Arzneimittel und Therapie

Im Fokus: psychiatrische und neurologische Störungen

Was tun bei therapieresistenter Depression? Wie relevant ist das Thema ADHS bei Erwachsenen? Ist Bildgebung für die Diagnose einer Alzheimer Demenz wichtig? Wie entwickeln sich Borderline-Persönlichkeiten? Und wie weit ist die personalisierte Medizin bei psychiatrischen Erkrankungen? Ein Update rund um Erkrankungen des zentralen Nervensystems.

Depressionen lassen sich mit Antidepressiva oft gut behandeln. Doch: Die Behandlung der Depression ist komplizierter als man denkt, betonte Prof. Dr. Peter Brieger, Kempten, auf den 13. Bad Homburger ZNS-Gesprächen, die von Lilly Pharma Ende September veranstaltet wurden. Problematisch sind vor allem Patienten, die auf antidepressiv wirksame Substanzen nicht ansprechen. Hier lohnt sich der Blick in die Nationale Versorgungsleitlinie zur unipolaren Depression: Spricht der Patient innerhalb von drei bis vier Wochen nicht an, müssen Compliance, Dosierung und Serumspiegel untersucht werden. Lässt sich die Non-Response damit nicht erklären, kann bei manchen Antidepressiva, etwa trizyklischen Antidepressiva oder Venlafaxin, eine Aufdosierung, entsprechend den Anwendungsempfehlungen erfolgreich sein. Nicht indiziert ist eine Erhöhung der Dosis bei SSRI-Non-Respondern. "Das bringt nur zusätzliche Nebenwirkungen", so Brieger. Versucht werden kann auch ein Switch zu einem anderen Wirkstoff. Doch gebe es wenig Rationale, dass die Umstellung erfolgreich ist. Dagegen sei die Wirkung kombinierter Antidepressiva gut belegt, etwa Kombinationen mit Mianserin oder Mirtazapin. Zu wenig genutzt wird aus seiner Sicht die Augmentation mit Lithium. "Extrem wirksam" sei auch die Augmentation mit einem atypischen Neuroleptikum.

Neue Überlegungen gibt es auch zum richtigen Zeitpunkt der Entscheidung über Response und Non-Response. Bislang gilt: Das Ansprechen auf ein Antidepressivum entscheidet sich nach sechs Wochen. Doch diese Regel ist im Umbruch, so Brieger. Bereits innerhalb von zwei Wochen sei es einer Studie zufolge möglich, zwischen Respondern und Non-Respondern zu unterscheiden, vorausgesetzt das Antidepressivum ist ausreichend hoch dosiert.


MAO-A-Gen: frauenspezifischer Prädiktor für Response auf SSRI


Wie spricht ein individueller Patient auf ein bestimmtes Antidepressivum an? Antwort auf diese Frage kann die Pharmakogenetik liefern, und damit den Weg hin zu einer personalisierten Medizin ebnen. Prof. Dr. Dr. Katharina Domschke, Münster, nahm sich in ihren Forschungsarbeiten frauenspezifische Effekte in der Therapie der Depression vor, da Frauen deutlich häufiger betroffen sind. "Besonders interessant ist das Kandidatengen MAO-A, das auf dem X-Chromosom liegt", konstatierte sie. Sie untersuchte das Ansprechen von Frauen auf eine antidepressive Therapie in Abhängigkeit von der MAO-A-Variante. Und stellte fest: Trägerinnen des langen Allels sprechen langsamer und schlechter auf die Therapie mit einem SSRI an. Ihr Fazit: "Das MAO-A-Gen könnte ein frauenspezifischer Prädiktor für die Response auf Antidepressiva, insbesondere auf SSRI, sein".

Alzheimer: Bildgebung für die Diagnose zwingend!

Aktuell sind in Deutschland etwa 1,4 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt. In etwa 55 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um einen Morbus Alzheimer. Für den Patienten und seine Angehörigen ist diese Diagnose eine Katastrophe. Deshalb sollte sie möglichst wasserdicht sein. Dazu gehört auch, dass sekundäre Ursachen für die auftretenden Symptome ausgeschlossen werden. "Bei 9% der Patienten mit Verdacht auf eine Alzheimer Demenz handelt es sich um eine sekundäre, potenziell reversible Demenz, so Prof. Dr. Frank Jessen, Bonn. Aus seiner Sicht ist die Bildgebung für die Differentialdiagnose zwingend erforderlich, idealerweise ein MRT. Zwar profitierten davon nur wenige Patienten, die klinisch gut untersucht seien. Wegen der Schwere des Befunds sei sie dennoch angezeigt. Diagnostisches Verfahren der Zukunft könnte das Amyloid-Imaging sein, bei dem Amyloid-Plaques schon früh im Krankheitsverlauf mittels PET sichtbar gemacht werden.

