Gesundheitspolitik

Zahlensalat: Was wird aus dem Apothekenhonorar?

Regierungskreise düpieren DAV-Chef Fritz Becker: "600 Millionen Euro völlig unrealistisch"

Berlin (lk). Zwischen Deutschem Apothekerverband und dem Bundeswirtschafts- und Bundesgesundheitsministerium bestehen offenkundig gravierende Einschätzungsdifferenzen über den aktuellen Stand der Gespräche über die versprochene Anpassung des Apothekenhonorars. Während DAV-Chef Fritz Becker weiterhin von einer kräftigen Erhöhung ausgeht, heißt es in Regierungskreisen, der vom DAV geforderte Betrag von 624 Millionen Euro sei "völlig unrealistisch". Eine solche offene Kontroverse zwischen politischen Gesprächspartnern ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Zudem: Beide Seiten beharren auf AZ-Nachfrage auf ihren Positionen.

Nach AZ-Informationen werden Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Kürze einen Vorschlag zur Anhebung des Apothekenhonorars auf den Tisch legen. Aber klar scheint, die Forderungen der Apotheker werden nicht erfüllt. "600 Millionen Euro sind völlig unrealistisch", hieß es aktuell in Regierungskreisen. Im Gespräch sei ein "deutlich niedrigerer Betrag".

Auch in einem weiteren Punkt gibt es erhebliche Differenzen über den Stand der Gespräche zwischen BMWi, BMG und DAV. Es gebe mit dem DAV keine Einigung auf eine gemeinsame Datenbasis über die Kostenentwicklung der Apotheken in den letzten Jahren, so die Regierungskreise. Die vom DAV in den wochenlangen Verhandlungen gelieferten Daten seien "nicht hilfreich gewesen", hieß es ausdrücklich. Die DAV-Daten seien von beiden Ressorts nicht akzeptiert worden.

Von dieser Darstellung zeigte sich der DAV völlig überrascht. In den regelmäßigen Gesprächen auf Fachebene gebe es keinen Anhaltspunkt für ein solches Auseinanderklaffen der Einschätzungen, heißt es beim DAV. "Die Aussage von Fritz Becker in der letzten AZ-Ausgabe gilt", sagte DAV-Sprecher Florian Martius. Auch die sogenannten "Regierungskreise" beharren auf ihrer Einschätzung: "Der DAZ.online-Bericht ‚Regierungskreise: Keine Einigung mit DAV‘ gibt die Meinung unseres Hauses wieder."

Wie nämlich aus Regierungskreisen jetzt zu erfahren war, haben sich BMWi und BMG in Abstimmung mit dem Statistischen Bundesamt (Destatis) stattdessen auf eine eigene Datenbasis über die wirtschaftliche Lage der Apotheken weitgehend verständigt. Die Feinabstimmung der Zahlen werde in Kürze fertiggestellt. "Wir sind auf gutem Wege", hieß es. Auf dieser Basis könne in Kürze ein konkreter Vorschlag für die anstehende Honorarerhöhung erfolgen.

Damit widersprachen Regierungskreise ausdrücklich der vor einer Woche in der Apotheker Zeitung von DAV-Chef Fritz Becker dargelegten Sichtweise. Nach Angaben von Becker sollen sich BMWi, BMG und DAV bereits auf eine gemeinsame Datenbasis verständigt haben, die weitgehend den vom DAV vorgelegten Zahlen entspreche.

Becker in der AZ-Ausgabe vom letzten Montag: "DAV, Bundeswirtschaftsministerium und Bundesgesundheitsministerium haben sich auf eine gemeinsame Zahlenbasis verständigt." Im Ergebnis gebe es "nur minimale Abweichungen" von den ursprünglichen DAV-Daten. Daher war für den DAV-Chef vor wenigen Tagen eines klar: "Die von Spahn genannten 8,35 Euro entsprechen in keiner Weise der mit den gemeinsamen Zahlen belegbaren Entwicklung in den Apotheken." Eine solche gemeinsame Datenbasis gebe es nicht, hieß es jetzt aus den Ministerien.

Wie aus Verhandlungskreisen weiter zu erfahren war, weisen die DAV-Daten und die Destatis-Zahlen einen deutlichen Unterschied in der Kostenentwicklung der Apotheken seit 2004 aus. Laut DAV-Daten besteht danach ein rechnerischer Anpassungsbedarf von circa 800 Millionen Euro. Die Destatis-Zahlen sollen sogar einen Nachholbedarf beim Apothekenhonorar von über einer Milliarde Euro belegen. In einer internen Bewertung sei das Bundeswirtschaftsministerium daher zu der Auffassung gelangt, sich den DAV-Zahlen anzuschließen und diese als Basis für Honorarempfehlungen zu übernehmen.

Über das Ausmaß der Honorarerhöhung lässt sich wegen der offenkundigen Differenzen daher vorerst nur spekulieren. Am Ende ist dies sowieso eine politische Entscheidung. Auf Fachebene haben die Experten des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundesgesundheitsministeriums für die politische Führungsebene ein Diagramm entwickelt, auf dem sich die jeweiligen finanziellen Folgen einer Erhöhung des Apothekenhonorars um einen vorgegebenen Betrag ablesen lassen. Die politische Entscheidung über den konkreten Erhöhungsbetrag sei noch nicht gefallen, könne aber jederzeit getroffen werden.

Nach DAZ.online-Informationen war seit Monaten in der Koalition ein Betrag von knapp 200 Millionen Euro im Gespräch. Umgerechnet auf das Apothekenhonorar entspricht dies einer Anhebung auf den Wert von 8,35 Euro, ein Plus von 0,25 Euro. Diesen Wert hatte kürzlich bereits CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn ins Gespräch gebracht. Hoffnungen auf einen deutlich höheren Wert erscheinen daher nicht gerechtfertigt.

Trotzdem sieht DAV-Chef Fritz Becker weiterhin gute Chancen für eine Erhöhung des Fix-Honorars auf 9,14 Euro: "In diesem Bereich könnten wir landen." Bezogen auf die rund 600 Millionen in den Apotheken abgegebenen Rx-Packungen entspräche dies einer Gesamthonorarerhöhung um exakt 624 Millionen Euro – wie von der ABDA gefordert. Einschließlich der rund 100 Millionen an PKV-Versicherte abgegebenen Rx-Packungen ergäbe sich sogar eine Erhöhung um 728 Millionen Euro.



AZ 2012, Nr. 29, S. 1

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