DAZ aktuell

Neue Nutzenbewertung keine ausreichende Maßnahme

BERLIN (lk). Die seit Jahresbeginn gesetzlich vorgeschriebene Nutzenbewertung neuer Arzneimittel ist aus Sicht des Deutschen Ethikrats keine ausreichende Maßnahme. Angesichts knapper werdender Ressourcen fordert er eine darüber hinausgehende Debatte über Verteilungsgerechtigkeit im deutschen Gesundheitswesen. "Die Festlegung von Kriterien für eine gerechte Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen ist eine politische Aufgabe mit einer medizinischen, ökonomischen, ethischen und juristischen Dimension", heißt es in einer Stellungnahme.

Der Ethikrat hält es für dringend erforderlich, Priorisierung, Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen offen zu thematisieren. Jede Form einer "verdeckten Rationierung" medizinischer Leistungen sei abzulehnen. Notwendige Rationierungsentscheidungen dürfen nicht an den einzelnen Arzt oder die einzelne Pflegekraft delegiert werden. Letztlich seien Entscheidungen über den Umfang solidarisch finanzierter Leistungen ethische Entscheidungen, die im gesellschaftlichen Diskurs und auf politischem Wege getroffen werden müssen.

Der verantwortliche Einsatz knapper Ressourcen erfordere, sie für Maßnahmen einzusetzen, die unter den alltäglichen Versorgungsbedingungen tatsächlich einen Nutzen erbringen. Neben der frühen Nutzenbewertung zur Preisfestlegung müsse daher eine ausführliche Nutzenbewertung unabhängig von Kostenerwägungen vor allem in Bezug auf die patientenrelevanten Endpunkte (Mortalität, Morbidität, Lebensqualität) durch den Gemeinsamen Bundesausschuss und das IQWiG weiterhin jederzeit möglich sein. Für wichtige Indikationsbereiche fordert der Ethikrat eine systematische zweite Stufe der Nutzenbewertung. Ein Leistungsausschluss wegen fehlenden Nutzens müsse aus Gründen des Patientenschutzes möglich sein.

Kein grundsätzliches Problem sieht der Ethikrat in der neuen Nutzenbewertung: "Die Auswirkungen der aktuellen Vorgaben zur Kosten-Nutzen-Bewertung in Deutschland sind zurzeit wegen des rechtlich unveränderten Anspruchs der Versicherten auf Versorgung mit allem medizinisch Notwendigen im Wesentlichen unschädlich." Sie dienten derzeit nicht als Instrument zur Verteilung knapper Ressourcen, sondern zur Preisfestsetzung. Die in Zukunft zu erwartende Notwendigkeit von Rationierungsentscheidungen werde den Gesetzgeber aber zwingen zu klären, in welchem Umfang Leistungsansprüche nach § 27 und § 12 SGB V von einer Kosten-Nutzen-Bewertung beeinflusst werden dürften und in welchem Verhältnis sich diese zum Kriterium der medizinischen Notwendigkeit stehe.



DAZ 2011, Nr. 5, S. 26

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