Wissenschaftspolitik

Nanotechnologie in Arzneimitteln und Medizinprodukten

Ein Projekt mit Dynamik

Von Thiemo Steinrücken

Die Nanotechnologie gewinnt zunehmend an wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und medizinischer Bedeutung. Um ihre Chancen für Deutschland zu nutzen und zugleich den verantwortungsvollen Umgang mit ihr sicherzustellen, beschloss das Bundeskabinett am 12. Januar 2011 den "Aktionsplan Nanotechnologie 2015". Er ist Teil der "Hightech-Strategie 2020" der Bundesregierung, mit der Leitmärkte geschaffen, die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft vertieft und die Rahmenbedingungen für Innovationen verbessert werden sollen.
Aufbau einer Nanokapsel, made in Würzburg. Tausende von gleichartigen Molekülen (amphiphile Perylenbisimide) drängen sich in wässriger Umgebung zu einer Kapsel zusammen, die mit Bispyren-Molekülen gefüllt ist. Grafik: Organische Chemie, Univ. Würzburg

Der Begriff "Nanotechnologie" umschreibt die Herstellung von Objekten und Materialstrukturen in sehr kleinskaligen Dimensionen, im Allgemeinen unter 100 Nanometern (nm), d. h. unter 0,1 Mikrometer. In diesem Größenbereich erhalten Werkstoffe neue funktionelle Eigenschaften, zum Beispiel elektronischer, magnetischer und optischer Art. Daraus resultieren etwa Schmelzpunktverschiebungen, aber auch geänderte katalytische Aktivitäten, Löslichkeit und Transporteigenschaften. Die Nanotechnologie nutzt diese neuen Eigenschaften gezielt für neue Produkte aus.

Nanotechnologische Anwendungen sind mittlerweile in einer Vielzahl von Produkten wie Lebensmitteln und Kosmetika zu finden. Bereits heute zeigen sich auch erste Erfolge der Nanotechnologie in der Medizin, zum Beispiel bei einer speziellen Hyperthermietherapie, die mit Nanopartikeln die Behandlung lokal auf den Tumor begrenzt. Ihr Potenzial für Arzneimittel und Medizinprodukte erscheint beachtlich. Zu denken ist etwa an nanoskalige Trägersysteme, mit denen Wirkstoffe am Wirkort angereichert werden oder mit denen Körperbarrieren überwunden werden können. Konkret erhofft man sich etwa eine "Verpackung" für Insulin zur oralen Verabreichung oder Polymerkapseln, mit denen Chemotherapeutika direkt zum Tumor gebracht und dort mittels eines Laserpulses freigesetzt werden. Nationale Zulassungsbehörden wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder Swissmedic haben bereits Arbeitsgruppen für Nanomedizin eingerichtet, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.

"Mit dem Aktionsplan 2015 geben wir der nachhaltigen und sicheren Erforschung und Nutzung der Nanotechnologie einen neuen Rahmen. Die Nanotechnologie hat Einzug in das tägliche Leben der Menschen gehalten. Damit ergeben sich auch für die Politik neue Herausforderungen, denen wir mit dem Aktionsplan 2015 Rechnung tragen."

Bundesforschungsministerin Annette Schavan anlässlich des Kabinettsbeschlusses vom 12. Januar 2011

Aktionsplan als Dachinitiative

Mit dem "Aktionsplan Nanotechnologie 2015", der in der Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erstellt wurde, führt die Bundesregierung die laufenden und geplanten Aktivitäten zu einer gemeinsamen Initiative zusammen. Und die Zuständigkeiten innerhalb der Regierung sind weit verstreut: Das BMBF etwa zeichnet für Forschungsförderung und nanotechnologiebezogene Ausbildungsinhalte verantwortlich, das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) für (Außen-)Wirtschaftsförderung, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für die Regulierungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie den Gesundheitsschutz. Die Interessen des Verbraucherschutzes sowie Regelungen zu Lebensmitteln, Kosmetika und Landwirtschaft nimmt das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) wahr, umweltbezogene Risiken der Nanotechnologie sowie energiebezogene Themen liegen im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU). Betroffen sind schließlich auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), etwa wegen der Chancen für die Gebäudetechnik oder Elektromobilität, sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wegen Arbeitsschutzmaßnahmen.

