Recht

Wer auffährt, der hat immer Schuld – oder?

Autounfall: Der erste Anschein lässt vermuten

(bü). Auffahrunfall. Wie ist das passiert? Richtig! Der Fahrer des vorderen Wagens musste bremsen. Und der Mann dahinter hat geschlafen. Peng. Vielleicht war auch der Sicherheitsabstand zu gering. Wie auch immer. Die Erfahrung lehrt: Der – natürlich auch: die – Auffahrende hat Schuld.

Möglich wäre natürlich auch, dass der Vordermann zurückgesetzt hat. Doch die Richter machen es sich oft einfach. Haben sie einen Sachverhalt auf dem Tisch, bei dem schon die Lebenserfahrung sofort sagt "so war’s", dann lassen sie es dabei. So hat der Fahrer des vorderen Autos im Schadenersatzprozess leichtes Spiel. Denn Indizien dafür, dass er nicht Schuld hat, muss der aufgefahrene Herr liefern.

Damit weichen die Gerichte vom Üblichen ab. Eigentlich gilt: Will der Geschädigte nach einem Unfall Schadenersatz, so muss er einen für ihn sprechenden Unfallhergang und die Schuld des Anderen beweisen. Diese leidige Pflicht entfällt, wenn der "Beweis des ersten Anscheins" ins Spiel kommt. Das ist bei Auffahrunfällen, Fahrten in die Gegenfahrbahn, bei Kollisionen an Vorfahrtsstraßen oder fast immer dann der Fall, wenn ein Fahrer Alkohol getrunken hat.

Wer gegen den Anscheinsbeweis ankämpfen muss, der hat schlechte Karten. Nur wenn er gleich nach einem Unfall alle Details durch Fotos und Zeugenbefragungen ermittelt, kann er – vielleicht – der Beweisfalle entwischen.

Es genügt, wenn er den Anscheinsbeweis erschüttert, indem er dem Gericht plausibel macht, dass es anders gewesen sein könnte als angenommen. Hat die Auffahrende einen Zeugen, der sagt, der andere habe völlig grundlos eine Vollbremsung hingelegt, gelten wieder die normalen Verfahrensregeln: Der Geschädigte muss beweisen, warum er das getan hat und es deshalb zum Unfall kam.

Damit der Anscheinsbeweis nicht zu Ungerechtigkeiten führt, haben die Gerichte Sonderregeln entwickelt. So darf bei einem alkoholisierten Fahrer nicht automatisch angenommen werden, er habe "grob fahrlässig" gehandelt. Im Streit mit der Kaskoversicherung ist das für den Fahrer wichtig, da die Versicherung bei grober Fahrlässigkeit oft nur einen Teil – in seltenen Fällen gar nicht – zahlt. Gleiches gilt, wenn gleich zwei typische Geschehensabläufe infrage kommen. Springt etwa ein Reifen ab, darf nicht auf eine Schlampigkeit des Fahrers geschlossen werden. Schließlich kann auch die Werkstatt den Fehler gemacht haben.



AZ 2012, Nr. 41, S. 7

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