Praxis

Wann werden Teststreifen für Typ-2-Diabetiker erstattet?

?Eine Stammkundin legt zwei Rezepte vor: ein Kassenrezept mit Metformin 1000 mg und Onglyza® und ein grünes mit 100 Stück Blutzuckerteststreifen. Empört erzählt sie, der Arzt könne diese nicht mehr verordnen. Wie erklärt man ihr die Situation? Welche Ausnahmen gibt es?

Die Antwort geben


Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen


Schon im März 2011 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Einschränkung der Verordnungsfähigkeit nach § 92 SGB V in Verbindung mit § 16 der AM-RL beschlossen, aus der hervorging, dass Harn- und Blutzuckerteststreifen bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die nicht mit Insulin behandelt werden, nicht mehr zulasten der GKV verordnet werden dürfen.

Diese Entscheidung ist zum 1. Oktober 2011 offiziell in Kraft getreten.

Ausnahmen bei instabiler Stoffwechsellage

Ausnahmen sind in der Anlage III der Arzneimittelrichtlinien (AM-RL) Punkt 52 vorgesehen. So dürfen Ärzte weiterhin Harn- und Blutzuckerteststreifen für Patienten mit instabiler Stoffwechsellage verordnen. Eine instabile Stoffwechsellage kann sich z. B. bei interkurrenten Erkrankungen manifestieren. Der Begriff "interkurrente Erkrankung" wurde von G-BA nicht näher definiert. Sozialrechtlich sind damit akute Zwischenerkrankungen gemeint, die während einer stationären Behandlung auftreten und sofort behandelt werden müssen, z. B. grippale Infekte oder eine Blinddarmentzündung. Medizinisch ist jede zu einer Grunderkrankung hinzukommende weitere Erkrankung interkurrent, und zwar im stationären und im ambulanten Bereich. Diese Auffassung vertreten auch einige Kassenärztliche Vereinigungen. [1]

Eine Stoffwechselentgleisung kann auch aufgrund einer Ausnahmesituation wie Operation, Cortisonbehandlung oder Traumen entstehen. Weiterhin können eine Ersteinstellung oder eine Therapieumstellung bei oralen Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko zu einer instabilen Stoffwechsellage führen. Dazu zählen v. a. Sulfonylharnstoffe (Glimepirid, Glibenclamid) und Glinide (Repaglinid, Nateglinid). In solchen Fällen sind je Behandlungssituation bis zu 50 Teststreifen verordnungsfähig [2].

Schulung kein Grund für Verordnung

Auch Patienten, die an Schulungen im Rahmen eines Disease Management Programms (DMP) teilnehmen, sind von der neuen Regelung betroffen. Die Schulung alleine ist kein plausibler Grund für eine Verordnung von Teststreifen. Bei Ersteinstellung und Therapieumstellungen auf Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko können dagegen entsprechend bis zu 50 Teststreifen verordnet werden.

Diese Richtlinie gilt nicht für Gestationsdiabetes. Dabei handelt es sich definitionsgemäß nicht um einen Diabetes mellitus Typ 2 [2].

Warum kam es zu so einer Entscheidung?

Die Kundin empfindet diese Entscheidung sicherlich als eine weitere Rationierung im Gesundheitswesen, aber ist es tatsächlich so? Oder handelt es sich hier um eine Rationalisierung der Diabetestherapie-Kontrolle?

Der G-BA kann die Erbringung und Verordnung von Leistungen und Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder der therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind.

Harn- und Blutzuckerteststreifen sind als Medizinprodukte i. S. d. § 3 MPG zugelassen. Versicherte in der GKV haben nach § 31 SGB V Anspruch auf die Versorgung mit diesen Produkten. Allerdings unterliegen Teststreifen dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V. Somit hat der G-BA das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) mit einer Nutzenbewertung der Urin- und Blutzuckerselbstmessung bei Diabetes mellitus Typ 2 beauftragt.