Der Aktionsplan fungiert also als Dachinitiative, unter der die Ressorts ihre einzelnen Aktivitäten in eigener Verantwortung durchführen. Die Ziele sind entsprechend sehr breit angelegt und adressieren sowohl die Chancen als auch die Risiken der neuen Technologien. Konkrete Maßnahmen, mit denen die Ziele erreicht werden sollen, werden dabei in sechs Aktionslinien zusammengeführt (siehe Textkasten). Nach dem Willen der Bundesregierung soll die Nanotechnologie zu Wachstum und Innovation in Deutschland beitragen. Ihre Potenziale sollen in Bildung und Forschung ebenso genutzt werden wie zur Lösung globaler Herausforderungen in den Bereichen Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunikation. Bei allem soll Nanotechnologie sicher und nachhaltig gestaltet werden.

Aktionsplan Nanotechnologie 2015


Ziele:

  • Mit Nanotechnologie zu Wachstum und Innovation in Deutschland beitragen

  • Nanotechnologie sicher und nachhaltig gestalten

  • Potenziale der Nanotechnologie in Bildung und Forschung nutzen

  • Potenziale der Nanotechnologie im Sinne der Hightech-Strategie bei der Lösung globaler Herausforderungen ausschöpfen


Die sechs Aktionslinien:

  • Forschung fördern – Technologietransfer intensivieren

  • Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland sichern

  • Risiken der Nanotechnologie erkennen – für einen sicheren und verantwortungsbewussten Umgang

  • Rahmenbedingungen verbessern

  • Kommunikation intensivieren – Dialoge führen

  • Spitzenposition durch internationale Kooperation ausbauen

Plus für Wachstum und Innovation

Nach Ansicht der Bundesregierung wird die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands auch maßgeblich davon abhängen, wie gut die Chancen von Schlüsseltechnologien – wie der Nanotechnologie – genutzt werden. Für 2015 wird das branchenübergreifende, weltweite Marktvolumen, das durch die Nanotechnologie beeinflusst wird, auf über eine Billion Euro geschätzt. Zudem ist die Nanotechnologie mit F&E-Ausgaben von 14% vom Gesamtumsatz eins der innovativsten Technologiefelder in Deutschland. Die wirtschaftliche Bedeutung der Nanotechnologie liegt vor allem in ihrer Schrittmacherfunktion: Sie setzt als "enabling technology" früh in der Wertschöpfungskette an. Durch neue Produktionsansätze, neue Materialien und neue Komponenten ermöglicht sie leistungsfähigere Produkte. Deshalb gilt es aus Sicht der Bundesregierung, nanotechnologische Innovationen weiter voranzutreiben. Die Ausgangsposition ist dabei aussichtsreich: In Europa ist Deutschland die führende Nanotechnologie-Nation, im weltweiten Vergleich liegt sie (bezogen auf die wirtschaftliche Umsetzung sowie die Anzahl internationaler Patente) auf dem dritten Platz hinter den USA und Japan.

"Die Nanotechnologie hat das Potenzial, zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen, wie wir sie in der Hightech-Strategie der Bundesregierung formuliert haben, wichtige technologische Lösungsbeiträge zu liefern. Dazu gehören Gesundheit, Umwelt- und Klimaschutz, die Sicherung der Energieversorgung, umweltfreundliche und energiesparende Mobilität sowie eine nachhaltige Landwirtschaft. Umwelt und Gesundheit dürfen dabei nicht gefährdet werden, deshalb setzen wir einen Schwerpunkt auf die Risikoforschung."

Bundesforschungsministerin Annette Schavan


Nanotechnologische Forschung wird durch die öffentliche Hand in Deutschland mit etwa 440 Mio. Euro jährlich gefördert. Die Unternehmen agieren in allen bedeutenden Branchen, unter anderem auch Medizin/Pharma, und generierten im Jahr 2007 bereits einen Umsatz von etwa 33 Mrd. Euro. Strukturell handelt es sich bei den Firmen zu etwa 80% um innovative kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Start-ups. Daher liegen in diesem Bereich besondere Förderschwerpunkte der Aktionslinie "Wettbewerb am Standort Deutschland sichern". Hervorzuheben ist insbesondere die spezifisch auf Nanotechnologie gerichtete Fördermaßnahme "KMU-innovativ Nanotechnologie – NanoChance". Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der beschleunigten Umsetzung von Forschungsergebnissen in die wirtschaftliche Praxis sowie einer intensiven Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft. Letztere wird z. B. durch Verbundprojekte, regionale Spitzencluster und spezifische Innovationsallianzen, bei denen zusätzlich das BMBF mit an Bord ist, befördert.

Wegen der Exportorientierung der betroffenen Branchen will sich die Bundesregierung auch international (z. B. über EU, OECD und die bundeseigene Standortmarketingagentur GTAI) für die deutschen Interessen der Nanotechnologie einsetzen – etwa bei der Umsetzung des nahezu zeitgleich startenden "Nanotechnologie-Aktionsplans 2010 – 2015" der EU-Kommission oder der Vorbereitung des 8. EU-Forschungsrahmenprogramms (Start 2014).


