Gesundheitspolitik

Wo ist der Impfstoff?

Berlin (ks). Die Versorgung mit Grippeimpfstoffen ist weiterhin ein handfestes Problem. Nicht nur in Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg sind die Impfstoffe knapp. Auch Länder wie das Saarland und Hessen melden, dass hier keine Impfstoffe mehr bezogen werden können. Verschärft hat sich die Situation dadurch, dass das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) letzte Woche vorsorglich die Freigabe von fünf Impfstoffchargen von Novartis zurückgenommen hat. Auch andere Hersteller haben mittlerweile keine Bestände mehr. So können etwa GlaxoSmithKline und Sanofi-Pasteur zwar noch die Regionen versorgen, in denen sie selbst Ausschreibungen gewonnen haben – mehr ist jedoch nicht drin. Ob sie noch einmal nachlegen, wird geprüft. Aber dies ist nicht ohne Risiko für die Novartis-Konkurrenz. Kommt Begripal ohne Kanüle doch noch auf den Markt, könnten sie auf ihren Dosen sitzen bleiben.

Was ist los in Siena?

In Italien ist man sauer über die Informationspolitik von Novartis. Hier wurden letzten Mittwoch die ersten Chargen von Fluad und Agrippal (Begripal) gestoppt. In der Produktionsstätte in Siena wurden Ausflockungen des Impfstoffes festgestellt. Novartis erklärte, dies selbst gemeldet zu haben. Am Donnerstag traf sich der italienische Gesundheitsminister mit Vertretern des Konzerns. Diese hätten nunmehr eingeräumt, erst gar nicht und dann nur unvollständig über Kontrollen ihrer Produktion informiert zu haben, meldete das Ministerium. Laut der Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" wusste Novartis "von den Anomalien in einigen Dosen seit dem 11. Juli".

Das PEI zog Donnerstagnachmittag nach: Auch wenn in Deutschland bislang keine Ausflockungen beobachtet worden seien, habe man als "Maßnahme der Risikovorsorge" jene Chargen zurückgenommen, bei deren Produktionsvorstufen solche Ausflockungen aufgefallen seien. Konkret wurde die Freigabe von vier Chargen Begripal und einer Charge Fluad zurückgenommen. Die Maßnahme diene dem Schutz der Patienten vor möglichen Nebenwirkungen, so das PEI. Diese könnten innerhalb einiger Stunden nach der Impfung auftreten. Möglich seien allergische bis hin zu anaphylaktische Reaktionen. Spätere Reaktionen oder Spätfolgen seien bisher nicht beschrieben worden. Der ebenfalls von Novartis produzierte Impfstoff Optaflu ist von dem Rückruf nicht betroffen. Er wird nicht in Siena produziert, sondern in Marburg. All dies nährt Zweifel an der italienischen Produktionsstätte.

Zugleich ebbt die Kritik der Ausschreibungsgegner nicht ab. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK), Martin Schulz, erklärte, die Rabattverträge über Grippe-Impfstoffe seien aus heilberuflicher Sicht "nicht vertretbar". Die Versorgungssicherheit werde durch das "Ausprobieren" neuer Vertriebswege unnötig aufs Spiel gesetzt. Aus Sicht der AMK muss der bewährte Lieferweg von den Herstellern über die Großhändler und Apotheken bis zu den Ärzten wieder zum Standard werden.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht jedoch keinen Anlass, die Ausschreibungen infrage zu stellen. Es verweist auf den Sicherstellungsauftrag der Krankenkassen. Die ausschreibenden Kassen seien dafür verantwortlich, nur lieferfähige Anbieter zu berücksichtigen und das Ausschreibungsverfahren so zu gestalten, dass neue Rabattverträge störungsfrei umgesetzt werden könnten. Welche Konsequenzen es habe, wenn ein Partner den Vertrag nicht einhalte, müssten die beteiligten Vertragsparteien ebenfalls eigenständig regeln.

Eine Anfrage der AZ bei den Aufsichtsbehörden der Krankenkassen zeigt, dass es offenbar schwer ist, Verantwortung zu übernehmen. Das Bundesversicherungsamt ließ auch drei Tage nach der Anfrage mit einer Anwort auf sich warten. Im nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium – zuständig für die in Schleswig-Holstein und Hamburg federführende AOK NordWest – hieß es, versorgungspolitisch seien die anfänglichen Lieferengpässe bedauerlich. "Sie sind jedoch nach unserem Kenntnisstand nicht der AOK anzulasten und sprechen auch nicht gegen Ausschreibungen an sich". Einen kleinen Seitenhieb gibt es dennoch: "Wir gehen davon aus, dass die negativen Erfahrungen bei zukünftigen Ausschreibungen berücksichtigt werden."



AZ 2012, Nr. 44, S. 1

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