Aus Kammern und Verbänden

Alkohol: Hilfsstoff, Droge und Genussmittel

Mit den verschiedenen Aspekten des Alkohols beschäftigten sich am 12. November in Köln über 100 Apotheker, Studenten und Doktoranden auf einem Fortbildungssymposium der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) und der Gesellschaft für Phytotherapie (GPT). Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Universität Bonn, und Dr. Barbara Steinhoff, Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller, führten kurzweilig durchs Programm.
Foto: Junker
Über ein gelungenes Fortbildungssymposium freuten sich Prof. Dr. Matthias Wüst, Dr. Barbara Steinhoff, Dr. Torsten Grigoleit, Prof. Dr. Karen Nieber und Prof. Dr. Ulrich Jaehde (von links).

"Wer Sorgen hat, hat auch Likör." Mit diesem Sprichwort stimmte Prof. Dr. Karen Nieber, Leipzig, auf die zwiespältigen Aspekte des Alkohols zum einen als Genussmittel und andererseits als Hilfsmittel in der Pharmazie ein und erläuterte zunächst die Alkoholwirkungen im Verdauungstrakt. Seine Beliebtheit als Genussmittel verdankt der Alkohol seinen zentralnervösen Wirkungen. Pharmakologisch problematisch sind die Wechselwirkungen zwischen Alkohol und vielen Arznei mitteln. Darüber muss die Apotheke den Patienten dringend aufklären. Andererseits ist Alkohol ein Bestandteil vieler Arzneimittel. Wegen seiner hydrophilen OH-Gruppe und dem lipophilen Ethan-Gerüst eignet er sich hervorragend als Lösungsmittel bei der Herstellung pflanzlicher und homöopathischer Arzneimittel. Außerdem wird Alkohol als Konservierungsmittel und zur Verbesserung der Wirkstoffresorption, z. B. von ätherischen Ölen, angewendet.

Phytopharmaka enthalten Alkohol

Bei der Herstellung pflanzlicher Arzneimittel wird Alkohol für die Extraktion der Wirkstoffe, z. B. von ätherischen Ölen und Glykosiden, benötigt. Er trägt auch zur Stabilisierung und Resorptionsverbesserung der Zubereitungen bei. Wegen der potenziellen Risiken von Alkohol sind gemäß Arzneimittelwarnhinweisverordnung je nach Alkoholgehalt unterschiedliche Warnhinweise anzugeben. Dabei ist neben dem Gehalt in Vol.-% auch die übliche Dosis zu berücksichtigen, denn daraus ergibt sich die absolute Menge des zugeführten Alkohols.

Alkoholgehalt von Arzneimitteln und Getränken im Vergleich.

Bemerkenswert ist, dass auch einige häufig verzehrte Lebensmittel Alkohol enthalten, z. B. überreife Bananen, Apfelsaft, Roggenbrot und Kefir. Beim Vergleich des Alkoholgehalts einiger pflanzlicher Arzneimittel mit mehr oder weniger alkoholhaltigen Getränken relativiert sich die Sorge, durch Arzneimittel zu viel Alkohol zu konsumieren (s. Grafik). Sehr anschaulich erläuterte Nieber, dass z. B. in einem Glas Apfelsaft mehr Alkohol enthalten ist als in der Tagesdosis eines pflanzlichen Arzneimittels gegen Erkältungskrankheiten der Atemwege.

Weiter stellt sich aber die Frage, wie mit alkoholhaltigen Arzneimitteln in der Therapie von Kindern umzugehen ist. In 16 pro- und retrospektiven Studien mit zehn alkoholhaltigen Phyto pharmaka in der Therapie von 49.816 Kindern wurden insgesamt 15 unerwünschte Arzneimittelwirkungen erfasst. Keine davon ließ sich aber auf den Alkoholgehalt zurückführen. Das heißt, dass diese Arzneimittel bei Einhaltung der empfohlenen Dosierung auch bei Kindern sicher sind [2]. Ein striktes Alkoholverbot gilt allerdings für Alkoholkranke, Hirngeschädigte, Leberkranke und Epileptiker.

Alkoholabhängigkeit: Entstehung und Entzug

Von der dunklen Seite des Alkohols berichtete Torsten Grigoleit, Leitender Oberarzt in der LVR-Klinik Langenfeld. In Deutschland kommt es pro Jahr zu 40.000 Todesfällen durch Alkohol. Etwa 1,5 Millionen Deutsche sind alkoholabhängig, und 2,5 Millionen Menschen haben einen schädlichen Alkoholkonsum, ohne dass eine Abhängigkeit vorliegt. Da auch die Partner und Kinder dieser Menschen mitbelastet sind, leiden etwa 10 Millionen Menschen direkt oder indirekt unter dem Alkohol.

Das Diagnosesysteme ICD-10 definiert sechs Kriterien, von denen drei oder mehr mindestens einen Monat lang gleichzeitig vorhanden sein müssen, um die Diagnose eines Abhängigkeitssyndroms (F10.2) stellen zu können:

  • Starkes Verlangen oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren.

  • Kontrollverlust im Hinblick auf Menge, Beginn oder Ende des Konsums.

  • Körperliches Entzugssyndrom bei Konsumstopp oder Konsumreduktion wie Zittern und Schlafstörungen.