Abb. 1: Felder der Forschungsförderung nach dem "Aktionsplan Nanotechnologie 2015"

Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit?

Die Wirtschaftsförderung soll indes nicht Selbstzweck bleiben. Vielmehr soll gezielte Forschungsförderung helfen, Antworten auf drängende Zukunftsfragen zu finden. Diese hat die Bundesregierung im Rahmen der "Hightech-Strategie 2020" in den Bereichen Klima/Energie, Gesundheit/Ernährung, Mobilität, Sicherheit und Kommunikation identifiziert. Die Forschungsförderung in der Nanotechnologie soll nun ebenfalls auf diese Themen ausgerichtet werden (vgl. Abb. 1).

Von besonderem Interesse ist das Feld Gesundheit/Ernährung. Mithilfe der Nanotechnologie will man neue Impulse in Diagnostik und Therapie setzen. So erhofft man sich vermehrte Kenntnisse über Zusammenhänge zwischen genetischer Disposition, Umwelt und Lebensstil bei der Krankheitsentstehung, etwa bei Stoffwechselstörungen, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Außerdem rückt die demografische Entwicklung altersbedingte Erkrankungen verstärkt in den Fokus der Gesundheitsforschung.

Mit einer der oben bereits genannten Innovationsallianzen will die Bundesregierung die anwendungsorientierte Forschung in der molekularen Bildgebung stärken und einen Beitrag zu einer frühzeitigen Erkennung und gezielteren Behandlung von Krankheiten leisten. Im Fokus der Allianz steht der Nachweis biologischer Prozesse auf molekularer bzw. zellulärer Ebene. In der Folge erwartet man sich für die Diagnostik deutliche Fortschritte durch den Einsatz nanopartikulärer Kontrastmittel, die spezifisch an kranke Zellen binden. Mittelfristig soll so eine Frühdiagnose bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eine bessere Risikoklassifizierung und Therapiekontrolle bei Krebs möglich werden. Langfristig wird eine

echte Früherkennung von Erkrankungen auf zellulärem Niveau angestrebt. Zudem sollen Nanopartikel als diagnostische Sensoren oder zu Therapiezwecken eingesetzt werden. Auch der Einsatz sogenannter Theranostik, also integrierter Konzepte von Diagnose und Therapie, zeichnet sich ab.

Weitere Förderung soll auch die individualisierte Medizin erhalten. In der Prothetik sind sogenannte therapeutische Unikate, die passgenau für den einzelnen Patienten angefertigt werden, bereits Routine. Diese Ansätze will man für die Herstellung personalisierter Implantate und Prothesen bei muskuloskeletalen Erkrankungen und beeinträchtigten Organfunktionen weiterentwickeln. Nanotechnologie kann hier zur Steigerung der Funktionalität von Implantaten und deren Verträglichkeit im Kontakt mit dem menschlichen Gewebe beitragen, da die Wechselwirkung von Implantaten mit der biologischen Umgebung maßgeblich auf der Nanoskala stattfindet.

Auch in der regenerativen Medizin befinden sich bereits erste Therapieverfahren in der klinischen Anwendung, z. B. bei der Regeneration des Immunsystems oder von Knorpeln und Haut. Nanotechnologien und Nanoprozesstechnik sind hier Hoffnungsträger. Denn maßgeschneiderte nanostrukturierte Biomaterialien und Verfahren zu deren Prozessierung könnten bald biologischen Ersatz für geschädigte Gewebe bereitstellen. Zukunftsthemen sind etwa die Gewinnung von geeignetem Zellmaterial sowie die Entwicklung praxistauglicher Kultursysteme.

Neben der Weiterentwicklung der bereits genannten Ansätze ist vor allem die Entwicklung neuer Drug-Delivery-Systeme bedeutsam, mit denen Wirkstoffe direkt an einem festgelegten Wirkort abgegeben werden. Nanotechnologien finden hier insbesondere ihren Einsatz als Beschichtungen und Matrizes zur Kontrolle der Wirkstofffreisetzung, etwa durch nanoverkapselte Wirkstoffe. Ein herausragendes Innovationsfeld stellen auch Medizinprodukte-Arzneimittel-Kombinationen dar, wie z. B. wirkstoffbeschichtete Gefäßstützen.

