Aus Kammern und Verbänden

Analytik auf der molekularen Ebene

Die DPhG-Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik veranstaltete ein Vorsymposium zur Jahrestagung der Österreichischen und der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (ÖPhG und DPhG) am 20. und 21. September in Innsbruck. Unter dem Titel "Analytik auf der molekularen Ebene" reichte das Spektrum der Vorträge von apparativen Entwicklungen und neuen bioinformatischen Tools über die biochemische Forschung bis hin zu Anwendungsbeispielen aus der behördlichen Arzneimittelüberwachung und der Gerichtsmedizin.

Mit seinem Vortrag "Strukturidentifizierung von Pharmaka mithilfe massenspektrometrischer Methoden" eröffnete Priv.-Doz. Dr. Klaus Raith, Landesamt für Verbraucherschutz SachsenAnhalt in Magdeburg, die Tagung. Er gab einen Überblick über die Selektivität und Empfindlichkeit verschiedener Methoden und stellte ein Stufenschema vor, welches von der UV/Vis-Spektroskopie über die HPLC mit UV-Detektion bis zur MS/MS-Kopplung sowie der hochauflösenden Massenspektrometrie einen zunehmenden Informationsgehalt liefert. Eine wesentliche Ergänzung stellt die Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) dar, welche die Unterscheidung von isobaren Verbindungen ermöglicht, sodass auch Unterschiede in der Molekülform für die Trennung ausgenutzt werden können. In der Analytik der Biopharmazeutika oder Biologicals ist die MS inzwischen ebenfalls unverzichtbar, doch sind in der Qualitätskontrolle dieser Arzneimittel noch viele Fragen offen.

Dr. Reinhard Bogan, Zentrales Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr München, berichtete über ein noch nicht beschriebenes Abbauprodukt von Pyridostigmin, welches bei Untersuchungen zur Arzneimittelsicherheit von Notfallvorräten entdeckt wurde. Die Pyridostigmintabletten waren 1988 als Antidot gegen Organophosphate (Giftgase) eingelagert worden. Bei ihrer Überprüfung wurde ein Nebenpeak im Chromatogramm als Tetramethylharnstoff (TMH) identifiziert; Nachweis und Quantifizierung erfolgten mittels HPLC-DAD und GC‑MS. Bogan stellte einen plausiblen Abbauweg von Pyridostigmin mit Hydrolyse, Decarboxylierung und nachfolgender Säureamidbildung dar. Aufgrund publizierter Daten zur Toxikologie von TMH wurde abschließend eine Nutzen-Risiko-Bewertung der Tabletten vorgenommen.

Nachweis von Fälschungen

Daniel Glauser von der Schweizerischen Arzneimittelbehörde Swissmedic in Bern stellte den Einsatz von NIR- und Raman-Spektroskopie in der Qualitätskontrolle vor. Für die Raman-Spektroskopie gibt es bereits tragbare, einfach zu bedienende Geräte, die auch für den Einsatz an vorderster Front, z. B. beim Zoll, geeignet sind. NIR-Spektren sind im Gegensatz zu den Raman-Spektren nicht direkt auswertbar, sodass der Einsatz der Chemometrie unerlässlich ist. Es ist ein großer Vorteil beider Techniken, dass sie bei In-Prozess-Kontrollen eingesetzt werden können (NIR quantitativ, Raman qualitativ); dies macht sie für die Eingangskontrolle und die Fälschungsanalytik interessant, zumal eine Messung durch das Primärpackmittel hindurch möglich ist.

Dr. Andreas Mayrhofer von der österreichischen Arzneimittelagentur AGES PharmMed in Wien ging auf die Problematik der Analyse von Arzneimittelfälschungen ein, die etwa 15% des Weltmarktes ausmachen. Auch auf diesem Gebiet wird zunehmend die Massenspektrometrie in Kopplung mit der HPLC oder GC eingesetzt, beispielsweise bei der Analyse von PDE5 -Hemmern wie Sildenafil oder bei der Designerdroge "Spice", welche synthetische Cannabinoide enthält. Laut Mayrhofer nutzen Kriminelle die Patentliteratur als "Goldgrube" für die Entwicklung immer neuer Designerdrogen. Da deren Wirkung und Toxizität völlig unbekannt sind, ist das Risiko für den Konsumenten enorm hoch.

