Burnout

"Ich bin ausgebrannt und depressiv": Ein persönlicher Bericht

Die meisten Menschen in meinem Umfeld halten mich für überdurchschnittlich stark und belastbar. Schon als Kind war ich als älteste Schwester von fünf jüngeren Geschwistern mit hoher Verantwortung beladen. Ich musste von klein auf im Haushalt nicht nur helfen, sondern hatte selbstständig Aufgaben zu erfüllen. Daraus erwuchs ein hohes Pflichtbewusstsein. Mein Leben lang fühle ich mich immer für andere verantwortlich. Meist arbeite ich pausenlos, um die vielen Anforderungen, die ich an mich selbst stelle, zügig und so gut wie möglich zu erledigen. Nichtstun fällt mir extrem schwer. Selbst im Urlaub bin ich gerne aktiv. Gegen meine permanente innere Unruhe hilft am besten Bewegung und Sport. Was im Prinzip gut ist, solange man dem Körper auch Ruhephasen gönnt. Doch die sind bei mir Mangelware.

Der menschliche Körper steckt bekanntlich viele Zumutungen weg. Und so hatte ich im Laufe meines Lebens zwar immer wieder "Durchhänger". Doch dank meiner körperlichen Fitness, meiner im Grundsatz stabilen Gesundheit sowie meiner Fähigkeit, mich immer wieder selbst zu motivieren, verlief mein kräftezehrendes Leben erfolgreich weiter.

Auch jenseits der 60 habe ich mit jüngeren Kolleginnen und Kollegen mitgehalten, meine Rastlosigkeit nahm sogar noch zu. Doch dann setzte in diesem Jahr ein zwar schleichender, aber doch deutlich spürbarer Prozess ein. Im Frühling plagten mich Erkältungen, die über das bei mir übliche Maß hinausgingen. Es folgte – zum ersten Mal in meinem Leben – eine Pollenallergie, die mir die Luft nahm. Ich fühlte mich nur noch kraftlos und schlapp, auch als die Pollen längst verschwunden waren.

Müde und kraftlos,Schuldgefühle und Tränenausbrüche

Immer öfter hatte ich nervöse Magenbeschwerden. Ich litt unter Appetitlosigkeit und nahm ab, obwohl ich mit meinem Gewicht ohnehin schon im unteren Bereich liege. Schließlich plagten mich Schlafstörungen. Selbst wenn ich erst um Mitternacht ins Bett ging, war ich ab halb 5, spätestens 5 Uhr hellwach. Tagsüber war ich müde und vermutlich auch wegen des Gewichtsverlusts immer kraftloser. Meine Stimmung war gedrückt. Jede Art von Bewegung fiel mir schwer, oft hatte ich das Gefühl, wie durch einen zähen Pudding gehen zu müssen. Es kostete mich unendlich viel Kraft, Geist und Körper "in Gang zu bringen". Ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren, hatte zu nichts mehr Energie. Weil diese "Lahmheit" nicht meinem Selbstbild entsprach, war ich voller Schuldgefühle gegenüber meinen Kolleginnen, mein Selbstvertrauen rutschte in den Keller. Immer öfter brach ich einfach nur in Tränen aus. Das Lachen hatte ich fast verlernt. Wenn andere lachten, fühlte ich mich mit meinem leidenden Gesicht als Spaßbremse. Ich machte mir immer mehr Vorwürfe, kam aber mit meinen jahrzehntelang bewährten Methoden der Selbstmotivation und Disziplin nicht mehr weiter. Alle Reaktionen meines Körpers, alle meine Gedanken schienen nur noch gegen mich selbst gerichtet zu sein.

Vierwöchige Arbeitspause – auch gegen anfänglichen Widerstand

Völlig am Ende mit meinen Kräften und unfähig, so weiterzumachen wie bisher, schleppte ich mich zu einem Arzt meines Vertrauens. Der Arzt nahm sich viel Zeit für ein ausführliches Gespräch und stellte dann die Diagnose "Erschöpfungsdepression". Er zwang mich – gegen meinen anfänglichen Widerstand – zu einer vierwöchigen Arbeitspause. "Eine kürzere Krankschreibung kann ich nicht verantworten", war seine klare Aussage. "Eigentlich gehören Sie in eine psychosomatische Klinik." Gegen die Klinik wehrte ich mich. Ich bekam hoch dosiertes Johanniskraut verordnet und die Anweisung, viel an der frischen Luft spazieren zu gehen. Außerdem: "Keine Mails, kein PC, regelmäßig frisch zubereitetes Essen, mir Dinge überlegen, die mir Freude bereiten." Alles nicht einfach, wenn die körperlichen und seelischen Akkus komplett leer sind. Vielleicht doch besser eine Klinik? Mein Arzt traute mir jedoch zu, dass ich es alleine schaffe, aus dem Tief herauszukommen. Zumal ich ohnehin vorhatte, meine berufliche Situation zu verändern und kürzerzutreten. Die Weichen dafür waren bereits gestellt. "Wenn der berufliche Druck sich verringert, wird sich Ihr Befinden verbessern", vermutete mein Arzt, der sich einfühlsam mit meiner Situation auseinandersetzte und mir die richtigen Fragen stellte.

