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BAH fordert Nicotinersatz therapie auf Kassenkosten

BERLIN (jz/ks). Die Nicotinersatztherapie (NET) gehört in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen – dies fordert der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) schon seit geraumer Zeit. Am 15. November hat sich die "Initiative Raucherentwöhnung", eine Arbeitsgemeinschaft im BAH, mit neuen Studien des Essener Gesundheitsökonomen Professor Jürgen Wasem an die Öffentlichkeit gewandt. Ihr Ergebnis: NET ist zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig.
Foto: DAZ/Schelbert
Auf Rezept sollen Raucher eine Nicotinersatztherapie erhalten, so eine aktuelle Forderung des BAH.

Dr. Justus de Zeeuw, Chefarzt des Wuppertaler Lungenzentrums, zeigte sich verwundert über die Zurückhaltung der Politik, Tabaksucht als Krankheit anzuerkennen. Für die Weltgesundheitsorganisation erfüllt Tabakabhängigkeit alle Kriterien einer Sucht und damit einer Krankheit – und so sieht es auch Zeeuw. Zwar antworteten viele Raucher auf Nachfrage zunächst, sie rauchen gerne. Frage man aber etwas genauer nach, wären 90 Prozent von ihnen lieber rauchfrei, so Zeeuw. Dass Rauchen gesundheitsschädlich ist, ist heute unstrittig. Gerade deshalb ist es für den Arzt unverständlich, weshalb die durchaus mögliche Behandlung dieser Sucht – mit Nicotinpflastern, -kaugummis und -inhalatoren – nicht als Kassenleistung eingestuft wird. Willenskraft alleine reiche nämlich nur in rund drei Prozent der Fälle aus, um dem Nicotin abzuschwören. Dagegen schaffe etwa jeder Dritte, der sich für eine NET in Verbindung mit einer ärztlichen Betreuung entscheidet, den Absprung.

NET erfolgreicher als Placebo

Anhand gesundheitsökonomischer Studien zur medikamentösen Raucherentwöhnung legte Professor Wasem dar, dass sich die Aufnahme der NET in den Leistungskatalog der Kassen durchaus lohnen würde. Die in den Studien untersuchten Maßnahmen gliederten sich in zwei Strategien: Probanden, die mit einer NET das Rauchen einstellten, und solche, die mit Placebo damit aufhörten. Es zeigte sich, dass allein zehn Prozent der Placebo-Probanden erfolgreich waren – bei den NET-Probanden waren es 17 Prozent. Die medizinischen "Restlebenskosten" lagen bei den NET-Probanden um rund 900 Euro niedriger als bei den Placebo-Probanden. Für die Kassen würde sich eine Aufnahme der NET laut Wasems Angaben bereits nach circa drei Jahren rechnen. Denn dann würde eine Investition in Mittel für die medikamentöse Raucherentwöhnung durch die eingesparten Folgekosten zu finanziellen Einsparungen führen.

Schuldfrage ist systemfremd

Für Dr. Uwe May – bis vor Kurzem beim BAH für das Thema NET zuständig, heute als externer Berater der May und Bauer GbR – ist die Anwendung der NET "zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig". Einerseits, weil bei erfolgreichen NET-Entwöhnern im Schnitt drei zusätzliche Lebensjahre verbleiben. Andererseits, weil die gesetzliche Krankenversicherung deutlich sparen könnte: 15.000 Euro, die durch Raucherkrankheiten verursacht würden, stünden nur 200 Euro für die NET gegenüber. May bemühte auch eine "fiktive Nutzenbewertung" entsprechend den Kriterien des AMNOG: Hier gebe es einen eindeutigen Zusatznutzen der NET bei gleichzeitiger Kostensenkung. Nicht zuletzt hält May das immer wieder vorgetragene Argument, ein Raucher habe seine Sucht selbst zu verantworten und könne statt der Zigaretten auch eine NET finanzieren, für systemfremd und vorgeschoben. In Deutschland werde die Schuldfrage gerade nicht gestellt, so May. Wäre dies so, würde die Behandlung vieler anderer Krankheiten, die infolge schlechter Ernährung und mangelnder Bewegung entstehen, ebenfalls infrage gestellt – denn grundsätzlich könne auch ein Diabetiker seine Therapiekosten selbst übernehmen.

Um die Erstattungsfähigkeit der NET herzustellen, präferiert der BAH die große Lösung auf kollektiver Ebene: die Streichung der NET als Lifestyle-Arzneimittel im SGB V in Kombination mit der Aufnahme in die Liste erstattungsfähiger OTC. Auf selektiver Ebene wäre denkbar, dass Kassen die NET als Satzungsleistung anbieten. Zumindest sollte sie im Rahmen von Disease-Management-Programmen (DMP) bereits Erkrankten zur Verfügung gestellt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dies bereits für COPD- und im Juli auch für Asthma-DMP beschlossen.



DAZ 2011, Nr. 47, S. 52

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