Deutscher Apothekertag 2011

"Wir haben unser Soll mehr als erfüllt!"

Heinz-Günter Wolf, Präsident der ABDA, bezeichnete in seinem Lagebericht die aktuelle Situation als besorgniserregend. Das AMNOG habe bereits tiefe Einschnitte hinterlassen, die Betriebsergebnisse der Apotheken brechen drastisch ein. Die Folge: Jeden Tag schließt eine Apotheke. Wolf stellte aber auch klare Forderungen: Das ABDA/KBV-Modell muss im Ganzen ein Herzstück des Versorgungsstrukturgesetzes werden. Die Apothekenbetriebsordnung muss die Vorgaben für eine Vollapotheke, die alles kann, ermöglichen. Und eine gerechte Honorierung ist unumgänglich für die gute Arbeit, die deutsche Apotheker leisten.
Foto: DAZ/Schelbert

Für die Politik hatte Wolf harte Worte. Schwarz-Gelb habe strukturell nichts für die pharmazeutische Versorgung der Patienten und nichts für die Apotheken getan. Im Gegenteil: Ankündigungen und Zusagen wurden nicht eingehalten, auch dann nicht, wenn sie schwarz auf weiß im Koalitionsvertrag stehen. Offensichtlich wurden die Apotheker nur ausgenutzt, Stimmen für die Bundestagswahl 2009 zu liefern. Stand der freie Heilberuf und Mittelständler vor der Wahl politisch genau im Fokus von Schwarz-Gelb, so war nach der Wahl bedauerlicherweise davon nichts mehr zu spüren.

Unverständlich ist es, so Wolf, warum Apotheker in einer Art und Weise benachteiligt wurden, wie man das bisher noch nicht gesehen hat. Die Ärzte wurden durch die schwarz-gelbe Bundesregierung besser gestellt, die Zahnärzte wurden besser gestellt, ebenso die Krankenhäuser. Die Krankenkassen wurden sogar "bestens" gestellt: Die gesetzliche Krankenversicherung habe in der Summe inzwischen ein gigantisches Guthaben von 10 Milliarden Euro aufgebaut.

Wenn man sich dann noch die Frage stellt, wer das eigentlich alles bezahlt, so wird deutlich, dass diese unglaubliche Summe von den Versicherten finanziert wird, genauso wie von den Apothekern. "Wir bluten aus, damit andere sich die Schatztruhe füllen!" Politik für den Mittelstand sehe anders aus.

Hinzu kommt, so Wolf, dass das AMNOG auch noch handwerklich schlecht gemacht sei. Auf der einen Seite belastet die Politik die Apotheker mit ca. 200 Millionen Euro durch die Anhebung des Apothekenabschlages. Nach Gesetzestext soll auf der anderen Seite der pharmazeutische Großhandel genauso seinen Beitrag leisten. Das tut er aber nicht. Der Großhandel wälzt die ihm zugedachte Belastung einfach auf die Apotheken ab. "Diese doppelte Belastung halten wir nicht aus. Über den deutschen Apotheken schwingt eine schwarz-gelbe Abrissbirne." Die muss angehalten werden. Die aktuelle Situation sei gekennzeichnet durch handwerklich schlecht gemachte Politik, so Wolf. Und sie bleibe schlecht, wenn sie nicht beizeiten korrigiert wird. Wer die flächendeckende pharmazeutische Versorgung der Bevölkerung ernst nimmt, darf keine derartige Politik verfolgen. Deshalb müsse jetzt das Ruder herum geworfen werden. Nach den Grußworten der Vertreter der verschiedenen Parteien zeigte sich Wolf jedoch optimistisch, er hat Hoffnung auf solide Gespräche auf Basis solider Daten.

Ein Muss: gerechte Honorierung für gute Arbeit

Bei der Belastung der Apotheken stimmt die Dosierung nicht mehr, so Wolf. Bereits 2011 werden die Apotheken die gesetzlich vorgegebene Einsparsumme für zwei Jahre geleistet haben. Wolf forderte, die Belastung der Apotheken auf das ursprünglich vorgesehene Maß zu begrenzen. Mit dem Ende des Jahres 2011 muss die Doppelbelastung der Apotheken in Deutschland ein Ende haben, die Anhebung des Apothekenabschlages auf das Jahr 2011 begrenzt werden. Als Ausgangsbasis für den zu verhandelnden Abschlag muss das Ergebnis der Selbstverwaltung gelten, das ins Gesetz gehört: 1,75 Euro, und zwar bereits ab 2012.

