Was heißt flächendeckend?
Im Zusammenhang mit jedem sogenannten Gesundheitsreformgesetz, das zu neuen wirtschaftlichen Belastungen der öffentlichen Apotheken führt, wird von der Standespolitik vor einem dadurch ausgelösten Apothekensterben gewarnt, vor allem in ländlichen Regionen und Stadtrandlagen. Verwunderlich ist deshalb auch nicht, dass ein sicherlich gut gemeinter Antrag der Apothekerkammer Berlin auf dem Deutschen Apothekertag 2011 in Düsseldorf zu dieser Thematik angenommen worden ist – möglicherweise ohne dass sich die Delegierten von Kammern und Verbänden über den Inhalt und die weitreichenden Konsequenzen im Klaren gewesen sind.
Im betreffenden Antrag fordert die Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker die Bundesregierung auf, "die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung durch die Apotheken vor Ort, insbesondere auf dem Land und in den Stadtteilen so zu unterstützen und für die Zukunft zu gestalten, dass eine von wirtschaftlichen Interessen unabhängige und persönliche Versorgung der Patienten in ihrer gewohnten Umgebung sichergestellt ist". Begründet wird der Antrag mit der unverzichtbaren patientennahen Versorgung durch diese Apotheken im Miteinander von Arztpraxen und ambulanten Pflegediensten.
Für mich ist dies mehr als erstaunlich, da mir kein Konzept des Berufsstandes bekannt ist, in dem formuliert ist, wie die Existenz kleiner Apotheken in ländlichen Regionen und Stadtrandlagen gesichert werden soll, wie die mit jedem Gesundheitsreformgesetz von der Politik aufgelasteten wirtschaftlichen Belastungen für diese Apotheken abgemildert werden können.
Erinnern kann ich mich auch nicht daran, dass der Berufsstand den immer wieder ins Feld geführten Begriff "flächendeckende Versorgung" einmal greifbar definiert hat.
Was machen wir, wenn die Bundesregierung den vom höchsten Gremium der deutschen Apothekerinnen und Apotheker beschlossenen Antrag ernst nimmt? Wenn sie den Berufsstand um Vorschläge bittet, wie die Existenz dieser für die flächendeckende Versorgung unverzichtbaren Apotheken gesichert werden soll? Und welchen Beitrag der Berufsstand dabei bereit ist, selbst zu leisten?
Die berechtigte Forderung nach einer längst fälligen Dynamisierung der Apothekenhonorierung und nach einer leistungsgerechten Vergütung der Rezepturherstellung und Dienstbereitschaft können hier keine Antwort sein. Sie würden allen Apotheken – also auch den ganz großen, wirtschaftlich starken – zugute kommen. Bei einem realistischen Blick auf die Durchsetzbarkeit dieser Forderungen im derzeitigen politischen Umfeld und in der derzeitigen Krankenkassenlandschaft ist zu vermuten, dass eine Verbesserung für diese Apotheken entweder zu spät kommt oder nur das Sterben verlängert.
Der Berufsstand sollte sich bei der Befassung mit dieser Thematik über Folgendes im Klaren sein: Sterben die kleinen Apotheken in den ländlichen Regionen und Stadtrandlagen, weil sie die wirtschaftlichen aber auch aufgezwungenen bürokratischen Belastungen nicht mehr verkraften können, stehen an den Standorten schon nicht gewollte "Nachfolger" bereit. Gemeint sind Drogeriemärkte und Lebensmitteldiscounter, die mittels Versandhandel-Pick-up die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln liebend gern politikwirksam übernehmen würden.
DAZ 2011, Nr. 46, S. 113