Deutscher Apothekertag 2011

Mit klarem Leitbild gegen große Herausforderungen

Im Bericht des Hauptgeschäftsführers ging Dr. Sebastian Schmitz naturgemäß auf die größten Aufgaben der ABDA im zurückliegenden Berichtsjahr ein – Rabattverträge, Kassenabschlag, das noch immer nicht realisierte Pick-up-Verbot und diverse fachliche Projekte. Da die grundlegenden Probleme ungelöst sind, markieren diese Themen zugleich die künftigen Aufgaben. Damit bot der Geschäftsbericht auch einen Überblick über die berufspolitischen Baustellen der Zukunft. Als Grundlage für die bisherige und künftige Arbeit betonte Schmitz die Orientierung am bewährten Leitbild der Apotheker.
Dr. Sebastian Schmitz Wie in kaum einem anderen Fall wird versucht, die Apotheker beim Thema Pick up auseinanderzubringen.

In einer Gesellschaft, die zunehmend von Verunsicherung geprägt sei, sieht Schmitz keinen Grund für eine entsprechende Verunsicherung über Werte und Ziele der Apotheker. Das klassische Leitbild vom "Apotheker in seiner Apotheke" beschreibe weiterhin die Strukturelemente des Apothekensystems mit inhabergeführten Apotheken unter eigenverantwortlicher Leitung, die durch das Fremd- und Mehrbesitzverbot geschützt sind. Dies werde durch das Prinzip des Apothekers als "freier Beruf" ergänzt. Dieses klare Wertesystem sei eine Vorgabe für die berufspolitische Arbeit, befreie aber nicht von der Notwendigkeit, das Berufsbild laufend zu verfeinern und anzupassen.

Den Vorstellungen des Leitbildes stünden allerdings die bürokratischen Hindernisse in der Alltagsarbeit und die "unter dem Strich" nicht ausreichende Vergütung gegenüber. Doch "wir werden diese Missstände nur beseitigen können, wenn wir der Politik ein klares Bild von dem besonderen Nutzen der apothekerlichen Leistung vermitteln können", erklärte Schmitz. "Gefragt sind nicht formale Strukturen und hehre Prinzipien, sondern eine erfahrbare Leistung: die Garantie einer sicheren Arzneimitteltherapie durch unabhängige, qualifizierte Beratung", so Schmitz – dies sei das Alleinstellungsmerkmal der Apotheker.

Rabattverträge verträglich machen

Ein großes Hindernis für die intensivere Beschäftigung mit den Patienten sei der bürokratische Aufwand bei der Rezeptbelieferung, an allererster Stelle dieser Zeitfresser stünden die Rabattverträge. Diese hätten sich allerdings so fest etabliert, dass sie sich nicht mehr ersatzlos "in Luft auflösen" würden. Schmitz erinnerte an das von der ABDA vielfach propagierte Garantiepreismodell, das den Rabattverträgen bei nahezu gleichen Einsparmöglichkeiten überlegen sei. Die ABDA müsse aber zur Kenntnis nehmen, dass die Politik dennoch nicht auf die Rabattverträge verzichten wolle und nicht bereit sei, die Risiken eines Systemwechsels in Kauf zu nehmen. Daher gelte es nun, die "Reibungsverluste" aus den Rabattverträgen zu minimieren. In diesem Zusammenhang kritisierte Schmitz "eine große Ersatzkasse", die in einer Patientenbroschüre geraten hatte, auf dem verordneten Arzneimittel zu bestehen. "In den Führungsetagen Rabattverträge abzuschließen und in den Geschäftsstellen der Krankenkassen die daraus resultierenden Probleme den Apotheken zuzuschieben, ist wahrlich kein guter Stil", beklagte Schmitz, erklärte aber später, dass die kritisierte Broschüre inzwischen zurückgezogen sei.

Mit den Klärungen zur Umsetzung der Rabattverträge im AMNOG und im Rahmenvertrag sei in einzelnen Punkten Rechtsklarheit geschaffen, aber das Generalproblem der Rabattverträge nicht gelöst worden. "Die Rabattverträge zwingen zur Fixierung auf das Produkt", konstatierte Schmitz. Das sei das Gegenteil von dem, was die Apotheker wollten: "die Hinwendung zum Patienten und die Lösung seiner Probleme, nicht der Probleme der Krankenkassen", so Schmitz. Wenn die Regierung an den Rabattverträgen festhalten wolle, müsse sie auch den Aufwand für die Abwicklung angemessen honorieren, sodass Apotheken genügend Personal für die patientenzentrierte Arzneimittelversorgung unter Rabattvertragsbedingungen finanzieren könnten.