IQWiG fand keinen Nutzenbeleg

Für die Nutzenbewertung fasste das IQWIG auf Grundlage randomisierter kontrollierter Studien die hierzu vorhandene medizinische Evidenz zusammen. Weder für die Blutzuckerselbstmessung noch für die Urinzuckerselbstmessung wurde ein Beleg des Nutzens bei Patienten mit Typ-2-Diabetes-mellitus, die nicht mit Insulin behandelt werden, gefunden. Es konnte auch kein Nachweis für einen Zusatznutzen der Blutzuckerselbstmessung gegenüber der Urinzuckerselbstmessung oder umgekehrt bestätigt werden. Zur Urinzuckerselbstmessung fand das IQWIG keine relevanten, ausreichend transparent berichteten Studien.

Aus den epidemiologischen Studien zu dieser Thematik ergab sich kein Nachweis einer Assoziation der Blut- oder Urinzuckerselbstmessung mit Morbidität und Mortalität [3].

Was bedeutet das für die Apotheke?

Bei Vorliegen von Kassenrezepten dürfen Teststreifen weiterhin zu den vereinbarten Vertragspreisen abgegeben werden. Der Apotheker ist nicht verpflichtet zu überprüfen, ob der Diabetiker insulinpflichtig ist oder mit oralen Antidiabetika behandelt wird. Weiterhin muss der Arzt die Verordnung auf dem Rezept nicht begründen: es ist nicht notwendig auf dem Verordnungsblatt zu vermerken, dass eine instabile Stoffwechsellage oder eine Ersteinstellung vorliegt.

Auch Verordnungen von mehreren Packungen sind in der Regel ohne Weiteres in der Apotheke zu beliefern. Eine Beschränkung auf 50 Teststreifen pro Behandlungssituation ist zwar vorgesehen, dafür haftet aber der verordnende Arzt.

In der Apotheke wichtig ist in dieser Situation die sachliche Aufklärung der Diabetiker über die geänderte Gesetzeslage. Die langfristige Überwachung der oralen antidiabetischen Therapie des Typ-2-Diabetes-mellitus erfolgt durch die Messung des HbA1c -Wertes, die in der Regel einmal pro Quartal durch den Arzt erfolgen sollte. Prinzipiell sind Blutglucosemessungen durch Selbstkontrolle nur dann medizinisch notwendig und sinnvoll, wenn sich aus den Ergebnissen therapeutische Konsequenzen ergeben.


Die Antwort kurz gefasst


  • Aufgrund eines G-BA-Beschlusses sind Teststreifen für Typ-2-Diabetiker nur in Ausnahmefällen zulasten der GKV verordnungsfähig.

  • Zu den Ausnahmefällen zählen eine instabile Stoffwechsellage, Stoffwechselentgleisungen infolge von Ausnahmesituationen wie Operation oder Cortisonbehandlung, Ersteinstellungen und Therapieumstellungen bei oralen Antidiabetika mit hohem Hypoglykämierisiko.

  • Hintergrund für die Verordnungseinschränkung ist ein nach Ansicht des IQWiG fehlender Nutzenbeleg.


Literatur

[1] http://www.kvno.de/60neues/2011/11_11_teststreifen/index.html

[2] http://www.g-ba.de/downloads/83-691-269/AM-RL-III-Verordnungseinschränkung-2011-10-01.pdf

[3] https://www.iqwig.de/download/A05-08_Kurzfassung_Abschlussbericht_Zuckerselbstmessung_bei_Diabetes_mellitus_Typ_2.pdf

Eine Patienteninformation findet sich unter: http://www.kvno.de/downloads/patienten/patinfo_blutzuckerteststreifen.pdf


Weitere Literaturquellen:

http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/

http://www.awmf.org/leitlinien.html


Autorinnen
Stanislava Dicheva, Insa Heyde, Heike Peters, Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen



DAZ 2011, Nr. 44, S. 64

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