Deutscher Apothekertag 2011

Klares Signal gegen die "Apotheke light"

Unter dem Titel "Die Apotheke zwischen Fortentwicklung und Experiment" wurde im zweiten Arbeitskreis des Apothekertages über die ordnungspolitischen Aspekte der Apotheke diskutiert. Dabei nahm die erwartete neue Apothekenbetriebsordnung großen Raum ein. Diskutiert wurde nicht über Detailregelungen, sondern über die grundsätzliche Linie. Sowohl die Podiumsdiskussion als auch die anschließenden Abstimmungsergebnisse zu den Anträgen gaben ein überzeugendes Signal für die Position der ABDA gegen die "Apotheke light", für Filialen als Vollapotheken und für berufseigene Leitlinien als Qualitätsvorgabe.
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Lutz Tisch Die Apotheke ist das Instrument des Staates zur Organisation der Arzneimittelversorgung.

Zunächst umrissen Lutz Tisch, ABDA-Geschäftsführer Recht, und Dr. Christiane Eckert-Lill, ABDA-Geschäftsführerin Pharmazie, die inhaltlichen Eckpunkte des Arbeitskreises in einem gemeinsamen Vortrag. Tisch formulierte als zentrale Fragen: "Wo steht die Apotheke heute? Wie kann sie weiterentwickelt werden?" Die Apotheke sei das Instrument des Staates zur Organisation der Arzneimittelversorgung, stellte Tisch fest. Bildlich beschrieb er den Staat als Lotsen, den Apotheker als Kapitän. Wenn der Lotse an Bord sei, habe dieser das Sagen. "Das System dient dazu, den Bürger zu schützen vor Arzneimittelrisiken und vor sich selbst im Umgang mit Arzneimitteln", erklärte Tisch. Die zentrale Idee sei: "Es geht um Schutz, nicht um Convenience." Es sei zu fragen, welche Arzneimittel dem System unterworfen werden und wie mündig die Bürger sind. Mittel zur Umsetzung des Konzeptes seien die Apothekenpflicht, der Berufsvorbehalt, der institutionelle Schutz der apothekerlichen Unabhängigkeit, die Flächendeckung und die Wirtschaftlichkeit.

"Leitlinien sind weder Apothekers Leid, noch sind sie light, sondern sie sind der Stand von Wissenschaft und Technik."

Dr. Christiane Eckert-Lill, ABDA-Geschäftsführerin Pharmazie


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Dr. Christiane Eckert-Lill Arbeitsgrundlage für Rezepturen sind die Leitlinien der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung.

Pharmazeutische Inhalte der ApBetrO

Gemäß Bundesapothekerordnung und Apothekenbetriebsordnung sind dem Apotheker die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln sowie die Information und Beratung zu Arzneimitteln vorbehalten. Davon sollten im Arbeitskreis die Herstellung sowie die Information und Beratung angesprochen werden, erklärte Eckert-Lill. Die Rezeptur beschrieb sie als wichtiges Instrument der individualisierten Arzneitherapie. An die Qualität von Rezepturen sollten die gleichen Anforderungen wie an Fertigarzneimittel gestellt werden. Doch stellte Eckert-Lill infrage, dass dies auch gleiche Anforderungen an die Herstellung bedeute. Vielmehr sei der EU-GMP-Leitfaden "nicht das Maß aller Dinge". Dennoch würden die Apotheken nicht "im luftleeren Raum" arbeiten, denn ihre Arbeitsgrundlage seien die Leitlinien der Bundesapothekerkammer zur Qualitätssicherung. Eckert-Lill erwähnte besonders die Leitlinie zur Herstellung aseptischer Produkte mit zytotoxischem Potenzial. Diese nähere sich "sehr eng" an die United States Pharmacopoeia und die Vorgaben der Pharmaceutical Inspection Convention (PIC/S-Guide), sie bewege sich aber auf einem weniger hohen Abstraktionsniveau, weil sie allein auf die deutschen Strukturen bezogen sei. Mit diesen Anmerkungen spielte Eckert-Lill offensichtlich auf Bestrebungen an, strengere Regeln für die Rezeptur mit industriellen Standards bei Überprüfungen durch Aufsichtsbehörden anzuwenden oder im Rahmen der neuen Apothekenbetriebsordnung festzuschreiben.