Auch die Großhandelsvergütung wird mit Beginn des Jahres 2012 erneut umgestellt. Für den Großhandel ist die Umstellung einkommensneutral. Für die Apotheken jedoch geht die Belastungskaskade dann weiter. Viele Großhandelsvertreter haben sich angekündigt und es ist anzunehmen, dass sie nur ein Ziel verfolgen: die bereits vereinbarten Konditionen noch mehr nach unten zu drücken.

Vor dem Hintergrund dieser Belastungen und mit Blick auf die Vergütungsentwicklung seit 2004 sollte die Apothekenhonorierung dringend nachjustiert werden. Je nach Kassenlage verändere die Politik den Apothekenabschlag willkürlich. Seit 2004 wurde er allein fünf Mal angepasst und für 2009 auch beklagt. Das führe zu zusätzlichen Kosten und im Ergebnis wissen die Apotheker bis heute nicht, was sie für ihre Leistungen aus den Jahren 2009 und 2010 an Honorar erhalten! "Man muss sich das mal vorstellen: Während die Ärzte in der Regel nicht wissen, wie viel sie mit der nächsten Reform mehr bekommen, wissen wir Apotheker nicht, wie viel wir weniger bekommen." Dabei ist die apothekerliche Leistungsvergütung seit der Einführung des Kombimodells im Jahr 2004 unverändert.

Wolf fordert eine angemessene Honorierung. Nicht mehr, und nicht weniger. Eine Honorierung, die es erlaubt, Patienten qualifiziert zu versorgen – ohne Kreditsorgen, ohne Existenzängste und mit den besten Mitarbeitern. Die Leistungsvergütung der Apotheker müsse dringend an die realen Aufwands- und Kostensteigerungen angepasst und zudem zukunftsfest dynamisiert werden. Das ist zwingend erforderlich, wenn die freiberuflichen Apotheker dem gesetzlichen Versorgungsauftrag aus dem Apothekengesetz auch in Zukunft nachkommen sollen.

Denn die pharmazeutische Versorgung der Patienten und rund 150.000 wohnortnahe mittelständische Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Jetzt sei es höchste Zeit zu handeln – denn es ist einfacher vorzubeugen, als entstandene Löcher zu stopfen. Es ist dringend notwendig und aus finanzieller Sicht sinnvoll, pharmazeutische Versorgungsstrukturen zu stützen, bevor sich Versorgungsdefizite vermehren – und hohe Mehrausgaben resultieren. Im AMNOG gibt es bedauerlicherweise nur wenige Maßnahmen mit echtem pharmazeutischem Hintergrund. Sie wurden allesamt einzig mit Blick auf die Finanzsituation der Krankenkassen getroffen. Die Umstellung der Packungsgrößenverordnung auf Bandbreiten hat allein den Zweck, dass mehr Packungen durch Rabattarzneimittel ausgetauscht werden müssen. Für das Jahr 2013 war die Umstellung auf Reichdauerorientierung vorgesehen. Jetzt, so Wolf, will sie angeblich keiner mehr. Aber entgegen aller Äußerungen habe bislang niemand diese ungeliebte Regelung gestrichen. Hier müsse man extrem deutlich werden: wenn hier nicht gehandelt wird, dann kommt doch noch die "Jumbopackungsregelung". Und dann bricht den Apothekern weiteres Honorar weg.

"Wer nur noch auf die Kassenfinanzen achtet, sorgt dafür, dass wir reiche Krankenkassen bekommen und kranke Menschen behalten!"

Heinz-Günter Wolf, Präsident ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

Gute Konzepte aufnehmen, die falschen liegen lassen

Als einen großen Schritt in die richtige Richtung sieht Wolf das ABDA/KBV-Konzept. Mit diesem haben Ärzte und Apotheker gemeinsam ein stimmiges Versorgungskonzept vorgelegt. Es verbessert die Rahmenbedingungen für die Versorger. Es hilft, überflüssige Bürokratie abzubauen. Vor allem aber verbessert das Konzept die Versorgung für die Patienten. Dabei können über zwei Milliarden Euro für die Krankenkassen eingespart werden – durch Versorgungsverbesserung. Das sei ein wirklich innovativer Ansatz, "ein echter Schritt nach vorn". Doch anstatt das Konzept aufzugreifen, spielt die Politik auf Zeit und fordert ein Modellvorhaben nur in einer KV-Region. Ausprobieren, nachjustieren und Roll-Out sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. "Aber wir müssen aufpassen, dass unser gutes Konzept dabei nicht zerstückelt wird." Das ABDA/KBV-Modell basiert auf dem gesetzlich fixierten Leistungsanspruch aller Versicherten auf gemeinsame Leistungen von Arzt und Apotheker. Das Modell funktioniert nur komplett, mit allen drei Bestandteilen: Medikationsmanagement, gestützt durch eine Wirkstoffverordnung und einen bundesweiten Medikationskatalog. Das ABDA/KBV-Konzept gehört als Kernstück mitten ins Herz des Versorgungsstrukturgesetzes, so Wolfs klare Forderung.