Stabilität von Biopharmazeutika

Über die neue Software BioEquality referierte Dr. Steven Watt, Fa. A & M Stabtest in Bergheim. Sie wird zur umfassenden Analytik von Daten aus der Stabilitätsprüfung von Biopharmazeutika und für Komparabilitätsstudien von Biosimilars (generischen Biopharmazeutika) entwickelt. Mit dieser Software können Daten aus verschiedensten Analysentechniken gesammelt werden, um z. B. Trendanalysen während einer laufenden Stabilitätsstudie anzufertigen oder um verschiedene Chargen miteinander zu vergleichen. Mit diesen Daten können künftig mögliche Laufzeiten abgeleitet, die Qualität des Produktionsprozesses überprüft und die Vergleichbarkeit eines Biosimilars mit dem Originator dargestellt werden. Darüber hinaus kann BioEquality die von der Software MassMap ausgewerteten Daten zu Peptiden speichern und semiquantitativ auswerten. Damit wird eine umfassende Auswertung aller qualitätsrelevanten Daten für Biopharmazeutika ermöglicht.

Dr. Christian Hunzinger, Fa. Merck Serono in Darmstadt, stellte alternative Analysenmethoden zur Prozessqualitäts- und Produktkontrolle vor, nachdem er auf die Besonderheiten eines klassischen Herstellungsprozesses von monoklonalen Antikörpern hingewiesen hatte. Beispielsweise kann als Alternative zur Protein-A-Affinitätschromatografie eine IgG-Quantifizierung mittels eines Gyrolab HT-ELISA durchgeführt werden, welcher über eine vergleichbare Reproduzierbarkeit und Selektivität verfügt, aber einen deutlich höheren Probendurchsatz ermöglicht. Auch die Kapillargelelektrophorese kommt vermehrt zur Analyse des IgG N-Glycan Fingerprints zum Einsatz; Hunzinger betonte deren hohe Präzision sowie die Möglichkeit der Parallelanalyse (bis zu 384 Kapillaren pro Lauf).

Quantitative Untersuchungen

Die Möglichkeit der Proteinquantifizierung mithilfe der HPLC präsentierte Sandra Grotefend aus dem Arbeitskreis von Prof. Dr. Hermann Wätzig, TU Braunschweig. Sie stellte verschiedene Trennmethoden (SEC, SAX, WCX, RP) vor und verglich sie miteinander. Sie zeichnen sich durch hohe Präzision bei guter Selektivität aus und lassen sich sehr vorteilhaft zur Qualitätskontrolle von Biologicals, was Dr. Hunzinger bestätigte.

In ihrem Vortrag über die Analyse von Proteinen mit der Kapillargelelektrophorese (CGE) stellte Claudia Cianciulli, wiederum aus dem Arbeitskreis Wätzig, fabelhafte Präzisionswerte für die Quantifizierung vor. Zwei Punkte hob sie besonders hervor: Bei der CGE ist es im Gegensatz zu Vorläuferarbeiten von Vorteil, hydrodynamisch zu injizieren; außerdem ist es sehr wichtig, das Signal-Rausch-Verhältnis auf über 100 zu erhöhen, um gute Präzisionswerte zu erhalten. Den Zusammenhang dieser Parameter hatte erstmals Veronika Meyer auf der Konferenz HPLC 2011 in Budapest detailliert beschrieben. Die Selektivität der CGE verdeutlichte Cianciulli am Beispiel der Untersuchung eines Antikörpers.

Die Biological Interaction Analysis (BIA), über die Dr. Isam Rais, Fa. Boehringer Ingelheim in Biberach, berichtete, kann die Interaktionen zwischen Antikörpern und ihren Liganden hinsichtlich der Kinetik und Affinität genau untersuchen. Die Technik eignet sich aufgrund ihrer guten Präzision und Richtigkeit für die Qualitätskontrolle und die Entwicklung von Biopharmazeutika. Es konnte eine sehr schnelle und robuste Methode zur Quantifizierung von Antikörpern entwickelt und validiert werden, welche aufgrund der Präzision und Automatisierbarkeit gegenüber ELISA Vorteile besitzt und mit der HPLC vergleichbar ist.