Im Zusammenhang mit der erwarteten neuen Apothekenbetriebsordnung ging Eckert-Lill auch auf das Grußwort der Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz vom Vortag ein. Die dort angekündigte Streichung der Liste der Laborgeräte entlaste die Apotheken nicht, weil diese Investitionen bereits getätigt seien, erläuterte Eckert-Lill. Vielmehr sei dann zu fragen, an welchem Stand der Wissenschaft und Technik sich Apotheker orientieren müssten. Wenn dies das Arzneibuch sei, würden die entsprechenden Geräte einen erheblichen Kostenfaktor darstellen. Angemessener seien die alternativen Prüfvorschriften gemäß DAC, die auch Akzeptanz in regulatorischen Werken finden sollten, forderte Eckert-Lill. Auch die Streichung der Auflistung der Literatur helfe nicht weiter. Unabhängig von einer solchen Liste würden die Apotheken heute selbstverständlich schon moderne Medien nutzen.

Zur Information und Beratung verwies Eckert-Lill wieder auf die Leitlinien der Bundesapothekerkammer. Als neues Instrument verwies sie auf Trainingsboards für die teaminterne Fortbildung in Apotheken. Doch sprach sie sich gegen eine Regelung aus, den Patienten nur ein Beratungsangebot machen zu müssen, weil diese die Beratung dann auch ablehnen könnten. Die Beratung müsse sein, doch sollte kein Katalog mit zwingend abzuarbeitenden Inhalten festgelegt werden. Die Apotheken sollten die Patienten binden, aber nicht verschrecken. Besser sei eine "Freiheit in der Berufsausübung zum Wohle des Patienten", so Eckert-Lill.

"Irrwege" der Ordnungspolitik

Im Zusammenhang mit den ordnungspolitischen Vorgaben für Apotheken beklagte Tisch einige "Irrwege". So dürfe die Leistungsbereitschaft der Apotheker nicht durch zu große wirtschaftliche Zwänge konterkariert werden. Beim "Bypass des Versandhandels" bemängelte Tisch den fehlenden persönlichen Kontakt zum Patienten. Tisch konstatierte, dass trotz des angekündigten Bürokratieabbaus die Dokumentation zunehme. Mit dem Bürokratieabbau sei demnach eher der Abbau von vorgehaltenen Ausstattungen gemeint, die aber ihre Funktion hätten. Als Position der ABDA zur ordnungspolitischen Positionierung der Apotheke beschrieb Tisch, die Vollapotheke zu erhalten, den freien Heilberuf zu wahren und die Entwicklung von Qualitätsstandards unter Einbeziehung der Erfahrung des Berufsstandes zu organisieren. Doch "das geht nicht ohne vernünftige ökonomische Rahmenbedingungen" so Tisch.

Im Anschluss an den Vortrag diskutierten Tisch und Eckert-Lill auf dem Podium weiter mit

  • MinDir Dr. Erhardt Schmidt, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie des Bundesgesundheitsministeriums,

  • Dr. Klaus Kreuschner, Leiter der Arbeitsgruppe Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen im Sozialministerium von Sachsen-Anhalt,

  • Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer und der Landesapothekerkammer Hessen,

  • Jutta Rewitzer, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer, und

  • dem Moderator Dr. Albrecht Kloepfer.


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MinDir Dr. Erhardt Schmidt So viel Regulierung wie nötig, so viel Freiheit wie möglich.