Kognitionseinbuße: Endstadium der Neurodegeneration

Voraussetzung auch für künftige Therapie- und Präventionsstrategien ist die rechtzeitige Diagnosestellung. Die Einbuße der Kognition, die als erstes klinisches Symptom den Patienten zum Arzt treibt, steht schon am Ende eines langwierigen neuredegenerativen Prozesses. Als Parameter für eine frühzeitige Diagnosestellung taugt sie nicht. Nach Einschätzung von Prof. Dr. Matthias Riemenschneider, Homburg/Saar, spricht derzeit alles für β-Amyloid als ersten Marker, der präklinisch festgestellt werden kann. Damit werde es möglich "zwischen künftig Gesunden und künftig Kranken zu unterscheiden". Im weiteren Verlauf der Erkrankung kommt es dann zu einer synaptischen Dysfunktion, gefolgt von einem Anstieg der Tau-Proteine. Änderungen der Hirnstruktur lassen sich erst später feststellen – bis es ganz zuletzt zu den typischen klinischen Auffälligkeiten kommt.

Anticaline: die neuen Antidementiva?

Noch längst nicht gelungen ist ein Durchbruch in der Therapie der Alzheimer Demenz. Die Forschung konzentriert sich auf die Verhinderung von amyloiden Plaques. Untersucht wird etwa die Hemmung von β-Sekretasen, die die Bildung von β-Amyloid initiieren. Damit wird gleichzeitig aber auch Neuregulin 1 A beeinflusst, das an der Myelinisierung peripherer Nerven beteiligt ist. "Da weiß man nicht genau, was passiert", so Riemenschneider. Aktive und passive Impfungen blieben, nicht zuletzt auch wegen Nebenwirkungen, bislang wenig erfolgreich. Anticaline sind als weitere Option im Spiel. Dabei handelt es sich um physiologisch vorkommende Transportproteine, die ähnlich wie Antikörper wirken. Zumindest in experimentellen Untersuchungen hemmen sie Aggregation und Zytotoxizität von β-Amyloid. Ihr Vorteil: Da sie deutlich kleiner sind als Antikörper, könnten sie die Blut-Hirn-Schranke besser überwinden.

Erwachsenen-ADHS nur bei Leidensdruck behandeln

Das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) bei Kindern ist ein Dauerthema in den Medien. Über ADHS bei Erwachsenen wird dagegen nur selten berichtet. Dabei leiden Schätzungen zufolge etwa 3% der Erwachsenen an diesem Syndrom. Interessanterweise wird das Syndrom im Kindesalter viermal häufiger bei Jungen diagnostiziert, bei Erwachsenen sind Männer und Frauen etwa gleichermaßen betroffen. "Wo sind die Männer? Und wo kommen die Frauen her?", fragte Priv.-Doz. Dr. Alexandra Philipsen, Freiburg, zu Recht, musste die Antwort aber schuldig bleiben. Typisch für ein ADHS im Erwachsenenalter ist impulsives Verhalten in langweiligen Situationen, also dann "wenn keine Stimulation vorhanden ist", so Philipsen. Das kann beispielsweise auf langen Autofahrten der Fall sein und zu schweren Verkehrsunfällen führen. Spezifische Kriterien für ADHS im Erwachsenenalter stehen noch nicht zur Verfügung, "aber das wird sich in nächster Zeit ändern". Als Fragebogen bei Verdacht auf ADHS hat sich in Deutschland der "HASE" durchgesetzt, die Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene. Therapiert werden sollte laut Philipsen nur bei eindeutiger Diagnose und wenn die Krankheit das Leben des Patienten beeinträchtigt. "Ziel dabei ist es ADHS zu kontrollieren, anstatt von ADHS kontrolliert zu werden." Sie befürwortete einen multimodalen Therapieansatz, der sich auf Medikation und Psychotherapie stützt. Verordnet werden kann Methylphenidat, aber auch Atomoxetin, wenn der Patient damit bereits vor dem 18. Lebensjahr behandelt wurde. <


Borderline-Persönlichkeitsstörung

Das Funktionsniveau bleibt schlecht


Einmal Borderline = immer Borderline: Diese Gleichung stimmt so nicht. "Mehr als 90% der Patienten erfüllen nach zehn Jahren die Kriterien für die Erkrankung nicht mehr", erläuterte Prof. Dr. Sabine Herpertz, Heidelberg, die Ergebnisse einer Longitudinalstudie. Auch verglichen mit der Major Depression (MDD) ist die Prognose günstiger. Zwar dauert es länger bis zur Remission, das Rezidivrisiko ist aber besonders niedrig. Doch auch wenn die Patienten in Remission sind, bleibt das allgemeine Funktionsniveau schlecht. Nur 21% erreichen ein gutes Funktionsniveau, bei einer Major Depression sind es 61%. Und nur etwa ein Drittel der Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung können einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen.


Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2011, Nr. 48, S. 52

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