Gesundheitspolitik

OLG Thüringen: 3-Euro-Rezept-Boni zulässig

Gericht stellt klar: Bezugspunkt für Spürbarkeit muss Arzneimittel sein – nicht das Rezept

Berlin (jz/ks). Die Frage, auf welchen Betrag ein Gutschein lauten darf, der beim Erwerb rezeptpflichtiger Arzneimittel ausgegeben wird, beschäftigt die Gerichte nach wie vor. Nach den "Boni-Entscheidungen" des Bundesgerichtshofs (BGH) vom September 2010 ist ein Bonus von einem Euro pro Arzneimittel wettbewerbsrechtlich zulässig. Fünf Euro pro Rezept – unabhängig von der Zahl der verordneten Medikamente – überschreiten jedoch die wettbewerbsrechtliche Spürbarkeitsschwelle und sind damit nicht erlaubt. Schon einer der BGH-Entscheidungen ließ sich entnehmen, dass der richtige Bezugspunkt bei der Beurteilung der Bonusgewährung von einem Euro das verschriebene Arzneimittel ist. Dennoch hatte das Landgericht Meiningen im Oktober 2011 einen Gutschein von drei Euro für drei verordnete Arzneimittel für wettbewerbswidrig befunden. Dieses Urteil wurde Anfang April vom Thüringer Oberlandesgericht aufgehoben. Nun liegen die Urteilsgründe vor. (Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 4. April 2012, Az. 2 U 864/11)

Das verschriebene Medikament sei "der einzige sinnvolle, willkürfreie Anknüpfungspunkt", so die Richter. Dementsprechend entschieden sie in dem ihnen vorliegenden Fall zugunsten des Bonusmodells. In der Urteilsbegründung verweisen sie auf die Boni-Entscheidungen des BGH. Darin hatte dieser zwar bestimmt, dass Rx-Boni, die sich aus Sicht des Verbrauchers nicht mehr als "geringwertige Kleinigkeit" darstellen, unzulässig sind. Auch wenn es die Karlsruher Richter nicht direkt aussprachen, entnahmen viele Juristen einem der Urteile – insbesondere auch der vorinstanzlichen Entscheidung des Kammergerichts Berlin – dass die "Spürbarkeitsschwelle" pro verschriebenem Arzneimittel und nicht pro Rezept gelten soll. Dies bestätigte das Gericht in Jena nun. Es dürfe nicht vom Zufall abhängen, ob auf einem Rezept ein, zwei oder drei Arzneimittel verordnet werden bzw. ob der Kunde ein, zwei oder drei Rezepte in eine Apotheke bringe, so die Thüringer Richter. Nicht das einmalige oder mehrfache Aufsuchen der Apotheke ist nach ihrer Auffassung entscheidend: "Es wäre willkürlich, ein System für lauterkeitsrechtlich unbedenklich zu halten, wenn der Kunde, dem mehrere Medikamente auf verschiedenen Rezepten verschrieben wurden, die er einzeln einlöst, einen Bonus für jedes verschriebene Medikament erhält, das Bonussystem aber für unlauter zu halten, wenn er alle verschriebenen Medikamente ‚auf einmal‘ einlöst", so die Richter. Nur bei einer ganz zweifelsfrei an das verschriebene Arzneimittel anknüpfenden Sichtweise sei die gewünschte Rechtssicherheit hergestellt. Auch werde so ein "Graubereich" vermieden.

Graubereiche bleiben

Graubereiche gibt es dennoch weiterhin. Sicherlich werden sich noch einige Gerichte mit Boni von mehr als einem, aber weniger als 2,50 Euro pro Arzneimittel befassen müssen. Etwa dem, den die Europa Apotheek Venlo derzeit bewirbt. Nachdem der BGH bei einen 5-Euro-Gutschein für zwei verschreibungspflichtige Arzneimittel die Spürbarkeitsschwelle überschritten gesehen hat, versucht die holländische Versandapotheke es nun mit 2,49 Euro pro Rezept. Zwar ist nach wie vor unklar, ob ausländische Versandapotheken überhaupt gegen deutsches Arzneimittelpreisrecht verstoßen können – der hierzu angerufene gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe hat nach wie vor keine Entscheidung getroffen. Dafür hat die Regierungskoalition angekündigt, bei der anstehenenden Novellierung des Arzneimittelrechts dafür zu sorgen, dass sich die Europa Apotheek, DocMorris & Co. auch an die Arzneimittelpreisverordnung halten müssen. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung Ende März gegen dieses Vorhaben keine Einwände erhoben. Insofern stehen die Chancen gut, dass im Sommer eine solche Regelung in Kraft treten kann.

Noch nicht geklärt ist derzeit zudem, welche berufsrechtlichen Konsequenzen Boni-anbietenden Apotheken drohen. Ist die Spürbarkeitsschwelle auch im berufsgerichtlichen Verfahren zu beachten? Bislang liegen hierzu nur zwei sich widersprechende erstinstanzliche Entscheidungen der Berufsgerichte für Heilberufe in Mainz und Nürnberg vor. Man darf gespannt sein auf die nächste – und im berufsgerichtlichen Verfahren letzte – Instanz.



AZ 2012, Nr. 16, S. 1

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