Apothekenrecht in der Umsetzung

Nach Einschätzung von Schmidt sollten ordnungspolitische Eingriffe dem Grundsatz "so viel Regulierung wie nötig, so viel Freiheit wie möglich" folgen. Derzeit sieht er diese Balance weitgehend erfüllt. Bei der Normierung sollten wir uns auf sehr sensible Punkte beschränken, meinte Schmidt. Den Bezug auf Leitlinien finde er gut. Es müsse einheitliche Sicherheitsstandards geben, aber man müsse die GMP-Regeln nicht über die Apotheken stülpen. In den nächsten zehn Jahren erwartet Schmidt für die Apotheken eher weniger strukturelle Änderungen als in den zurückliegenden zehn Jahren. Das größte Problem für die Zukunft sieht er in der Versorgung im ländlichen Raum.

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Dr. Klaus Kreuschner Der richtige Weg: ein Verbot von Pick up versuchen.

Kreuschner beklagte, dass veraltete Vorschriften in der Apothekenbetriebsordnung Interpretationsspielräume eröffnen, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich ausgefüllt würden, sodass das das Recht ausfranse. Die Versorgung müsse auch in strukturschwachen Regionen gewährleistet werden, doch der Versandhandel könne dies nicht leisten. Er wies auf politische Unterschiede zwischen Bund und Ländern hin. Ein Land müsse daran interessiert sein, dass die Bevölkerung eine Arzneimittelversorgung wahrnimmt – und nicht nur Versand oder Einkaufen. Kreuschner sprach sich zudem klar gegen eine "Apotheke light" aus, die manche Aufgaben, beispielsweise bei einer Pandemie, nicht übernehmen könne. Kreuschner konstatierte, dass Politiker oft jüngere Menschen seien, die kaum Apotheken aufsuchen, aber Ältere würden die Beratung benötigen. Zum Pick-up-Verbot meinte er, man solle nicht vorher sagen, es werde nicht klappen. Er halte es für den richtigen Weg, ein solches Verbot zu versuchen.


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Erika Fink Apotheken müssen Probleme lösen, wenn der Patient kommt.

Differenzierung der Apotheken

In Apotheken müssten Probleme gelöst werden, wenn der Patient komme, erklärte Fink. Das sei teurer als ein System, das von oben organisiert ist. Eine Landapotheke mit Rezeptsammelstelle und Botendienst sei kostenintensiv, daher dürfe ihre Leistungsfähigkeit nicht durch den Versandhandel ausgehöhlt werden. Fink meinte, "Freiheit braucht einen Rahmen", doch würden sich die Apotheken sehr differenziert entwickeln, weil sie in ihr Umfeld hineinwachsen. Dagegen erklärte Rewitzer, auf dem Land seien die Apotheken weniger differenziert, sie müssten alles können und für alle Patienten da sein – und "das macht wahnsinnig viel Spaß". Tisch verwies auf die enormen Umsatz- und Größenunterschiede zwischen den kleinsten Apotheken und überregional tätigen Versandapotheken. Doch "der Versorgungsauftrag liegt primär im unmittelbaren Umfeld", erklärte Tisch. Daher müsse diese Struktur geschützt werden. "Dafür brauchen wir Sensibilität", so Tisch. Die Orientierung des Apothekers an hohen Qualitätsstandards dürfe nicht zu der Sorge führen, dass dies seine wirtschaftliche Existenz bedrohe, erklärte Tisch als Zusammenfassung der Probleme. Auch Eckert-Lill betonte, dass das Geschäft der Apotheke lokal sei. Zugleich warnte sie, dass eingeschränkte Ausstattungsansprüche bei Apothekenfilialen den Weg zur Zwei-Klassen-Apotheke bahnen könnten. Arbeitsteilungen, die innerhalb von Filialen möglich seien, würden Einzelapotheken dann vertraglich untereinander regeln. Im Zusammenhang mit der angedachten Einschränkung der Herstellung in Filialen erklärte Tisch, es sei nicht der Sinn von Filialen, Größeneffekte zu fördern und andererseits auf die Versorgung vor Ort zu verzichten.

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Jutta Rewitzer Wir wollen alle Vollversorger sein.