"Man kann nur treffen, wenn man das Ziel klar vor Augen hat."

ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz

Mangelnde und unsichere Vergütung

Ein sinnvolles Instrument für eine solche Honorierung sei die Anpassung des Apothekenabschlages. Die Schiedsstelle habe einen Mehraufwand der Apotheken von 300 Millionen Euro anerkannt. "Was aber in der Folge Krankenkassen und Politik aus dieser Regelung gemacht haben, verkehrt den Gedanken der Anpassungsklausel geradezu in sein Gegenteil", so Schmitz. Er erinnerte an das lange, weiterhin laufende Verfahren zur Ermittlung der Kassenabschläge für 2009 und 2010. Leider habe das Sozialgericht die Anpassungsklausel als ein Instrument zur Deckelung der Einnahmen der Apotheken missverstanden. Nun müssten das Landessozialgericht und anschließend das Bundessozialgericht entscheiden. Doch Schmitz fragte: "Was ist das für eine Vergütungsanpassung, die jährlich einmal auf dem Papier erfolgt, aber keine Sicherheit bietet?" Viele Apotheker würden diese Anpassung wohl nicht mehr während ihres Arbeitslebens erleben. Zudem fragte Schmitz: "Was ist das für eine Politik, die erst auf Verhandlungslösungen schwört, sich dann weigert, die notwendige Rechtssicherheit für erzielte Verhandlungslösungen zu bieten, für zwei weitere Jahre 2012 und 2013 dann die Verhandlungslösung wieder unterbindet, um sie ab dem Jahr 2013 erneut wieder einzufordern?" Dagegen blieben die Apotheker auf einem geraden Weg: "Wir bleiben dabei, dass einem Mehr an Leistung auch ein Mehr an Vergütung folgen muss", so Schmitz.

Ein weiteres Hindernis für mehr Patientenorientierung sei die neue Packungsgrößenverordnung. Sie produziere einen völlig unnötigen Zwang, sich mit den Produkten statt mit den Problemen des Patienten zu beschäftigen. Alle Betroffenen seien in der Ablehnung einig und die Politik habe die Rücknahme angekündigt, dies aber immer noch nicht umgesetzt.

Warten auf Pick-up-Verbot

Zudem beklagte Schmitz, dass die Bundesregierung es noch immer nicht geschafft habe, "ihrer im Koalitionsvertrag niedergelegten Erkenntnis, dass die Aushändigung von Arzneimitteln über beliebige Pick-up-Stellen schädlich ist, konkrete Taten folgen zu lassen". Die ABDA habe inzwischen mehrere gut begründete und umsetzbare Lösungsvorschläge vorgelegt und erwarte nun, dass von der Politik "Nägel mit Köpfen" gemacht würden. Dies sei nun gerade von denen gefordert, die sich sonst fürchten würden, Vorschläge der Interessenvertreter "eins zu eins" zu übernehmen. Wie in kaum einem anderen Fall werde versucht, die Apotheker beim Thema Pick up auseinanderzubringen, konstatierte Schmitz und appellierte an die Apotheker: "Lassen Sie das nicht zu!" Dazu führte Schmitz aus: "Wenn Inhaber öffentlicher Apotheken auf die Idee kommen, ihre Apotheken als Aushändigungsstelle für Arzneimittel ausländischer Versandapotheken zu betreiben, dann frage ich mich, welches Selbstverständnis sie von ihrer eigenen Arbeit haben." Sie würden dauerhaften Erfolg für höchstens kurzfristigen Ertrag opfern und die Glaubwürdigkeit des ganzen Berufsstandes riskieren, meinte Schmitz. Daher werde die ABDA gemeinsam mit den Mitgliedsorganisationen eine gerichtliche Überprüfung dieses Geschäftsmodells herbeiführen.

