Im Fokus

"Boldt nicht an Zulassungsstudien beteiligt"

Der Verdacht, dass die Zulassung moderner HES-Präparate möglicherweise auf Basis gefälschter Studien erfolgt ist, lastet schwer. Nicht minder schwer wiegt der Vorwurf, dass die Zulassungen auf Basis von Altzulassungen erteilt worden sind und die Nachweise von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nicht den modernen Anforderungen an eine Zulassung entsprechen. Wir haben daher beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nachgefragt, auf welcher Grundlage die Zulassungen erteilt worden sind, wie die Nutzen-Risiko-Situation einer Volumenersatztherapie mit HES-Produkten im Vergleich zu alternativen Therapien eingeschätzt wird und ob Unterschiede zwischen HES-Produkten der 1., 2. und 3. Generation gesehen werden. Dazu teilte das BfArM Folgendes mit:

"HES (Hydroxyethylstärke)-Lösungen werden als Plasmaexpander in der Notfallversorgung eingesetzt. HES ist keine singuläre Substanz sondern setzt sich aus Molekülen verschiedener Molekulargewichte und Substitutionsgraden zusammen. Höhere Molekulargewichte und Substitutionsgrade (z. B. HES 450/0,7, HES 200/0,5) resultieren in langsamerer Elimination aus dem Körper, die mit einem höheren Risiko der Akkumulation und damit verbunden von Nebenwirkungen einhergehen kann. Daher wurden niedriger molekulare und geringer substituierte HES entwickelt (HES 130/0,4). HES 130/0,4-Lösungen haben Marktzulassungen in fast allen Europäischen Mitgliedstaaten seit ca. 1999 und es liegen weitreichende klinische Erfahrung mit HES 130/0,4 vor.

Alle rezenten HES-Zulassungen basieren tatsächlich auf Bezugnahmen zu alten Zulassungen, wobei die alten Daten durch kleinere Pharmakokinetik-, Pharmakodynamik- und Bioäquivalenz-Brückenstudien sowie kleineren Wirksamkeits- und Sicherheitsstudien mit den neueren Produkten verknüpft wurden. Ansonsten waren dies bibliographische Anträge mit Referenzen auf publizierte Daten. Größere neue pivotale Phase-III-Studien wurden nicht durchgeführt, es wurden auch keine neuen Indikationen entwickelt. Da neuere HES-Zulassungen gegenüber den Altpräparaten nur einen geringen Innovationsgrad aufweisen, wird dieses Vorgehen (bibliographisch plus Brückenstudien) europaweit von allen Zulassungsbehörden akzeptiert und hat zu verschiedenen Verfahren nach einem der europäischen "dezentralen" Verfahren geführt.

Sicherheitsdaten zu HES 130/0,4 in höheren Konzentrationen, z. B. 10%, zeigten keine zusätzlichen Signale im Vergleich zu 6%igen-Lösungen. Basierend auf der weitreichenden Erfahrung mit der 6%igen-Konzentration ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass neue Risiken auftauchen.

HES 130/0,4 in balancierten Elektrolyt-Lösungen (z. B. Volulyte 6%) unterscheidet sich ausschließlich durch die Trägerlösung, die bis dato aus isoonkotischer oder hyperonkotischer Kochsalzlösung bestand. Die Änderung der Trägerlösung hat keinen signifikanten Einfluss auf die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Charakteristiken von HES 130/0,4. Die Daten der Brückenstudien, die für die neuen Produkte (z. B. Volulyte 6%) vorgelegt wurden, zeigten vergleichbare Wirksamkeit und Sicherheit in den beantragten Indikationen. Daher ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis ebenso als positiv einzustufen wie auch bei den kochsalz-basierten HES 130/0,4-Lösungen. Daten, die zweifelsfrei einen spezifischen zusätzlichen Nutzen durch die Änderung der Trägerlösung gezeigt hätten, wurden nicht vorgelegt.

In den informativen Texten der zugelassenen HES-Lösungen sind alle bekannten Nebenwirkungen sowie die notwendigen Kontraindikationen und Warnhinweise adäquat aufgeführt. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis der verschiedenen HES-Lösungen ist daher als positiv einzustufen.

In der angesprochenen Problematik mit Prof. Dr. J. Boldt am Klinikum Ludwigshafen bezüglich möglicherweise gefälschter HES-Studien hat das BfArM überprüft, inwieweit Prof. Boldt an zulassungsrelevanten Studien beteiligt war. Dies war nicht der Fall, allerdings taucht sein Name häufiger unter den zitierten Referenzpublikationen auf."



DAZ 2011, Nr. 5, S. 62

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