Aus Kammern und Verbänden

Vom Getriebenen zum Treiber werden

Den Apotheker vom Getriebenen der gesundheitspolitischen Entwicklung selbst zum Treiber zu machen – dies könnte nach Einschätzung von Prof. Dr. Theo Dingermann, Frankfurt/Main, gelingen, wenn die Apotheker die große Chance nutzen, die sich aus der Kenntnis der individuellen Genausstattung für die Arzneimittelauswahl ergibt. Dabei müssten die wesentlichen Ausprägungen des individuellen Genoms einmalig festgestellt werden, um erkennen zu können, welche Arzneimittel für einen bestimmten Patienten geeignet sind oder in ihrer Dosierung individuell angepasst werden müssen.
Foto: DAZ/tmb
Prof. Dr. Theo Dingermann

Die Zusammenhänge beschrieb Dingermann bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Schleswig- Holstein am 12. November in Kiel (zu einem früheren Vortrag Dingermanns zum Thema "Neuer Therapieansatz durch molekulare Diagnostik" siehe DAZ 16, S. 60). Das Konzept führe zu einem Paradigmenwechsel, denn bisher gelte: "Wir behandeln Krankheiten, aber keine Patienten." Die Patienten werden derzeit nach Leitlinien behandelt, auch wenn dies individuell nicht immer angebracht sei. Stattdessen müssten die Krankheiten der jeweiligen Patienten vor dem Hintergrund der ererbten und erworbenen Variationen des Genoms betrachtet werden.

Mehr Gesundheit für weniger Geld

Hier könne die Pharmazie etwas leisten, das es vorher nicht gab und nicht geben konnte. Damit lasse sich auch die Besonderheit überwinden, dass Fortschritt im Gesundheitswesen stets mit höheren Kosten verbunden ist. Denn die stra tifizierte Medizin verursache durch eine einmalige Diagnostik für jeden Patienten nur geringe Kosten, aber sie könne sehr viel nutzen und zugleich sparen, weil sie den Arzneimitteleinsatz effektiv und effizient mache. Statt pauschal ermittelter Wirtschaftlichkeit sollte der individuelle Nutzen betrachtet werden. Der differenzierte Einsatz von verschiedenen Arzneimitteln führe bisher reflexartig zum Vorwurf einer Zwei-Klassen-Medizin, womit jede Diskussion erstickt werde. Doch mit den neuen Methoden könne ermittelt werden, wem welches Arzneimittel hilft.

Da Gene stets in diploider Form vorhanden sind, kann eine bestimmte Ausprägung ein oder beide Allele betreffen. Daraufhin können Arzneimittel je nach Patient als wirksam, partiell wirksam oder unwirksam klassifiziert werden. Als Beispiele nannte Dingermann einige weit verbreitete Arzneistoffe, die bei vielen Patienten aufgrund ihrer genetischen Ausstattung nicht in erwarteter Weise wirken. Dies seien bei Acetylsalicylsäure 20%, bei Clopidogrel 70%, bei ACE-Hemmern 30%, bei Statinen 40% sowie bei Paroxetin und Hypericum 50% der Patienten.

Noch bedeutsamer dürften die Effekte bei hochpreisigen Innovationen sein, die insbesondere zur Tumortherapie eingesetzt werden. Der gezielte Einsatz könne hier die unnötige Belastung bestimmter Patienten, der Non-Responder, und die Kosten erheblich vermindern. Produkte, die im Durchschnitt nur geringen Nutzen bringen, können einzelnen Patienten, den Respondern, deutliche Vorteile bieten.

Neben der Unterscheidung der individuellen Wirksamkeit können Arzneimittel auch hinsichtlich ihrer unerwünschten Wirkungen unterschieden werden und als verträglich, problematisch oder toxisch eingestuft werden, je nachdem wie der Patient mit den Enzymen der Biotransformation ausgestattet ist. Relevant sind hierfür insbesondere einige CYP-Isoenzyme.

Große Chance für Apotheker

Dingermann betonte mehrfach die besondere Chance, die diese neuen Möglichkeiten speziell den Apothekern bieten. "Wir sind die Arzneimittelfachleute", so Dingermann. Die Ärzte sollten sich um die Krankheiten kümmern, aber die Arzneimittel seien Sache der Apotheker. "Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen", empfahl Dingermann.

Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, bekräftigte diese Einschätzung. Das Konzept sei aussichtsreich, weil es die Volks gesundheit verbessere und zugleich die Kosten im Gesundheitswesen senke. Froese berichtete, dass sich bereits eine Arbeitsgruppe mit der möglichen Umsetzung beschäftigt habe. Als wichtige Voraussetzungen hätten sich die Datenführung, die Vollständigkeit der Daten und die Zusammenführung der Ergebnisse für die einzelnen Patienten ergeben. Dies sei zum Teil nicht durch die Datenverarbeitung zu leisten, sondern erfordere Fachwissen. Außerdem müsse der Patient zustimmen und der Arzt eine solche Analyse verordnen.

Dingermann erklärte, dass neben US-amerikanischen Unternehmen inzwischen auch die Frankfurter Firma bio.logis eine Analyse für eine Auswahl relevanter Gene anbietet (siehe www.bio.logis.de). In diesem Zusammenhang kritisierte Dingermann den Arztvorbehalt im Gendiagnostikgesetz. Es sei den Politikern nicht zu vermitteln gewesen, dass der Diagnostikbegriff sich ausgedehnt habe und nicht nur die Erkennung von Krankheiten, sondern auch die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Arzneimitteln umfasse. Aus Gründen der Volksgesundheit sei zu hoffen, dass der Arztvorbehalt in einer Gesetzesänderung revidiert wird.


tmb



DAZ 2011, Nr. 46, S. 97

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