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Pick up: Täuschung und Enttäuschung

Christian Rotta

Die Katze ist aus dem Sack: Schwarz-Gelb hat sich endgültig davon verabschiedet, Pick up-Stellen für Arzneimittel verbieten zu wollen. Als Begründung hierfür muss eine 15-zeilige Mail aus dem Bundesjustizministerium herhalten, die euphemistisch als "Gutachten" bezeichnet wird. Darin erklärt ein BMJ-Beamter lapidar die Einführung eines Pick up-Verbots für verfassungswidrig, obwohl er seine Kurz-Stellungnahme selbst als "kursorisch" und "nicht abschließend" bezeichnet (vgl. DAZ Nr. 1/2011, Seite 3). Ohne weitere Begründung schloss sich das Bundesministerium des Innern dieser Stellungnahme an.

Noch im Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 und im Eckpunkte-Papier vom 28. April 2010 war von FDP und CDU/CSU angekündigt worden, die Etablierung sog. Pick up-Stellen alsbald unterbinden zu wollen. Zu einem generellen Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln hatte sich Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag nicht durchringen können. Das Pick up-Verbot sollte als gemeinsamer Nenner auch den arzneimittelrechtlichen Sicherheitsbedenken von Bundesländern Rechnung tragen, die zuvor mit ihrer Absicht gescheitert waren, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln insgesamt zu verbieten. Und noch in der vergangenen Legislaturperiode hatte die FDP – in Kenntnis der abweichenden Rechtsauffassung des BMJ – aus der Opposition heraus den Antrag gestellt, dem Pick up-Spuk möglichst umgehend ein Ende zu bereiten und Arzneimittelabgabestellen außerhalb von Apotheken zu verbieten. In dem Antrag des heutigen Staatssekretärs im BMG Daniel Bahr und der FDP-Fraktion wird das "Verbot des Arzneimittelversandes nach dem ‚Abholkonzept’" zwar als Eingriff in das geschützte Grundrecht der Berufsfreiheit der Apotheker und "Abholstellenbetreiber" bezeichnet; dieser Eingriff sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Wörtlich heißt es in der Antragsbegründung: "Erwägungen der Arzneimittelsicherheit erfüllen den Gemeinwohlzweck, der eine Berufsaus-übungsregelung zu rechtfertigen vermag. Im Hinblick darauf, dass das Verbot der Vorbeugung des Arzneimittelmissbrauchs sowie der Sicherstellung einer sachgemäßen Behandlung und Lagerung der versandten Medikamente dient, ist es geeignet, erforderlich und zumutbar. Das gilt auch im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht." Mitgetragen wurde der Antrag auch von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Heute möchte sie von einem Pick up-Verbot nichts mehr wissen. Wie Hohn klingt es, wenn sie gleichwohl ankündigt, zusammen mit dem BMG nunmehr die "Auswüchse des Versandhandels im Interesse der Patientinnen und Patienten zurückdrängen zu wollen". Dabei schweben ihr offensichtlich Regelungen in der neuen Apothekenbetriebsordnung vor. Damit wäre Pick up unter Fremdbesitz endgültig apothekenrechtlich anerkannt.

Nein, verfassungsrechtliche Gründe, die den Kurswechsel und das Einknicken von FDP und CDU/CSU rechtfertigen könnten, gibt es nicht. Schon vor über zwei Jahren wurde von arzneimittelrechtlich versierten Juristen in dieser Zeitung ( DAZ Nr. 7/2009, S. 647 ff.; Nr. 19/2009, S. 2152 ff.) und an anderer Stelle en detail aufgezeigt, wie ein verfassungsfestes Verbot von Pick up-Stellen ausgestaltet werden könnte – wenn man nur wollte. Es war wohl eher der Druck der Pick up-Lobbyisten, der zu einem "Umdenken" bei Schwarz-Gelb und dem Ziehen der Grundrechtskarte zugunsten (ausländischer) Versandapotheken und ihrer (inländischen) Pick up-Statthalter geführt hat. Wie es heißt, war der Druck von Medco-Celesio beachtlich. Besonders gute Kontakte werden dem Konzern zur CDU und zu den Grünen in Baden-Württemberg nachgesagt. Immerhin stehen die politisch gut vernetzten Celesen, denen ihre Fremdbesitz-Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof immer noch in den Knochen steckt, Gewehr bei Fuß, um bundesweit eine Kette mit Wundversorgungszentren zu etablieren, die mit Arzneimittelabgabestellen ausgestattet werden sollen. Und auch die einflussreichen Drogerieketten von Schlecker und dm haben ihre Zentralen im Ländle …

Für den dramatischen Vertrauensverlust, unter dem die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik im Allgemeinen und die Apotheken- und Arzneimittelpolitik im Besonderen leidet, ist das Pick up-Wirrwarr geradezu prototypisch: Ohne Not werden Wahlversprechen, ja sogar Koalitionsvereinbarungen gebrochen, ohne dass für den Sinneswandel plausible neue Erkenntnisse ins Feld geführt werden könnten. Vollmundiger Ankündigungsrhetorik folgt hektische Tatenlosigkeit und das Hin- und Herschieben politischer Verantwortung ("Wir würden ja gerne, aber das Justizministerium …"). Es sind die großen und die kleinen Täuschungen und Enttäuschungen, die beim (Nicht-)Wähler zu Frustration und Verdrossenheit führen. Nicht nur, aber auch in der Gesundheitspolitik. Pick up steht hierfür als Chiffre.


P. S.: Damit Sie sich ein Bild zum Stand der Pick up-Diskussion machen können, haben wir bei DAZ.online ein Pick up-Forum ins Leben gerufen. Das Forum enthält die einschlägigen Gesetzesmaterialien, Stellungnahmen, Gerichtsentscheidungen, Aufsätze etc. zum Thema.


Christian Rotta



DAZ 2011, Nr. 9, S. 3

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