Ganz anders das Thema Pick-up-Stellen. Nach anhaltender Tatenlosigkeit versuche die Politik nun, den Apothekern erneut den Schwarzen Peter zuzuschieben. Wolf empörte sich, dass die Apothekerschaft in der Vergangenheit Vorschläge gemacht habe, wie die Ankündigungen des schwarz-gelben Koalitionsvertrages umgesetzt werden können, die Politik aber alle diese Vorschläge abgelehnt hat. Jetzt fordert die Politik einen neuen Vorschlag, den sie auch bekommen soll. Durch Formulierungshilfe zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz fordert die ABDA das generelle Verbot der Rezeptsammlung und der Patientenversorgung durch Pick-up-Stellen. Kombiniert mit einem Erlaubnisvorbehalt nach gründlicher Bedarfsprüfung und Genehmigung durch die Apothekerkammern.

Weiterhin Verantwortung übernehmen

Pharmazeutische Versorgung und Gemeinwohl kann man nicht trennen. Die Reform der Apothekenbetriebsordnung braucht deshalb besondere Sorgfalt. Es dürfen keine Strukturen gefördert werden, die die Apothekenhonorierung aufspaltet in Vollversorger und Light-Versorger. Nur die sichere und hochwertige Vollversorgung darf die Richtschnur der Apothekenbetriebsordnung sein. Der deutsche Standard der Sicherheit und Versorgung mit Arzneimitteln ist weltweit anerkannt. Dieser heutige Standard muss Verpflichtung für die Zukunft sein. Man könne es nicht zulassen, dass der Standard der Apotheken abgesenkt und ausgehöhlt wird.

Wolf machte klar: "Wir wollen Verantwortung auch weiterhin übernehmen." Wenn die Politik aber kontinuierlich neue bürokratische Hürden aufstellt und zusätzlich noch Gelder aus der pharmazeutischen Versorgung rausschneidet, dann kann diese Verantwortung nicht mehr vernünftig getragen werden! In diesen Zeiten mit ihren turbulenten politischen Verhältnissen bezeichnete es Wolf als extrem wichtig, dass sich die Apotheker nicht auseinanderdividieren lassen. Gerade jetzt sollten Apotheker in der Offizin, im Krankenhaus, in der Wissenschaft, in den Kammern und in den Verbänden noch enger zusammenstehen und gemeinsam Position beziehen. "Nur zusammen können wir uns Gehör verschaffen und Politik verändern." Man müsse "zu Treibern der Politik werden". Als unabhängiger Heilberuf und als Wähler müsse man dafür sorgen, dass die Politik wieder erkennt, was pharmazeutische Versorgung in Deutschland wert ist.


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Klaus G. Brauer

Kommentar: Wild entschlossen


Wer da meint, Apotheker und Apothekerorganisationen würden immer nur bis zur nächsten Ecke denken – der wurde in Düsseldorf eines Besseren belehrt. Bei den bekanntgewordenen Vorstellungen zur Apothekenbetriebsordnung kann man mit den Apothekern über vieles reden, über einen Komplex allerdings nicht: Die in der ABDA zusammengeschlossenen Kammern und Verbände lassen sich nicht blenden von vermeintlichen Erleichterungen, Deregulierungen, Entbürokratisierungen, die sich bei genauerem Hinsehen als vergiftete Morgengaben entpuppen.