  • Nachweis einer Toleranz: Um die gewünschte Wirkung hervorzurufen, sind zunehmend größere Mengen an Alkohol erforderlich, oder es treten bei fortgesetztem Konsum der gleichen Menge deutlich geringere Effekte auf.

  • Einengung auf Alkohol: Ande re Interessen werden zugunsten des Alkoholkonsums vernachlässigt. Die Bekanntschaft wird selektiert, man geht nicht mehr dorthin, wo kein Alkohol zur Verfügung steht.

  • Anhaltender Alkoholkonsum trotz eindeutig schädlicher Fol gen (wie z. B. Leberschädigung, depressive Verstimmungen oder eine Verschlechterung der kognitiven Funktio nen), obwohl der Betroffene sich über die Art und das Aus maß des Schadens bewusst ist oder bewusst sein könnte.

Eine Alkoholabhängigkeit entsteht nicht plötzlich, sondern allmählich in einem Prozess, der bis zu 20 Jahre dauern kann. Dabei spielen das familiäre Milieu – Nachahmen der Eltern – und sogenannte Peergruppen eine negative Rolle.

Für einen Entzug ist eine stationäre Behandlung zu empfehlen. Dabei kann die körperliche Entzugssymptomatik mit Clomethiazol (Distraneurin®) oder (2. Wahl) mit Benzodiazepinen oder Carbamazepin behandelt werden. In der Nachsorge können die sogenannte Aversiva Disulfiram (Antabus®) und Cyanamid (Colme®) zum Einsatz kommen, welche aber nur über das Ausland zu beziehen sind. Sie hemmen das alkoholabbauende Enzym Acetaldehyddehydrogenase, sodass nach dem Konsum von Alkohol unangenehme Beschwerden wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und Brechreiz auftreten. Sehr zu empfehlen ist den Patienten der regelmäßige Besuch von Selbsthilfegruppen.

Aromastoffe im Wein

Alkohol wurde einst durchaus auch als Arznei verwendet. So empfahl der Chirurg Ferdinand Sauerbruch vor der Operation als Anregungsmittel für den Kreislauf eine Pikkoloflasche Sekt, und die AOK Stuttgart erstattete im Jahr 1894 die Kosten von 89 Flaschen Champagner, 378 Flaschen Malaga und 1423 Flaschen Rotwein als "Krankenwein" auf Rezept. Erst im Jahr 1991 wurde der Verkauf von Wein in Apotheken untersagt, weil "… Wein, auch als Franken wein nicht zu den apotheken üblichen Waren i. S. des § 25 ApothBetrO gehört" [3].

Nach diesem kurzen Blick in die Geschichte der Pharmazie stellte Prof. Dr. Matthias Wüst, Bonn, die Geruchs- und Geschmacksstoffe des Rotweins vor. Die sensorische Charakterisierung erfolgt mithilfe des sogenannten Aroma-Rades; neben den Kategorien "fruchtig", "blumig", "würzig" usw. gibt es viele Untergruppen wie z. B. "Brombeere" und "Erdbeere" in der Kategorie "fruchtig".

Die Aromaextrakt-Verdünnungsanalyse (AEVA) schlägt die Brücke von der deskriptiven Sensorik zur Stabilisotopen- Verdünnungsanalyse (SIVA), mit deren Hilfe die einzelnen Aromastoffe qualitativ und quan titativ präzise bestimmt werden können. So ist z. B. das Sesquiterpen Rotundon verantwortlich für das Aroma des "schwarzen Pfeffers" in den Sorten Syrah und Grüner Veltliner.

Der Gehalt an Pyrazinen, die im Wein für das Aroma der "grünen Paprika" verantwortlich sind, hängt auch von der Höhe der Weinberge ab. So gibt es in Brasilien im Staat Santa Catarina besonders hochgelegene Weinberge und Weine mit entsprechend hohem Pyrazingehalt. Thiole sorgen für ein weiteres Schlüsselaroma, die "schwarze Johannisbeere". Tannine wiederum verursachen den pelzigen Geschmack des Rotweins.

Da gute Rotweine auch nach der Abfüllung noch reifen sollen und dafür Sauerstoff benötigen, sind Naturkorken zum Verschließen der Flaschen nicht zu ersetzen. Für Weißwein hingegen sind Schraubverschlüsse besser, so Wüst.

Die Vielfalt eines guten Rotweins, der sich aus vielen Geschmackskomponenten zusammensetzt, verglich Wüst mit einem Orchester: "Nur wenn alle Musiker gut spielen, bzw. alle Komponenten geschmacklich gut aufeinander abgestimmt sind, ist das Gesamtergebnis optimal."

Abgerundet wurde das Sympo sium durch eine Stadtführung "Kölsch" bzw. eine Führung durch das Duftmuseum im Farina-Haus (www.farina.eu).


Quellen

[1] Fa. Pascoe: Alkohol in Arzneimitteln (k)ein Problem? Patientenratgeber, 8. Auflage 2000.

[2] Kelber O, et al. Sicher: Alkohol in pflanzlichen Arzneimitteln für Kinder. Poster, Symposium 40 Jahre GPT, Köln, 21.10.2011.

[3] VGH München, Urteil vom 12.09.1991 – 22B91 2436.


Annette Junker, Wermelskirchen



DAZ 2011, Nr. 49, S. 80

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