Schmidt erinnerte daran, dass für den Fall einer Versorgungslücke Notapotheken oder Zweigapotheken vorgesehen sind. Doch nach Öffnung der Diskussion für das Apothekertagsplenum verwies Berend Groeneveld, stellvertretender Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, auf einen Fall, bei dem die Gemeinde eine Notapotheke ablehne, weil sie sich diese nicht leisten könne. Von den Apothekern werde dies hingegen erwartet und dann müsse noch befürchtet werden, dass das Finanzamt eine verlustbringende Filiale als Liebhaberei einstufe.

Filialen als Vollapotheken

ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf erklärte, es sei gut, dass die Versorgungsapotheken geschützt würden. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die ländliche Versorgung verwies er auf die grundsätzlichen Forderungen der Apotheker nach einer besseren Honorierung. Für eine gerechtere Honorierung des Notdienstes sollte eine Pauschale eingeführt werden.

In verschiedenen weiteren Wortmeldungen bekräftigten die Delegierten die ABDA-Position zum Erhalt einheitlicher Vollapotheken, wobei die Bedeutung der Rezeptur im Mittelpunkt stand. Nur ein Delegierter meinte, es gehe nicht um eine Abrüstung, sondern um eine Umrüstung der Apotheken, und die Versorgung hänge seines Erachtens nicht vom Labor oder von der Rezeptur ab. Dagegen erklärte Rewitzer als Zusammenfassung diverser Wortmeldungen: "Wir wollen keine Apotheke light. Wir wollen alle Vollversorger sein." Dies sollte daher auch in der Apothekenbetriebsordnung berücksichtigt werden. Zu den Qualitätsmaßstäben für die Rezeptur erklärte Rewitzer, der Weg zur Qualität könne nicht der gleiche sein wie in der Industrie. Doch würden Rezepturen auch anders eingesetzt als Fertigarzneimittel. Als Fazit des Arbeitskreises stellte Eckert-Lill bei der Rezeptur und bei der Beratung Potenzial fest, um den ordnungspolitischen Rahmen der Apotheke weiter zu entwickeln. Das Ziel sei die "moderne Apotheke, die für die Patienten heute und in Zukunft da ist".

"Versandhandel ist die Krankheit, für deren Heilung er sich hält."

Moderator Dr. Albrecht Kloepfer zur Aushöhlung der wirtschaftlichen Grundlage von Landapotheken durch den Versandhandel

Signale bei der Antragsberatung

Die große Zustimmung des Apothekertagsplenums zu den Thesen des Arbeitskreises wurde besonders durch die Abstimmungsergebnisse bei den diesbezüglichen Anträgen deutlich. Mit einem Leitantrag wurde der Verordnungsgeber aufgefordert, die Novellierung der Apothekenbetriebsordnung an den zuvor diskutierten Grundsätzen auszurichten. Dieser Antrag wurde mit nur einer Gegenstimme und ohne Enthaltungen angenommen. Bei der Antragsbetrag fand keine Diskussion über mögliche inhaltliche Details der Apothekenbetriebsordnung statt. Ein Antrag, der ausdrücklich den Erhalt von Vollapotheken fordert und verminderte Pflichten für Filialen ablehnt, wurde ohne Gegenstimme beschlossen. Auch zu möglichen Erleichterungen beim Notdienst gab es keine Diskussion. So war auch dies ein deutliches Signal, dass die Hauptversammlung jede Abweichung vom Prinzip der Vollapotheke ablehnt.

Mit sehr großer Mehrheit wurde der Antrag angenommen, der Verordnungsgeber solle den Erlaubnisvorbehalt für Rezeptsammelstellen auf alle ortsgebundenen Einrichtungen erstrecken, die Rezepte für eine oder mehrere individualisierbare Apotheken sammeln. Eine ebenso große Mehrheit erhielt der Antrag, die Leitlinien der Bundesapothekerkammer als verbindlichen Standard für die Arzneimittelherstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs festzuschreiben. Offensichtlich war die Botschaft dieses Antrages bereits zuvor in der Politik angekommen, denn schon am Vortrag hatte Staatssekretärin Widmann-Mauz in ihrem Grußwort erklärt, die Regelungen zur Herstellung müssten sich am Notwendigen und Machbaren orientieren.

