, wo andere schon lange ihr Filialnetz bereinigt hatten. Zu Recht können jetzt einige sagen, dass sich diese Art der Filialstruktur rächt, aber an diesen Standorten war und ist Schlecker wichtiger Versorger und wichtiger Arbeitgeber.

Bei Praktiker ist es noch nicht so weit, aber seit rund 1 Jahr wird auch hier spekuliert, wie man die Kurve bekommen kann. Erste Ansätze sind von einem Chefsanierer gemacht, das ursprüngliche Management wurde weitgehend ausgetauscht. Das Kernproblem von Praktiker liegt darin, dass Kunden sich immer nur an ein Attribut erinnern können: Preis. Der Umschwung – auch in der Fernsehwerbung mit Boris Becker – braucht nicht nur Zeit, sondern muss auch in den Outlets gelebt werden (können).

Was können Apotheken, aber noch besser die für Apotheken zuständige Politik daraus lernen? Filialisierung ist nicht per se ein Erfolgsmodell, Größe kippt irgendwann, wenn nämlich vor lauter Wachstumsnot Geschäfte hinzugenommen werden müssen, die nicht mehr ertragreich sind und nicht optimal ins Portfolio passen. Dies fällt aber in der großen Menge nicht auf Anhieb auf und macht sich zumindest nicht zwingend in Summe negativ bemerkbar. Zudem wird die Steuerung zu großer Schiffe schwierig, eine Havarie ist nicht ausgeschlossen, wenn man ein zu hohes Risiko fährt. Schon in den letzten Monaten wurden über 1000 Schlecker-Filialen geschlossen, welch gigantische Summe. Da dies aber auf der Basis einer noch viel größeren Summe an Geschäften erfolgte, relativiert sich die Zahl aus Sicht des Betrachters, im wahrsten Sinne des Wortes. Die zweite Botschaft, die man nicht nur von Schlecker, sondern auch von Quelle, Woolworth, Praktiker usw. ablesen kann, lautet: Preis kann jeder und Preis ist kopierbar. Wenn ein preisaggressiver Anbieter entweder Marge verliert oder aber Marktanteil, wird sein Geschäftsmodell fragil. Im Preis zu reagieren, setzt einen generellen Paradigmenwechsel voraus, der von den Kunden mitgegangen werden muss – schwierig. Denn wie erklärt man einem konditionierten Kunden, dass das mit dem Preis jetzt vorbei ist und alles, was man bisher günstiger erhalten hat, teurer wird.

Der Ausgang einer Planinsolvenz ist nicht vorhersehbar, unsere guten Wünsche begleiten Schlecker ob der 30.000 Mitarbeiter und der vielen Solitär-Standorte, die dann verwaist wären. Sollte die Sanierung nicht gelingen, haben wir aber keinen Mangel an Anbietern, bei denen man Drogerieartikel kaufen kann, vielleicht nicht ganz so günstig, vielleicht muss man weiter fahren. Bei Apotheken läge der Fall gänzlich anders, es sind ja gerade Einzelgeschäfte. Hier muss Sorge getragen werden, dass die Struktur nicht bricht. Insofern mag es makaber anmuten, dass eine derartige Unternehmenskatastrophe für die Apotheken zur rechten Zeit kommt. Denn an den geschilderten Beispielen kann neuerlich deutlich gemacht werden, dass die weitere Aufweichung des Mehrbesitzverbotes erhebliche Risiken birgt und dass die Verwässerung der Arzneimittelpreisverordnung im Zweifel Preismechanismen auslöst, die kontraproduktiv sind. Verbraucherschützer, die sich über Rabattitis freuen, mögen den Fall Schlecker genau verfolgen. Ist Konsumenten wirklich dauerhaft gedient, wenn ein Anbieter wegbricht, der auch strukturpolitische Aufgaben erfüllt hat, nur weil es ein Segen ist, wenn (über-)billig angeboten wird und dadurch Verbraucher profitieren? Kunden ziehen Vorteile von einer soliden Leistung zu einem dafür angemessenen Preis, es wäre schön, wenn die Politik und die Verbraucherschützer dies erkennen und würdigen könnten. Sonst hat es sich womöglich nicht nur ausgeschleckert, sondern auch irgendwann ausgeapothekert, das wäre dann nicht nur schade, das wäre in der Tat schlimm.


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2012, Nr. 5, S. 2

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