Das gilt z. B. für die Vorstellung, dass es reicht, wenn in Filialverbünden einer der Betriebe über eine Rezeptur und ein Labor verfügt. Die Folgen einer solchen Regelung wären inakzeptabel. Bei maximaler Filialisierung müsste z. B. nur noch jede vierte Apotheke eine Vollapotheke sein. Nur noch in jeder vierten Apotheke wäre die notwendige Ausstattung mit Geräten, Grundstoffen und Literatur verfügbar. Im Umkehrschluss heißt das: In drei Viertel der Apotheken verkümmert das notwendige Know-how, um Rezepturen und Defekturen anfertigen und die dazu notwendigen Prüfungen durchführen zu können. Die daraus folgende Kompetenzabschmelzung und Deprofessionalisierung der in Filialverbünden tätigen pharmazeutischen Mitarbeiter, Filial- und Apothekenleiter ist gesundheits- und apothekenpolitisch hoch gefährlich. Es könnte schnell die Idee aufkommen, für die Schmalspurapotheken seien doch auch schmalspurausgebildete Mitarbeiter und Leiter notwendig. Ob man bei Apotheken ohne Rezeptur und Labor nicht auch die Raumanforderungen senken könne, wäre die nächste Frage. Zu Ende gedacht stünden bei maximaler Filialisierung, wenn in jedem Verbund nur noch eine Apotheke als Vollapotheke existiert, nur noch ein Viertel der Apothekenstandorte für Notdienste zur Verfügung. Das Netz "notdienstfähiger" Apotheken würde massiv ausgedünnt – unzumutbar für die Bevölkerung.

Aus all dem folgt: Die Aufgabe einheitlicher Mindeststandards für alle Apotheken ist ein Irrweg. Mit der Etablierung von Schmalspurapotheken schöbe das BMG unser Apothekenwesen auf eine schiefe Bahn. Sie führt von den Vollapotheken über Light-Apotheken zu Super-Light-Apotheken, von denen es dann nur noch ein kleiner Schritt ist zu Pick-up-Stellen erst im Drogerie-Markt, am Ende auch in der Tankstelle. Das wollen und akzeptieren die Apotheker in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht! Es ist zu hoffen, dass Ministerialrat Dr. Erhardt Schmidt, der Leiter der Abteilung Arzneimittel im BMG, selbst Teilnehmer bei einer der Podiumsdiskussionen auf dem Apothekertag, diese klare Botschaft aus Düsseldorf mit nach Hause, ins Ministerium genommen hat. Das Ministerium sollte sich nicht bezirzen lassen durch einzelne Stimmen, die spezifische Interessen vertreten. Franchise-Kooperationsbetreiber zum Beispiel, die für später schon von Apothekenketten träumen, könnten Schmalspurapotheken sicher sehr viel abgewinnen. Wir nicht!


Klaus G. Brauer


Christian Rotta

Kommentar: Das Pick-up-Fiasko


Das Pick-up-Fiasko hat eine lange Geschichte. Es ist eine Geschichte von Irreführungen und Fehleinschätzungen, von Täuschungen und Enttäuschungen. Am Anfang stand ein Wort aus Leipzig: Ohne Not und unter Hinweis auf die 21. Auflage des Brockhaus betätigte sich das Bundesverwaltungsgericht etymologisch-rechtsschöpferisch und kreierte das neue Institut des "weiten Versandhandelsbegriffs". Damit schufen fünf Senatsrichter sehenden Auges die rechtlichen Voraussetzungen, um bewährte Strukturen in der Arzneimittelversorgung erodieren zu lassen. Folgerichtig etablierten sich rasch apothekenfremde Arzneimittel-Pick-up-Stellen in Blumenläden, an Tankstellen, in Bäckereien, an Kiosken und beim Metzger um die Ecke.

Was tun? Wie den drohenden Flächenbrand eindämmen? Auf den Gesetzgeber warten, der bei seiner blauäugigen Einführung des Versandhandels die Pick-up-Ausfransungen wohl tatsächlich nicht bedacht hatte?