"Jede Apotheke ist die Apotheke, die sie sein wollte."

Erika Fink, Präsidentin der Bundesapothekerkammer und der Landesapothekerkammer Hessen zur Differenzierung unter Apotheken

Zytostatikaversorgung wieder trennen?

Weitere Anträge befassten sich mit anderen Aspekten der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für Apotheken, die in der Diskussion während des Arbeitskreises nicht angesprochen wurden. Die Anträge wurden teilweise ohne Diskussion, meist allein nach Erläuterung durch den Antragsteller angenommen. Zu einer größeren Diskussion führte allerdings der Antrag, den getrennten Versorgungsauftrag zwischen öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken bei anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen wiederherzustellen. Nach Auffassung der Antragsteller stehen inzwischen genügend öffentliche Apotheken für die ambulante Zytostatikaversorgung zur Verfügung. Apotheken ohne entsprechende Herstellungsmöglichkeit könnten dort Zytostatikazubereitungen herstellen lassen. Nach Einschätzung von Dr. Klaus Peterseim, Vorsitzender des Bundesverbandes der Klinik- und Heimversorgenden Apotheker, sei der Antrag wichtig, weil im Umfeld von medizinischen Versorgungszentren die Patienten immer öfter aufgefordert würden, die Rezepte von Apotheken in der Nähe beliefern zu lassen, die diese wiederum aus Krankenhausapotheken beziehen. Andere Delegierte bezweifelten dagegen, dass die flächendeckende Versorgung ohne Krankenhausapotheken gewährleistet sei. Außerdem würden die Patienten dann zu den Apotheken mit Herstellungsmöglichkeit abwandern. In einer Wortmeldung wurde die Auffassung vertreten, dass die eigentlichen Konkurrenten der Apotheken überregional tätige Herstellungsbetriebe seien. Da die Versorgungsdichte in der Hauptversammlung nicht geklärt werden konnte, wurde dieser Antrag in einen ABDA-Ausschuss verwiesen.

"Leitlinien sind weder Apothekers Leid, noch sind sie light, sondern sie sind der Stand von Wissenschaft und Technik."

Dr. Christiane Eckert-Lill, ABDA-Geschäftsführerin Pharmazie

Weitere Anträge zu Versorgungsregularien

Bemerkenswert im Zusammenhang mit der Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung erscheint auch der Antrag, der Gesetzgeber solle Krankenhausärzten die Ausstellung von Entlassrezepten ermöglichen, um die lückenlose Arzneimittelversorgung an Wochenenden zu gewährleisten. Christopher Jürgens als Delegierter der antragstellenden Apothekerkammer Niedersachsen betonte, es gehe nur um N1-Packungen und möglicherweise sei für die Finanzierung ein dritter Topf neben ambulanter und stationärer Versorgung nötig. Doch "der Antrag ist für die Patienten", stellte Jürgens klar. Der Antrag erhielt daraufhin eine große Mehrheit.

Ebenfalls mit großer Mehrheit wurde der Antrag angenommen, die Länderliste aufzuheben, auf der die Länder verzeichnet sind, aus denen Apotheken ohne weitere Prüfung nach Deutschland versenden dürfen. Tisch erläuterte dazu, ohne eine solche Liste müssten auch ausländische Apotheken eine Versanderlaubnis beantragen, wenn sie nach Deutschland liefern möchten.