Karl Mechtler aus dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie Wien stellte die Affinitätschromatografie in Kombination mit der Massenspektrometrie als geeignetes Werkzeug für Proteomanalysen vor, vor allem für die zur Mitose nötigen Proteine. Nach Knock-out-Experimenten gelang es seiner Arbeitsgruppe, Proteinkomplexe durch eine LC-MS/MS-Methode stöchiometrisch zu bestimmen. Dazu werden spezielle isotopisch markierte Peptide als interner Standard verwendet. Weitere Informationen stehen auf der Website www.mitocheck.org.

Vorstand bestätigt


Im Rahmen der Fachgruppentagung fand auch die diesjährige Mitgliederversammlung statt, die den Vorstand, bestehend aus Prof. Dr. Hermann Wätzig und Priv.-Doz. Dr. Klaus Raith, entlastete und für die nächste Amtsperiode von vier Jahren einstimmig wiederwählte und Apothekerin Sandra Grotefend als Schriftführerin bestätigte.

Methodische Fortschritte

Die Herausforderungen bei der Bioanalytik von Metallkomplexen diskutierte Prof. Dr. Ingo Ott, TU Braunschweig. Er stellte die Atomabsorptionsspektrometrie (AAS), die AAS mit Plasmaanregung (ICP) und die Röntgenfluoreszenzspektrometrie (XRFS) als mögliche Methoden vor und verglich sie miteinander. Besondere Schwierigkeiten gibt es bei Proben biologischen Ursprungs aufgrund der vorliegenden Matrices. Beispielsweise führen hohe Salzkonzentrationen oft zu erheblichen Interferenzen. Instrumentelle Neuerungen stellen die High Resolution Continuum Source AAS (HR-CS AAS) und die Total Reflection XRFS (TXRFS) dar. Bei der HR-CS-AAS dient anstelle der üblichen Hohlkathodenlampe (Linienstrahler) eine Xenon-Kurzbogenlampe (Kontinuumstrahler) als Strahlungsquelle. Dadurch kann eine deutlich bessere Untergrundkorrektur erreicht werden. Die TXRFS ermöglicht eine gleichzeitige qualitative und quantitative Multielementanalyse.

Prof. Dr. Michael Karas, Universität Frankfurt, führte aus, dass die von ihm zur Analytik großer Moleküle mitbegründete MALDI-TOF-Massenspektrometrie trotz unvermeidlicher Matrixsignale auch für kleine Moleküle geeignet ist, wobei eine angepasste, gleichmäßige Probenpräparation erforderlich ist. So hat seine Arbeitsgruppe eine Methode zur Quantifizierung von Acetylcholin und Cholin entwickelt. Diese zeigt gute Linearität, Präzision und Richtigkeit. Zwar ist im Gegensatz zum Elektrospray keine Online-Kopplung an die HPLC möglich, doch ist diese wegen geringerer Signalunterdrückungseffekte oftmals auch nicht nötig.

Der Toxikologe Prof. Dr. Dr. h.c. Hans H. Maurer, Universität des Saarlandes in Homburg (Saar), stellte die unverzichtbare Rolle der Massenspektrometrie bei klinischen und forensischen Untersuchungen dar. Das Screening nach unbekannten Substanzen ist dabei weitaus schwieriger als eine zielgerichtete Target-Analyse. Die MS gibt der Forensik verbesserte Möglichkeiten, Suchtpatienten zu kontrollieren und Vergiftungen aufzuklären. Des Weiteren stellte er ein "dilute and shoot"-Verfahren vor, welches die direkte Analyse von Urin mithilfe der LC-MS/MS ermöglicht.