Die ABDA setzte alles auf eine Karte: Insbesondere die Juristen in der Jägerstraße sahen sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass Pick-up aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen allein (!) mit einem generellen Versandhandelsverbots bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Einhalt geboten werden könne (ein Verbot des lukrativen Pick-up-Geschäfts bei nicht-verschreibungspflichtigen Medikamenten musste dabei freilich ausgeblendet bleiben). Aber schon bald stellte sich heraus, dass sich die ABDA mit ihrer Alles-oder-nichts-Strategie beim Versand von Rx-Arzneimitteln ins Abseits manövriert hatte. Mit der mächtigen Versandlobby wollte sich die Politik – allen Apotheker(sonn)tagsreden zum Trotz – nicht anlegen. Weder bei CDU/CSU und FDP noch bei SPD und Grünen stießen Wolf & Co. auf Gehör. Die schließlich dann doch noch vorgetragene ABDA-Forderung nach einem "hilfsweisen" Verbot von Pick-up-Stellen konnte nicht mehr so recht überzeugen. Zu leichtfertig hatten die ABDA-Juristen in der vagen Hoffnung eines Versandhandelsverbots ihr juristisches Pulver verschossen. Immerhin: In ihrer Koalitionsvereinbarung nach der Bundestagswahl 2009 verpflichteten sich Union und Liberale, die rechtlichen Voraussetzungen für ein Pick-up-Verbot zu schaffen. Doch auch daraus wurde nichts: Wie schon unter der Großen Koalition legten sich das FDP-Justizministerium und das Union-geführte Innenministerium quer und verhinderten einen Gesetzentwurf zum Pick-up-Verbot, weil einem solchen Verbot, wie es dramatisch hieß, die Verfassungswidrigkeit "auf die Stirn geschrieben sei". In der Folgezeit ging das Pick-up-Treiben munter weiter – jetzt sogar unter Beteiligung einiger "innovativer" Kooperations-apotheken. Heute herrscht in der Pick-up-Frage endgültig die normative Kraft des Faktischen. Schlecker, dm und weitere "Marktplayer" gerieren sich in ihrer Werbung als Quasi-apotheken – was von Anfang an auch der tiefere Sinn der Drogerie/Apotheken-Pick-ups war. Und alle schauen tatenlos zu.

Ihrer politischen Verantwortung entziehen sich die Regierungsparteien inzwischen mit der - unter demokratietheoretischen Aspekten durchaus frivolen - Aufforderung an die ABDA, dem Ministerium doch endlich einen Gesetzestext für ein rechtlich wasserdichtes Pick-up-Verbot vorzulegen. Geht’s noch? Sollen jetzt tatsächlich und offiziell Gesetzestexte von Verbänden geschrieben werden? Dass im Übrigen öffentlich vorgetragene Vorschläge für ein verfassungsfestes Pick-up-Verbot bereits seit Jahren vorliegen (wenn auch nicht von der ABDA, sondern – u. a. in der DAZ veröffentlicht – von einer Reihe kompetenter Arzneimittel- und Apothekenrechtler), kann den Verantwortlichen im BMG dabei eigentlich nicht entgangen sein. Allerdings gab es dazu bislang in der Tat keinerlei Reaktionen – nicht aus den Ministerien, aber auch nicht von der ABDA. Das "Wir wollen ja, aber können nicht" klingt inzwischen schal. Es wird vertröstet, getrickst, gemauert und geschwiegen. Dabei ist – weit über Pick-up hinaus – bemerkenswert, mit welcher Chuzpe sich Union und Liberale dabei ihrer politischen Eigenverantwortung entziehen und sich dabei gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Und ein wohl einmaliger Vorgang ist es, dass eine Regierung nachträglich Teile ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung für verfassungswidrig erklärt. Das gab’s noch nie.

Schöne neue Welt der Politik! Seriös ist anders.


Christian Rotta


Klaus G. Brauer

Kommentar: Glaubwürdig bleiben!


Nichts gegen die Mitglieder im Verein für deutliche Worte – manchmal muss sicher ein dicker Pinsel her, um wahrgenommen zu werden. Übertreibungen, die unbestrittenen Zahlen wiederholt nicht standhalten, sind allerdings eher kontraproduktiv. Sie stumpfen ab, wo man etwas erreichen möchte.

Das gilt z. B. für die Rede vom drohenden Apothekensterben. Der allzu großzügige Gebrauch dieses Begriffs in der Vergangenheit, bis in die Gegenwart, hat unserer Glaubwürdigkeit geschadet. Denn die Zahlen, von der ABDA selbst veröffentlicht, belegen bislang allenfalls einen sehr leichten Trend zur mehr Schließungen (370 in 2010 nach 352 in 2009) und weniger Neueröffnungen (263 in 2010 nach 298 in 2009). Bei der Zahl der Apotheken (inkl. Filial-Betriebsstätten) war Ende 2008 ein Spitzenwert von 21.602 Apotheken zu registrieren, er sank im Folgejahr um 54 (- 0,25%), danach um 107 Apotheken (- 0,5%). Im laufenden Jahr ist saldiert (Schließungen gegen Neueröffnungen) mit einem weiteren Rückgang um ca. - 0,8 % (gut 180 Apotheken) zu rechnen.