Traurige Gedanken und dunkle Stimmungen aushalten

Ich habe die vier Wochen, in denen ich krankgeschrieben war, zu Hause verbracht und die Anweisungen meines Arztes befolgt. Magenbeschwerden und Schlafstörungen verschwanden leider nicht von heute auf morgen. Mal war es einen Tag besser, dann wieder schlechter. In den ersten Tagen fehlte mir die Arbeit sehr, ich fühlte mich wie eine Süchtige, die nach ihrem "Stoff" giert. "Sie müssen lernen, sich selbst auszuhalten. Das ist das Schwerste", sagte mein Arzt. Und er hatte Recht. Ich versuchte, so versöhnlich wie möglich mit mir umzugehen. Ich sprach mit meinem Arzt über meine traurigen Gedanken und dunklen Stimmungen, die mich beherrschten und enorm quälten. Er riet mir, diese Gedanken einfach zuzulassen und so neutral wie möglich zu betrachten. Das gelang mir mit etwas Übung immer besser. Jeden Tag ging ich stundenlang in der Sonne (ich hatte Glück mit dem Wetter!) spazieren. Auch in Bezug auf die Sonne fühlte ich mich wie eine Süchtige: Jeden Sonnenstrahl musste ich in dieser dunkler werdenden Jahreszeit auskosten. Nur dann fühlte ich überhaupt Leben in mir. Nichts hielt mich im Haus, wenn die Sonne schien.


Literatur-Tipp

Burnout


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Volker Faust:

Burnout, Audio-CD

2011. 87g.

Einband: CD-ROM, Audio-CD

Verlag: Hirzel, Stuttgart

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Produktart: Hörbücher

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Antriebslosigkeit annehmen und einfach "nichts" tun

Ich hatte den Eindruck, dass die Tage sehr schnell vergingen. Ich beschäftigte mich mit Lesen und schrieb ab und zu meine Gedanken auf oder einen Brief (mit der Hand!). Ich erlaubte es mir, meine Antriebslosigkeit anzunehmen und einfach "nichts" zu tun. Ich machte mir klar, dass ich mich zum ersten Mal in meinem über 60-jährigen Leben in einer Situation frei von Arbeitspflichten befand und ich ausschließlich Verantwortung für mein eigenes Wohlbefinden trug – für nichts und niemanden anderes. Ein sehr fremdes und irritierendes Gefühl. Insgesamt dreimal traf ich mich mit einer Freundin bzw. mit Bekannten, alle wussten um mein Befinden und waren sehr einfühlsam, so dass ich die Begegnungen genießen konnte. Trotzdem störte mich tagsüber im Alltag das Alleinsein nicht. Ich gewöhnte mich ganz langsam "an mich selbst" und "hielt mich aus", entsprechend der Anweisung meines Arztes.

Ohne Leistungsdruck entspannen

Nach vier Wochen wollte mich mein Arzt weiter krankschreiben. Ich entschied mich jedoch, wieder an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Es war mir wichtig, noch einige Dinge zu erledigen, bevor meine berufliche Veränderung anstand. Meine Stimmung ist leider weiterhin depressiv. Ich bin alles andere als erholt. Aber es hilft mir, dass meine Kolleginnen Verständnis für mich haben und mich entlasten. Ich habe gelernt, dass ich diese Entlastung mit gutem Gewissen annehmen kann und muss. Ich werde noch lernen müssen, mehr auf regelmäßige Entspannung zu achten. Ich bin froh, dass ich in meinem sozialen Umfeld, meiner Familie, gute Unterstützung habe. Das hilft mir sehr. Ich muss mich noch darin üben, diese Unterstützung ohne Gegenleistung zuzulassen. Mein Ziel ist es, wieder Lebensfreude zu empfinden und gutgelaunt genießen und lachen zu können. Die bevorstehenden Weihnachtstage sowie ein geplanter Urlaub zum Jahreswechsel bieten mir eine gute Gelegenheit, mich zu entspannen und das neue Jahr hoffentlich wieder in "alter Frische" zu beginnen – ohne dass ich mich unter Leistungsdruck setze. Und ab Ende Januar werden auch die Tage wieder heller. Ich spüre ganz tief in mir drin: Ich habe die Chance, dass doch alles wieder gut werden könnte.


Dorothee B.



DAZ 2011, Nr. 49, S. 55

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