Nanotechnologische Innovationen im Bereich Ernährung und Landwirtschaft sind eng verzahnt mit Forschungsergebnissen aus den Bereichen Gesundheit und Wirkstoffforschung. Erhöhte Effizienz von Pflanzenschutzmitteln und Agrochemikalien sind dabei wechselseitig ebenso von Interesse wie die gezielte Freisetzung von Wirkstoffen. Gleiches gilt für neue Diagnoseverfahren bei Tier- und Pflanzenkrankheiten und neue Analysenmethoden zum qualitativen und quantitativen Nachweis von Lebensmittelzutaten.

Auch nanobeschichtete Oberflächen bei Lebensmittelverpackungen könnten beispielsweise für neue Arzneimittelverpackungen interessant werden – und vice versa.

Erwähnenswert scheinen im Hinblick auf Arzneimittel und Medizinprodukte noch ausgewählte Maßnahmen aus den Bereichen Klimaschutz und Sicherheit. Vor allem die Substitution seltener Rohstoffe und die Einbringung von Nanomaterialien für leistungsfähigere und umweltschonende Produktionstechnologien oder neue Wasserfiltertechnologien rechnet die Bundesregierung dem Themenfeld Klimaschutz zu.

Im Themenfeld Sicherheit sollen Produktidentifizierungs- und Markierungssysteme erarbeitet werden, die auf dem Einsatz nano- oder nanobiotechnologischer Materialen, wie z. B. fluoreszierenden Nanopartikeln oder nanoskaligen Strukturierungsverfahren basieren und damit auch zur Erzeugung optischer Sicherheitsmerkmale genutzt werden können. Dies ist im Hinblick auf Produktpiraterie und Fälschungen von Bedeutung, die gerade bei Arzneimitteln und Medizinprodukten in den letzten Jahren zunehmen.

Risiken erkennen

Bei allen Chancen fehlt es noch immer an Wissen über mögliche Auswirkungen und Risiken der Nanotechnologie. Der Aktionsplan setzt daher gleichzeitig darauf, mit der Technologie sicher und verantwortungsbewusst umzugehen und Mensch und Umwelt zu schützen. Forschungsergebnisse weisen nach Auffassung der Bundesregierung darauf hin, dass Nanoskaligkeit allein keine Grundlage für eine Risikobewertung ist. Vielmehr könnten Nanomaterialien in Abhängigkeit von Parametern wie Struktur, Morphologie, chemischer Zusammensetzung und Konzentration unterschiedliche toxikologische Potenziale aufweisen. Risiken müssten also von Fall zu Fall betrachtet und durch Langzeituntersuchungen abgesichert werden. Seit dem Jahr 2007 besteht dazu eine Forschungsstrategie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Eine umfassende Risikobetrachtung ist umso mehr angezeigt, als Nanomaterialien zunehmend in verbrauchernahen Alltagsprodukten (Kosmetika, Reinigungsmittel, Haushaltsgegenstände) eingesetzt werden. Vornehmlich das BfR beschäftigt sich mit der wissenschaftlich fundierten Risikobewertung solcher Produkte. Für Arzneimittel und Medizinprodukte gilt die grundsätzliche Regel, dass diese hinsichtlich ihrer Unbedenklichkeit geprüft werden müssen; auch Produkte, die mit Nanotechnologie hergestellt werden, müssen diese Vorgabe erfüllen. Strategien zur Weiterentwicklung der Risikobewertung von Nanomedizin-Produkten werden nach Aussage des Aktionsplans auf EU- und internationaler Ebene diskutiert.

Auch bezüglich der Auswirkungen von Nanomaterialien auf Mensch und Umwelt bestehen noch deutliche Wissenslücken. Erforscht werden dazu bereits toxikologische Effekte und Expositionsszenarien, z. B. in Umweltmedien oder am Arbeitsplatz. In Zukunft sollen Analysetechniken und ‑methoden weiterentwickelt und auch in Langzeitstudien eingesetzt werden.

Keine Kennzeichnungspflicht für Nanoprodukte

Ob einem Produkt Nanomaterialien zugesetzt wurden, ist für Verbraucher nicht zu erkennen; eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht gibt es nicht. Einzig für Kosmetika gilt eine solche EU-weit ab dem Jahr 2013 [1]. Die Bundesregierung hält aber eine generelle und übergreifende Regelung für nicht zielführend. Es empfehle sich vielmehr, im Einzelfall und bezogen auf Produktklassen zu prüfen, ob eine Kennzeichnung aus Verbraucherschutzgründen sachgerecht und erforderlich sei. Denn eine Kennzeichnung könne zwar zu einer informierten Konsumentenentscheidung beitragen, allerdings auch als Warnhinweis missverstanden werden. Eine bloße Kennzeichnung als "Nanoprodukt" sei zudem ohne Aussagewert, weil der Maßstab weder eine Risikoaussage noch eine Aussage über die Qualität des Produktes erlaube. Als vorrangiges Ziel sieht die Bundesregierung daher die umfassende Verbraucherinformation über das Für und Wider nanotechnologischer Anwendungen an. Im Gespräch ist auf europäischer Ebene auch die Einführung eines Produktregisters.