Diskutiert wurde über einen Antrag, die Belieferung von zu versorgenden Einheiten wie Heimen auf einen Zeitraum von höchstens einer Stunde festzuschreiben. Einige Delegierte schlugen weniger konkrete Vorgaben vor, doch letztlich wurde ein Konsens erzielt, dass nur eine solche Zeitangabe rechtssicher wäre und die Entfernung wirksam begrenzen könne. Daraufhin wurde der Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

Nicht angenommen wurde ein Antrag, eine bundesweite Umfrage unter Pharmaziestudierenden und Apothekern durchzuführen, um berufliche Probleme sowie den Fort- und Weiterbildungsbedarf zu ermitteln und besonders junge Berufsangehörige enger in die Berufspolitik einzubinden. Vertreter der ABDA führten hohe Kosten als Gegenargument an. Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, berichtete über gute Erfahrungen aus Niedersachsen mit einer persönlichen Ansprache der Zielgruppe anstatt einer anonymen Umfrage.


tmb


Thomas Müller-Bohn

Kommentar: Schutz statt Convenience


Lutz Tisch, der ABDA-Geschäftsführer für Recht, hat auf dem Apothekertag das Kunststück geschafft, die zentrale Botschaft diverser rechtlicher Regelungen rund um die Apotheke in nur einem Satz zusammenzufassen: "Es geht um Schutz, nicht um Convenience." - Die Apotheke ist das Instrument des Staates für den Umgang mit dem besonderen Gut Arzneimittel. Dies hat meines Erachtens viele Konsequenzen: Die Apotheker müssen in erster Linie Sicherheitsanforderungen erfüllen und die sachlich gebotenen Vorgaben umsetzen. Wie bequem die Versorgung für die Verbraucher organisiert wird, kann der Markt regeln, soweit der Markt hier zugelassen wird. Es geht auch nicht um möglichst billige Arzneimittel, weder für die Bürger noch für die Krankenversicherung. Die Wirtschaftlichkeit der Versorgung ist wichtig, aber die Pflicht des Staates, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung zu organisieren, steht darüber.

Die grundlegende Bedeutung des Schutzzwecks der Regularien sollten sich Politiker, Medienvertreter, Verbraucherschützer, aber auch die Kunden selbst viel stärker verdeutlichen. Werbung suggeriert, alles müsse immer und überall zum Dauertiefpreis verfügbar sein. Doch für Arzneimittel gelten andere Regeln. Darum sind die Kernbotschaften des Apothekertages folgerichtig: Die flächendeckende Versorgung mit Vollapotheken soll geschützt werden und die Apotheker verdienen eine angemessene Honorierung für ihre Leistung.

Doch auch die Apotheker sollten immer daran denken, dass die hehren Prinzipien des Apotheken- und Arzneimittelrechts kein Selbstzweck sind, sondern den Patienten dienen müssen. Darum war es ein sehr wichtiges Signal, dass der Apothekertag den Antrag zum Entlassungsmanagement angenommen hat. Entlassungsrezepte von Krankenhausärzten für die ambulante Versorgung sind vielleicht ein problematischer Systembruch, aber sie sind für Patienten und Apotheker im Alltag (und noch viel mehr am Wochenende) die einfache Lösung für ein nervenaufreibendes Problem, das auf der Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung beruht. Es ist gut, wenn hierfür endlich eine unbürokratische Lösung gefunden wird. Ähnlich flexibel sollten sich die Apotheker auch zeigen, wenn das Notdienstsystem der Ärzte nicht mehr zum Apothekennotdienst passt. Das Rotationssystem der Apotheken hat seine berufspolitischen Gründe, es darf aber nicht zu einer zusätzlichen Belastung für die Patienten werden. In manchen ländlichen Regionen sind neue flexiblere Lösungen nötig, selbst wenn sie nur schwer zur einheitlichen Behandlung aller Apotheken passen. Die angedachte neue Pauschalhonorierung für den Notdienst könnte neue Varianten unterstützen. Für die Patienten jedenfalls sind Notdienstapotheken an dem Ort, an dem auch die Ärzte ihren Notdienst versehen, keine Convenience, sondern eine praktische Selbstverständlichkeit. Alles andere ist den Patienten nicht zu vermitteln - und die sind letztlich die entscheidenden Verbündeten der Apotheker und das Ziel aller ihrer Mühen.


Thomas Müller-Bohn



DAZ 2011, Nr. 41, S. 85

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