Positionierung zur Apothekenbetriebsordnung

Zur erwarteten neuen Apothekenbetriebsordnung verwies Schmitz auf den inoffiziellen Arbeitsentwurf und das Positionspapier. In einigen Grundsatzfragen vertrete die ABDA dazu diametral unterschiedliche Auffassungen. Schmitz nannte die angedachte Ungleichbehandlung innerhalb der Filialverbünde, die Öffnung der Rezeptsammlung und die Anforderungen an die Arzneimittelherstellung. In anderen Punkten bestehe grundsätzliche Einigkeit über das Ziel, aber Dissens über die richtige Umsetzung, beispielsweise zur Beratung, zur Vertraulichkeit und zur Nachrangigkeit des Nebensortimentes. Die Arzneimittelversorgung müsse der Schwerpunkt der Tätigkeiten bleiben, doch schließe dies das Nebensortiment nicht aus.

Vielfältige fachliche Projekte

Im Zusammenhang mit dem Qualitätswettbewerb berichtete Schmitz über die Aus-, Fort- und Weiterbildung, die zu den Grundaufgaben der ABDA und ihrer Mitgliedsorganisationen gehöre. Im Jahr 2010 hätten die Kammern 2557 Fortbildungsveranstaltungen mit 121.000 Teilnehmern durchgeführt und rund 7000 Veranstaltungen externer Anbieter akkreditiert. Außerdem verwies Schmitz auf die regelmäßig aktualisierten Leitlinien der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung, die zu den Top-Downloads auf der ABDA-Homepage gehören würden. Als Projekt für die patientenorientierte Pharmazie stellte Schmitz die EDV-Unterstützung für eine strukturierte Patientenbetreuung vor. Es werde ein Compliance-Tool erarbeitet, das in die Apothekensoftware eingebunden werden soll. Eine vorläufige Version werde derzeit in der Praxis getestet.

Als weitere fachliche Projekte verwies Schmitz auf die Mitwirkung der ABDA am Aktionsplan des Bundesgesundheitsministeriums zur Arzneimitteltherapiesicherheit, das Modellprojekt zum ambulanten Benzodiazepin-Entzug, die geplante Studie zur pharmazeutischen Betreuung bei chronischer Herzinsuffizienz und den Leistungskatalog (LeiKa) für apothekerliche, gesundheitsbezogene Dienstleistungen. Solche Maßnahmen würden keine sofortige Wirkung entfalten. Doch sie seien Investitionen in die Zukunft und die Apotheker könnten deshalb nicht auf sie verzichten.

Im Zusammenhang mit der EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen habe die ABDA sehr frühzeitig die Weichen gestellt, um die Umsetzung des Authentifizierungsverfahrens zur Kontrolle von Arzneimitteln bei der Abgabe in der Apotheke in die richtigen Bahnen zu lenken, erklärte Schmitz. Im Einklang mit den anderen zuständigen Verbänden werde das Gemeinschaftsunternehmen "securPharm" mit der Erprobung des Modells beginnen. Das Verfahren müsse pharmazeutisch, wirtschaftlich, rechtlich, praktisch und datentechnisch intensiv geprüft werden, außerdem müssten die Schritte national und europäisch abgestimmt werden. Daher seien innerhalb der ABDA nahezu alle Geschäftsbereiche beteiligt. Der bisherige Zwischenerfolg sei daher auch ein Fingerzeig für die Arbeitseffizienz der ABDA, argumentierte Schmitz. In diesem Zusammenhang verwies er auf die vielfältigen Routineaufgaben und sonstigen Herausforderungen für die ABDA, die in einem Geschäftsbericht nicht detailliert angesprochen werden könnten.

"Und schließlich wird aus dem Krankenkassensystem ein krankes Kassensystem, wenn es sich nicht mehr in der Lage sieht, Leistungen zu finanzieren, die den Versicherten langfristig helfen."

ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz zur Zurückhaltung einiger Krankenkassen gegenüber dem ABDA/KBV-Modell

Viel Arbeit für das ABDA/KBV-Modell

Einen großen Teil ihrer Arbeitskraft habe die ABDA in die Entwicklung und Durchsetzung des ABDA/KBV-Modells investiert. "Wir wollen gemeinsam mit den Ärzten die Leistungsfähigkeit der Apothekerinnen und Apotheker nutzen, um den Erfolg der Arzneimitteltherapie zu steigern", so Schmitz. Damit stehe das Konzept im klaren Gleichklang zur zentralen Erwartung der Gesellschaft an die Apotheker, größtmöglichen Nutzen und Sicherheit bei der Arzneimitteltherapie zu bieten. Daher werde das Konzept in nahezu allen Gesprächen begrüßt. Es bestünden ausgezeichnete Chancen, das Konzept im GKV-Versorgungsstrukturgesetz zu etablieren. Für Schmitz ist es "alternativlos" trotz der Kritik von Teilen der pharmazeutischen Industrie, der Hausärzteschaft und von Krankenkassen. Die Gesprächspartner der Apotheker täten sich teilweise schwer mit langfristigem Denken. "Wenn Zusatzbeiträge drohen, hört die Zahlungsbereitschaft der Krankenkassen auf", so Schmitz. Doch die apothekerlichen Leistungen würden mit ihrem Nutzen oft davon leben, dass sie über einen kurzfristigen Horizont hinausgehen. Deshalb müsse langfristig gedacht werden.