Der Wissensstand zur Nanotechnologie ist laut Verbraucherbefragungen in der Bevölkerung jedenfalls noch eher gering. Zudem zeigte sich, dass Nanotechnologie vor allem in der Medizin und in der Oberflächenversiegelung akzeptiert wird. Je eher Nanoprodukte mit dem Körper direkt in Berührung kommen (z. B. Textilien und Kosmetika) oder gar in den Körper gelangen könnten, ohne wie bei medizinischen Anwendungen einen erkennbaren Nutzen zu zeigen (z. B. Lebensmittel), desto geringer wird die Akzeptanz. Die Bundesregierung hat sich deswegen vorgenommen, die Kommunikation mit der Bevölkerung zum Thema Nanotechnologie zu intensivieren – etwa mit dem nanoTruck des BMBF, bei dem ein Info-Truck als mobile Informationskampagne das Thema an ausgewählten Orten in ganz Deutschland vorstellt.

Rahmenbedingungen anpassen

Der Aktionsplan setzt sich schließlich zum Ziel, die bestehenden Rahmenbedingungen verantwortungsvoll weiterzuentwickeln. Dabei wird die Weiterentwicklung der EU-Verordnungen REACH (Registrierung von Chemikalien [2]) und CLP (Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien [3]) als wichtigstem gesetzlichem Rahmen diskutiert. Vor allem eine gesetzliche Definition von Nanomaterialien ist dabei zu erwarten, zudem die Hinzunahme von spezifischen Standard-Prüfprogrammen. Eine Erweiterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen bei Arzneimitteln und Medizinprodukten hält die Bundesregierung zunächst nicht für erforderlich, da diese bereits durch geltendes EU- und nationales Recht abgedeckt seien. Eine Ergänzung um einzelne nanospezifische Aspekte sei vom weiteren Erkenntnisgewinn abhängig. In jedem Fall weiterentwickelt werden – unter Beteiligung der Bundesregierung – Normen und sonstige Standards, die sich sowohl auf internationaler (ISO) als auch auf europäischer (CEN) und nationaler Ebene (DIN bzw. DKE) mit nanotechnologischen Produkten befassen und teils unterschiedlich sind, etwa im Hinblick auf Definitionen und eine einheitliche Terminologie. Angegangen werden soll in diesem Rahmen auch der etwa bei Ingenieurberufen zu erwartende Fachkräftemangel mit speziellen Qualifizierungs- und Weiterbildungsangeboten.

Mitwirkung aller Betroffenen notwendig

Das hier aufgezeigte Programm ist ein dynamisches, das auch rechtliche Grundsätze mittel- und langfristig verankern wird. Dies bedeutet, dass alle betroffenen Kreise wie z. B. Hersteller (Pharma- und Medizinprodukte-Industrie, Medizinproduktehandwerker, Wirtschaftsverbände), Anwender (Mediziner, Apotheker, Medizintechniker), Behörden (Zulassungs-, Überwachungsbehörden) sowie Institutionen in Umweltschutz und Normung sich so früh wie möglich in diese Projekte einbringen müssen. Damit können deren Erfahrungen, Bedenken und Forderungen schon in den jeweiligen Frühphasen von z. B. Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb oder Regulierung berücksichtigt werden. Zudem ist damit zu rechnen, dass die deutschen Ergebnisse in europäische und internationale Gremien und Vorhaben eingebracht werden, die unter Umständen in das europäische Recht einfließen und für den Im- und Export von großer Bedeutung sein können.

Internet


Aktionsplan Nanotechnologie 2015: www.bmbf.de/de/nanotechnologie.php

Hightech-Strategie 2020: www.hightech-strategie.de


Quellen

[1] Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, ABl. EU Nr. L 342, S. 59.

[2] Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemical Substances, Verordnung (EG) Nr. 1907/2006, ABl. EU Nr. L 396, S. 1.

[3] Classification, labelling and packaging, Verordnung (EG) Nr. 1272/2008, ABl. EU Nr. L 353, S. 1.


Autor
Thiemo Steinrücken, Emilienstraße 28, 12277 Berlin, ulthiemo@t-online.de



DAZ 2011, Nr. 6, S. 88

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