Prof. Dr. Gérard Hopfgartner, Universität Genf, referierte über das Zusammenspiel von hochauflösender Chromatografie und schneller Massenspektrometrie für simultane qualitativ-quantitative Analysen. Bei der informationsabhängigen Datenaufnahme (IDA) wird ein Peak im LC/MS unter bestimmten Kriterien erkannt und automatisch ein MS/MS-Fragmentspektrum aufgenommen. Hierbei können jedoch wertvolle Informationen fehlen. Bei neueren Ansätzen wie MSE, Global Precursor Scan oder der Aufnahme von sequenziellen Fenstern (SWATH) wird hingegen praktisch ein komplettes MS- und MS/MS-Bild in einem einzigen Lauf generiert. Hier kommt es auf bioinformatische Werkzeuge an, um die wichtigen Informationen zu gewinnen. Hopfgartner machte noch einmal deutlich, dass nicht einzelne Innovationen, sondern gerade die Kombination von Ultrahochleistungs-Flüssigchromatografie (UHPLC), hochauflösender Massenspektrometrie und Ionenmobilitätsspektrometrie (IMS) eine neue Qualität bedeutet.

Untersuchungen von Gewebeproben

Dr. Christian Schmelzer, Universität Halle-Wittenberg, gab "Molekulare Einblicke in die Alterung elastischer Fasern", die in verschiedenen Bindegeweben sowie vor allem in der Haut vorkommen. Das hydrophobe und stark quervernetzte Strukturprotein Elastin ist praktisch unlöslich und gegenüber fast allen Proteasen stabil, was seine Untersuchung beträchtlich erschwert. Dennoch gelang es der Arbeitsgruppe von Prof. Neubert am Institut für Pharmazie, umfassende Strukturinformationen zu erlangen und die mit der Hautalterung verbundenen Veränderungen – die auch in eindrucksvollen elektronenmikroskopischen Aufnahmen zu erkennen waren – mit molekularen Veränderungen am Elastin zu erklären. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse ist die Voraussetzung, um später gezielte Therapien zu entwickeln.

Die Leistungsfähigkeit der Kombination der Massenspektrometrie mit der Bildgebung erläuterte Dr. Markus Stöckli, Novartis AG in Basel. Er hat sich auf das MALDI Imaging von Gewebeschnitten, die mit der Kryomikrotom-Technik gewonnen werden, spezialisiert. Mit ihr lässt sich sehr anschaulich zeigen, in welchen Organen sich verabreichte Substanzen anreichern. Stöckli zeigte Aufnahmen eines "gläsernen Labors", in dem die Probenpräparation und massenspektrometrische Untersuchung weitestgehend automatisiert erfolgen. Zwar hat die Technik insbesondere in der quantitativen Auswertung auch ihre Grenzen, sie hat sich jedoch für die Arzneimittelentwicklung als nützliches Werkzeug erwiesen.

Insgesamt bot die Tagung der DPhG-Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik viele informative Einblicke, insbesondere in das sich schnell weiter entwickelnde Gebiet der Massenspektrometrie, sowie eine Übersicht über weitere interessante Themengebiete. Wie schon in den Vorjahren regten die niveauvollen Vorträge zu konstruktiven Diskussionen und intensivem fachlichem Austausch an. Die Organisatoren konnten sich über eine rege Teilnahme aus Universitäten, Industrie, Behörden und Auftragslabors freuen.

Die Veranstaltung wurde organisiert von den Vorsitzenden der Fachgruppe, Prof. Dr. Hermann Wätzig und Priv.-Doz. Dr. Klaus Raith. Sie wurde unterstützt durch AZ Biopharm, AB SCIEX, A & M Stabtest, Bene Arzneimittel, Bruker, Vetter Pharma, Schaper & Brümmer, das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM). Die nächste Jahrestagung der Fachgruppe Arzneimittelkontrolle/Pharmazeutische Analytik wird voraussichtlich am 9. und 10. Oktober 2012 in Greifswald stattfinden.


Sandra Grotefend, Hermann Wätzig, Klaus Raith


Internet


Abstracts der hier referierten Vorträge:

www.pharmchem.tu-bs.de/forschung/waetzig/dphg/#veranstaltungen



DAZ 2011, Nr. 45, S. 105

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