Arzneimittel und Therapie

Tumorschmerz – eine therapeutische Herausforderung

Bei vielen Tumorarten haben sich die Überlebenszeiten der Patienten deutlich verlängert. Dadurch gewinnt die Behandlung von Tumorschmerzen zunehmend an Bedeutung. Brisant sind vor diesem Hintergrund Beobachtungen, dass es unter einer Opioid therapie durchaus zu einer Abhängigkeitsentwicklung auch bei Tumorpatienten kommen kann und sogar zu einer Opioid-induzierten Hyperalgesie.

Rund jeder zweite Krebspatient entwickelt im Verlauf seiner Erkrankung Tumorschmerzen. Es handelt sich oft um starke und stärkste Schmerzen, die die Patienten in ihrer Lebensführung massiv beeinträchtigen. Unstrittig ist, dass alles getan werden muss, um das Leiden der Betroffenen zu lindern. Doch die Behandlung von Tumorschmerzen ist oft eine medizinische Herausforderung, wie beim Deutschen Schmerzkongress 2011 in Mannheim deutlich wurde. Denn zum einen gibt es noch eine erhebliche Unterversorgung der Patienten und speziell Opioide werden oft nur zögerlich verordnet, zum anderen sind die Opioide in ihrer langfristigen Anwendung nicht unproblematisch.

Die Behandlung von Tumorschmerzen ähnelt daher nicht selten einer Gratwanderung: So müssen selbstverständlich starke Analgetika und auch stark wirksame Opioide eingesetzt werden, um die Schmerzen der Patienten effektiv zu lindern. Andererseits sind Hinweise ernst zu nehmen, wonach es auch bei Tumorpatienten zur Toleranzentwicklung und zur Abhängigkeit unter Opioiden kommen kann und bei hoher Dosierung auch zu einer Hyperalgesie.

Tumorschmerzpatienten sind oft unterversorgt

Vor welchem Dilemma die Schmerztherapie steht, machte beim Deutschen Schmerzkongress Priv.-Doz. Dr. Justus Benrath aus Mannheim deutlich: 73 Prozent der Patienten mit Tumorschmerzen erklären nach seinen Angaben auf Befragen, unter Schmerzen zu leiden, die sie auf der von 0 bis 10 reichenden visuellen Analogskala (VAS) mit 4 bis 10 einstufen. "Das ist quasi eine Bankrotterklärung für uns Schmerztherapeuten", so Benrath. Theoretisch ließen sich, so hieß es in Mannheim, Tumorschmerzen in 90 Prozent der Fälle erfolgreich lindern. Tatsächlich aber ist offenbar eine große Zahl an Patienten schmerztherapeutisch unterversorgt. Obwohl das WHO-Stufenschema eine konkrete und validierte Handlungsanweisung darstellt, ist die Umsetzung laut Dr. Stefan Wirz aus Bad Honnef mangelhaft.

Die Gründe hierfür sind vielfältig: Sie reichen laut Wirz von einem noch unzureichenden Ausbildungsstand der Ärzte hinsichtlich der Schmerztherapie über Vorbehalte gegenüber den Opioiden und Problemen bei der Auswahl der adäquaten Applikationsform bis hin zu der Einstellung vieler Tumorpatienten, die Schmerzen als zur Krankheit gehörend hinnehmen zu müssen. Patienten können oft nicht mit ihrem Arzt über die Problematik sprechen und wissen nicht, dass es wirksame Hilfen gibt.

Opioide differenziert einsetzen

Probleme gibt es nach Prof. Dr. Wolfgang Koppert, Hannover, auch durch das Phänomen der Hyperalgesie. So kann es unter hohen Morphindosen zu Schmerzzuständen kommen, die nicht mehr auf dem ursprünglichen Schmerz basieren, sondern iatrogen durch die Opioide induziert werden. Dieses Phänomen der Hyperalgesie unter hohen Opioiddosen ist vor allem für die postoperative Situation beschrieben. Denn Opioide können offenbar nicht nur die Schmerzleitfähigkeit von Nozizeptoren dämpfen, sondern auch den gegenteiligen Effekt vermitteln und pronozizeptive Mechanismen anstoßen. Es kommt dadurch zu einer Aktivierung von NMDA-Rezeptoren und zur vermehrten Weiterleitung von Aktionspotenzialen in den Hinterhirnneuronen, so Wirz. Es gibt nach seinen Angaben somit zwei konkurrierende Mechanismen der Opioidwirkung, wobei die pronozizeptiven Effekte während der Opioidgabe an Stärke zunehmen und sogar das Absetzen des Opioids zeitlich überdauern können. Inwieweit die beschriebenen Effekte in der Tumorschmerz- und Palliativmedizin zum Tragen kommen ist nach Wirz noch unklar. Allerdings sollte im klinischen Alltag bei der Behandlung von Patienten mit Tumorschmerzen auf Hinweise für solche Phänomene geachtet werden. Als zusätzliches Problem kommt nach Dr. Michael Schenk, Berlin, hinzu, dass sich die Überlebenszeiten onkologischer Patienten im Mittel deutlich verlängert haben. Damit sind häufiger auch langfristige Opioidgaben erforderlich und das Auftreten von Toleranzphänomen und einer potenziellen Abhängigkeit bekommt eine neue Dimension in der Tumorschmerztherapie. Vor diesem Hintergrund muss, so forderte es vor Ort Dr. Rainer Freyn hagen aus Tutzing, bei Tumorpatienten mit starken Schmerzen die Indikation für Opioide sehr sorgfältig gestellt werden. Es sollte laut Freynhagen stets eine differenzierte Therapie erfolgen, die der individuellen Situation angepasst ist und bei der auch alle Möglichkeiten des Einsatzes von Koanalgetika genutzt werden.


Christine Vetter, Köln



DAZ 2011, Nr. 46, S. 54

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.