Gesundheitspolitik

Arzneimittel nicht bagatellisieren!

Professor Dingermann betont in Meran den Wert von Arzneimitteln und Apothekerleistung

Meran (wes). Professor Theo Dingermann, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer und ehemaliger Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, sieht das Arzneimittel nicht mehr ausreichend wertgeschätzt. In einem Vortrag auf dem Pharmacon in Meran kritisierte er, dass das Arzneimittel bagatellisiert und immer mehr zum "Ramschobjekt" gemacht werde.

"Der Blutzoll der Arzneimittel, für die auf den bunten Flyern des Versandhandels geworben wird, ist hoch", so Prof. Dr. Theo Dingermann. Foto: AZ/wes

In den letzten hundert Jahren ist in der westlichen Welt die Säuglingssterblichkeit um 80 Prozent gesunken, gleichzeitig stieg die Lebenserwartung um 56 Prozent, was rund dreißig zusätzlichen Lebensjahren entspricht. Der Takt für diese unglaubliche Erfolgsgeschichte der Medizin wurde seit dem 2. Weltkrieg ganz maßgeblich von der Entwicklung der Arzneimittel vorgegeben. "Wie kann man mit solchen Erfolgen experimentieren?" fragte Professor Dingermann. Die Gesundheitspolitik sei nur noch von "Kostendämpfungen" geprägt – und erstaunlicherweise habe sich die Politik dabei auf das Arzneimittel als Target dieser Sparbemühungen eingeschossen. Dabei seien Arzneimittel nur für 18 Prozent der Gesundheitsausgaben verantwortlich.

Arzneimittel zum "Schnäppchen im Internet" degradiert

Problematisch sei aber nicht nur die Geringschätzung der immensen Erfolge der Arzneimittel. Auch die Geringschätzung der inhabergeführten Apotheken und der von ihnen gewährleisteten sicheren Versorgung der Bevölkerung durch die Politik stelle eine Gefahr dar. Arzneimittel seien besondere Güter, die sich nicht für den Wettbewerb eignen. Sie dürften nicht beworben werden, "nur um Leute in den Laden zu locken".

Durch die Zulassung des Versandhandels werde das Arzneimittel zum Schnäppchen im Internet degradiert. "Der Blutzoll der Arzneimittel, für die auf den bunten Flyern des Versandhandels geworben wird, ist hoch."

Denn Arzneimittel können erhebliche Gefahren darstellen. So sind unerwünschte Arzneimittelwirkungen in den USA für 15 Prozent der Krankenhauseinweisungen verantwortlich, je nach Studie stellen sie die viert- bis sechsthäufigste Todesursache dar. In Deutschland sterben pro Jahr circa 17.000 Menschen durch Arzneimittel.

Noch weit gefährlicher aber ist, dass der Internethandel mit Arzneimitteln zum Einfallstor für Arzneimittel minderer Qualität und Fälschungen geworden sei. "Völlig verkannt wurde das kriminelle Potenzial, das durch die Liberalisierung geweckt wurde", so Dingermann. Bis heute sei sich die Politik der Konsequenzen ihrer Experimente mit der Arzneimittelversorgung nicht bewusst.

Dingermann forderte eindringlich, diesen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. "Die Aufgabe des Apothekers ist es eben nicht, eine besonders gewinnbringende, sondern eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung sicherzustellen." Die Politik müsse aufhören, leichtfertig mit dem Wert des Arzneimittels zu experimentieren, dessen "Potenziale im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtig sind."



AZ 2012, Nr. 24, S. 3

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