Gesundheitspolitik

Die Grenzen der Festbetragsregelung

Sortis vor dem Bundessozialgericht: In atypischen Einzelfällen muss die Kasse zahlen

Kassel (jz). In Ausnahmefällen müssen Krankenkassen auch Arzneimittelkosten über dem Festbetrag erstatten. Nämlich dann, wenn die Nebenwirkungen der Alternativ-Präparate so stark sind, dass sie die Qualität einer Krankheit haben, entschied letzte Woche das Bundessozialgericht (BSG). Wenn also nur ein Arzneimittel in Betracht kommt, gilt die Leistungsbegrenzung auf den Festbetrag nicht. (Bundessozialgericht, Urteil vom 3. Juli 2012, Az. B 1 KR 22/11 R)

Die aus dem Raum Dresden stammende und bei der AOK Plus versicherte Klägerin leidet unter anderem an Hyperlipidämie. Weil sie andere Wirkstoffe (Fluvastatin, Lovastatin, Pravastatin und Simvastatin) nicht vertrug, verschrieb ihre Ärztin schließlich Sortis® (Atorvastatin), dessen Preis der Hersteller Pfizer aber nicht auf den Festpreis gesenkt hatte. Die Klägerin forderte ihre Kasse daher auf, ihr die zusätzlich anfallenden Kosten zu erstatten. Die AOK Plus lehnte jedoch eine volle Kostenerstattung ab.

Festbeträge für Statine nicht zu beanstanden

Sowohl die Klage vor dem Sozialgericht Dresden als auch die Berufung vor dem Sächsischen Landessozialgericht (LSG) blieben zunächst ohne Erfolg: Die Festbetragsfestsetzung für Statine, so das LSG, sei nicht zu beanstanden. Zudem sah das Gericht im vorliegenden Fall keinen Ausnahmefall, in dem Versicherte Arzneimittelversorgung ohne Beschränkung auf den Festbetrag beanspruchen könnten. An der grundsätzlichen Festbetragsfestsetzung für Statine rüttelte auch das BSG nicht.

Anders als die Vorinstanzen entschieden die Kasseler Richter jedoch, dass auch die Festbetragsregelung, die Ausdruck des Wirtschaftlichkeitsgebots ist, Grenzen hat. Sie betrachteten den zu entscheidenden Fall durchaus als atypischen Ausnahmefall, in dem die Leistungsbegrenzung der Krankenkassen auf den Festbetrag nicht greife. Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen zwar noch nicht vor. In einem Terminbericht des BSG heißt es dazu aber: Ein solcher liege dann vor, "wenn überhaupt nur eine Leistung möglich ist". Wenn also "alle zum Festbetrag erhältlichen Arzneimittel objektiv festgestellte unerwünschte Nebenwirkungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verursachen, die die Qualität einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreichen".

Landessozialgericht muss erneut entscheiden

Weil dem Senat jedoch keine hinreichenden Feststellungen des LSG zu der wesentlichen Ursächlichkeit der jeweiligen Pharmakotherapie für die von der Klägerin behaupteten Nebenwirkungen vorlagen, verwies er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Das LSG muss nun also die Hersteller betroffener Arzneimittel, die behandelnden Ärzte und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durch Sachverständige zu Rate ziehen.



AZ 2012, Nr. 28, S. 8

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.