Öffentlichkeitsarbeit der ABDA

Zur Öffentlichkeitsarbeit der ABDA verwies Schmitz auf rund 200 Pressemitteilungen in diesem Jahr, die Präsenz bei mehr als 30 Parteitagen auf Bundes- und Landesebene sowie zahlreiche Hintergrundgespräche. Wie die ganze Arbeit stehe auch die Öffentlichkeitsarbeit im Wettbewerb. Dies zeige sich insbesondere beim ABDA/KBV-Modell. Krankenkassen würden mit internationalen Handelskonzernen pharmazeutische Betreuung aus der Ferne anbieten, Hausärzte wollten den "Medikations-Check" in Hausarztverträgen verankern und Versandapotheken würden auf ihre Beratungsleistungen verweisen, so Schmitz. Doch die Apotheker bräuchten diesen Wettbewerb nicht zu fürchten. "Eine bessere Kombination von fachlicher Kompetenz und Unabhängigkeit, schneller Erreichbarkeit und Wissen um die individuelle Situation des Patienten als in der öffentlichen Apotheke gibt es an keiner anderen Stelle", erklärte Schmitz. Diese Alleinstellungsmerkmale müssten aber auch deutlich "rüberkommen".

Die Tatsache, dass die Apotheken über die Qualität und nicht über den Preis im Wettbewerb zueinander stehen, habe sogar der Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap, im Januar in der "Welt am Sonntag" anerkannt. Dennoch habe die Monopolkommission ihre alte Forderung wiederholt, bei Apotheken zu neuen Strukturen zu gelangen. Die Bundesregierung habe dies zurückgewiesen. Doch ganz aktuell habe auch der SPD-Vorstand für den Parteitag im Dezember einen Leitantrag beschlossen, der eine Liberalisierung des "Arzneimittelvertriebs" vorsehe. In dieser fortgesetzten Diskussion müssten die Apotheker deutlich machen, dass Unabhängigkeit und Eigenverantwortung des Apothekers nicht Selbstzweck seien, sondern dem Verbraucher dienen, forderte Schmitz. Schließlich appellierte der Hauptgeschäftsführer an die Apotheker, den Weg der ABDA auch selbst mitzugehen. Die Aufforderungen an die ABDA in den Apothekertagsanträgen sollten die Apotheker daher zumindest gedanklich durch die Worte "Wir wollen gemeinsam ..." ersetzen.

Diskussion und Anträge

Bei der Diskussion des Geschäftsberichtes würdigte ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt, dass Schmitz die inhaltliche Klammer der ABDA-Aufgaben gut dargestellt habe. Lutz Engelen, Präsident der Apothekerkammer Nordrhein, gab zu bedenken, dass die Politik möglicherweise durchaus langfristig denke. Ein Fernziel der Politik könnte sein, den ersten Gesundheitsmarkt durch Erträge aus dem zweiten, von den Patienten direkt bezahlten Gesundheitsmarkt finanzieren zu wollen.

Die beiden Anträge, die dem Geschäftsbericht zugeordnet waren, wurden von der Hauptversammlung angenommen. Ohne Gegenstimme wurde beschlossen, das gemeinsame "Leitbild für öffentliche Apotheken" zu aktualisieren. Dabei demonstrierten die Delegierten ihre Übereinstimmung mit den ABDA-Positionen, denn es fand keine Diskussion über inhaltliche Details des Leitbildes statt. Der Antrag, das Leistungsspektrum der öffentlichen Apotheken permanent weiterzuentwickeln und die Kompetenzen der Apotheker für die Patienten besser nutzbar zu machen, wurde zwar in einer Wortmeldung als Selbstverständlichkeit kritisiert, aber mit nur wenigen Gegenstimmen angenommen.


tmb



DAZ 2011, Nr. 41, S. 74

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