Hier schon von "Apothekensterben" zu sprechen, lockt Politikern verständlicherweise allenfalls ein müdes Lächeln ins Gesicht – zumal die Zahl der Arbeitsplätze in Apotheken seit 2004 jedes Jahr weiter gestiegen ist. Im Saldo sei das alles so dramatisch (noch) nicht – konzedierte auf der Pressekonferenz zum Apothekertag ABDA-Geschäftsführer Karl-Heinz Resch auf Nachfrage einer Journalistin von dpa. In der Tat: Die bisherigen Zahlen zum "Apothekensterben" rechtfertigen nicht, der Koalition (wie geschehen) vorzuwerfen, sie gehe mit der "schwarz-gelben Abrissbirne" gegen die Apotheken vor.

Es gibt trotzdem gute Gründe zu behaupten, dass die Apotheken in eine bedrohliche Situation hineinschlittern.

Das ist zunächst die von einigen so befürchtete, aber langsam bedrohliche Tatsache, dass die Apotheken seit 2004, also seit Einführung ihres neuen Honorierungssystems (8,10 Euro + 3% auf den AEK statt degressiv preisabhängig) auf eine Dynamisierung warten. Die Entwicklung ihrer Kosten und ihres Aufwandes bleiben so unberücksichtigt. Die Senkung der Großhandelsmarge, das Verbot der Naturalrabatte und die Beschränkung von Barrabatten verhinderten sonst vielleicht mögliche Teilkompensationen. Das GKV-Änderungsgesetz mit Preisstopp und Erhöhung gesetzlicher Rabatte, die die Industrie den Krankenkassen zu gewähren haben, verführte die Industrie zu Versuchen, ihre Belastungen auf Großhandel und Apotheken abzuwälzen.

Dazu kam dann noch das AMNOG: Durch Erhöhung des von den Apotheken an die Krankenkassen abzuführenden Kassenrabattes von 1,75 Euro auf 2,05 Euro wurden die Apotheken mit 200 Mio. Euro direkt belastet. Die zusätzliche Einschränkung der Großhandelsmarge um 200 Mio. Euro, zusammen mit den einschneidenden Maßnahmen der Pharmazeutischen Industrie, treibt wichtige Großhändler in rote Zahlen (oder ganz in die Nähe davon) – dies zeigen schon vorliegende Geschäftsberichte. Besonders heftig müssen darauf die reagieren, die zuvor bei den Kosten nicht aufgepasst oder sich im Kampf um Kunden und Kooperationen schlicht verhoben haben. Trotz überall massiver Kosteneinsparungsversuche und trotz des Wettbewerbs der Großhandelsunternehmen untereinander führt dies indirekt zu zusätzlichen Belastungen der Apotheke, die als letztes Glied in der Kette keine Möglichkeit haben, Belastungen weiterzugeben.

Das ist unerfreulich, nicht selten fatal und immer real – auch ohne dass das behauptete Apothekensterben in den Statistiken schon nachweisbar wäre. Apotheken sterben langsam – und nicht selten erst nach einer langen Phase leistungszehrenden Niedergangs. Manchmal verhindern langfristige Mietverträge ein eigentlich schon notwendiges Aussteigen. Gefährdete Apothekerinnen und Apotheker können sich oft erst nach Jahren der Selbstausbeutung durchringen, einen Schlussstrich ins Auge zu fassen. Der bleibt schwierig genug. Denn der Ausstieg über einen Konkurs der Apotheke ist erst möglich, wenn auch das Privatvermögen aufgebraucht ist.

Vor diesem Hintergrund sind die jetzt glasklar vorgetragenen Forderungen der ABDA nicht nur gerechtfertigt, sie sind überfällig: Verlangt wird eine Dynamisierung der packungsbezogenen Honorierung und eine Beschränkung des gesetzlich auf 2,05 Euro erhöhten Kassenrabattes auf das Jahr 2011. Danach müsse wieder eine Verhandlungslösung her, mit 1,75 Euro als Ausgangsbasis. Ferner wird verlangt, Ausgleich zu schaffen für die chronische Kostenunterdeckung beim Nacht- und Notdienst (veranschlagt mit 192 Mio. Euro), bei der Herstellung von Rezepturen (137 Mio. Euro) und der Abgabe von Betäubungsmitteln (19 Mio. Euro). Kundige Beobachter wissen allerdings, dass das es nie ohne Risiken ist, die Arzneimittelpreisverordnung in die Hand zu nehmen.


Klaus G. Brauer

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