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Keine Kostenexplosion durch demografischen Wandel

BERLIN (jz). Deutschland braucht keine andere Medizin für ältere Menschen, sondern eine bessere geriatrische Qualifizierung der Gesundheitsberufe. So lautet der Tenor des jüngst veröffentlichten Versorgungs-Reports zum Thema "Gesundheit im Alter", den das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) herausgibt. Danach wird das Älterwerden der Menschen zu keiner Kostenexplosion führen, wie vielfach angenommen wird.

Anhand der Daten von 24 Millionen AOK-Versicherten analysierten 42 Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen für den Report die ambulante und stationäre Versorgung, die Arzneimitteltherapie, Pflege, Prävention und Palliativmedizin unter dem Blickwinkel der alternden Gesellschaft. Ergebnis: Die Lebenserwartung steigt immer weiter und mit ihr die Zahl altersbedingter Krankheiten. So wird sich z. B. bis 2050 die Zahl der Demenzkranken in Deutschland auf bis zu drei Millionen erhöhen.

Immer mehr Alte …

Ausgangspunkt des Versorgungs-Reports ist eine Darstellung der demografischen Entwicklung in Deutschland bis 2060. Danach verändert sich der Altersquotient in den nächsten fünfzig Jahren dramatisch: "Derzeit kommen im Bundesschnitt 34 über 65-Jährige auf 100 erwerbsfähige Männer und Frauen im Alter zwischen 20 bis 65 Jahren", erläutert WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber. Im Jahr 2060 wird Bremen mit einem Verhältnis von 63 zu 100 noch den günstigsten Alters quotienten aufweisen – in Ostdeutschland wird der Wert durchweg über 72 liegen.

… und immer mehr Demente

Diese Veränderung spiegelt sich in den Prognosen zur Entwicklung der Zahl der Demenzerkrankungen wider. Während heute bis zu 1,4 Millionen Deutsche mit einer Demenzerkrankung leben – von 100 Menschen über 80 Jahre ist jeder Fünfte betroffen – , werden es im Jahr 2050 bis zu drei Millionen Demenzkranke sein, 90 Prozent von ihnen pflegebedürftig. Die Krankheitshäufigkeit verdoppelt sich laut Versorgungs-Report momentan in Schritten von fünf bis sechs Jahren. Im Alter von 60 bis 64 Jahren ist derzeit ein Prozent der Bevölkerung von Demenz betroffen. Bei den 75- bis 79-Jährigen sind es 7,5 Prozent. Im Alter von 85 bis 89 Jahren sind bereits 22,5 Prozent dement, bei den über 100-Jährigen sogar 40 Prozent.

Laut Report leben Frauen ab 80 Jahren aktuell noch knapp 8,8 Jahre – davon verbringen sie im Schnitt noch fast sieben Jahre ohne Demenz. Männer haben ab 80 Jahren eine durchschnittliche Lebenserwartung von sieben Jahren und erleben davon etwa sechs Jahre demenzfrei. Für eine Prognose, wie sich die Zahl der Demenzerkrankungen bis 2050 entwickeln wird, spielt die Entwicklung der Lebenserwartung eine wesentliche Rolle: Steigt die Lebenserwartung etwa stark an, wird mit der größeren Zahl alter Menschen die Zahl der Demenzkranken auf bis zu drei Millionen steigen, was bei im gleichen Zeitraum schrumpfenden Bevölkerungszahlen einem Anteil von 4,2 Prozent der Deutschen entspräche.

Für Klauber gibt es aus wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht daher ein klares Ziel: "Demenz muss in der Wahrnehmung der Menschen eine normale Erkrankung werden. Trotz aller Aufklärung ziehen sich noch immer viele Betroffene und Angehörige aus dem gesellschaftlichen Leben zurück." Ihm zufolge werden erste Symptome einer Erkrankung oft verleugnet, weil das Thema sehr negativ und vorurteilsbehaftet diskutiert wird. Selbst Hausärzte ordnen Klauber zufolge die Symptome oft nicht richtig ein.

GKV weniger belastet als angenommen

Die steigende Lebenserwartung verursacht in Zukunft auch höhere Ausgaben. Nach Berechnungen des Gesundheitsökonomen Prof. Stefan Felder werden die Gesundheitsausgaben bis zum Jahr 2050 um 19 Prozent (0,4 Prozent pro Jahr) ansteigen. Dennoch wird ihm zufolge der demografische Wandel die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung weit weniger belasten als vielfach angenommen. "Den Berechnungen liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Behandlungskosten vor dem Tod eines Menschen besonders hoch sind – unabhängig, ob er mit 70, 80 oder 90 Jahren stirbt", erklärt Klauber.

Kritische Arzneimittelversorgung

Besorgniserregende Erkenntnisse liefert der Versorgungs-Report allerdings zu gesundheitlichen Risiken für ältere Menschen. So erhalten rund vier Millionen Patienten über 65 mindestens ein "problematisches" Medikament, also eines, bei dem die Nachteile den Nutzen übersteigen. 5,5 Millionen Patienten sind den Risiken durch eine gleichzeitige Einnahme verschiedener Medikamente ausgesetzt. "Die Arzneimitteltherapie für Ältere muss dringend verbessert werden", fordert Klauber. Dazu könnten evidenzbasierte Therapieempfehlungen, hausärztliche Therapiezirkel und eine auf ältere Menschen zugeschnittene Pharmakotherapieberatung für Ärzte beitragen.



DAZ 2011, Nr. 48, S. 50

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